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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 17. September 1935
XIII.

Addis Abeba, 18. August 1935.

Zwei „Streiflichter“ auf den Charakter des Kaisers von Ethiopien.

Es war an einem Abend. Ein intimer Kreis erwartete im Palais den Kaiser zum Abendessen. Er erschien verspätet und sah vergrämt aus. Man setzte sich zu Tisch. Der Kaiser blieb schweigsam. Den ersten Gang des Essens ließ er unberührt. Vergebens versuchte die kleine Runde ihn zum Sprechen zu bewegen. Nervös spielte seine feien Hand mit dem goldenen Besteck und müde wehrte er alle Versuche, ihn zu erheitern, ab. Als er aber auch weiterhin die Speisen unberührt ließ, setzte man ihm zu, doch zu sagen, was ihm fehle oder ihn bedrücke. Es ist nicht leicht, den schweigsamen Mann zum Sprechen zu bewegen. Nach langer Zeit erst brach es gequält aus ihm heraus: „Gott hat mir ein allzuschweres Amt aufgebürdet. Ich habe heute ein Todesurteil unterzeichnen müssen“.

Ein Todesurteil – warum? „Ja, es ist ein Mörder, dem es gilt, und er hat es ganz gewiß verdient, zumal er aus reiner Habsucht gemordet hat. Es ist klar, daß solch ein Schädling aus dem Kreis seiner Mitmenschen ausgemerzt werden muß. Und doch – mich trifft es bitter, eben Gottes Richtschwert führen zu müssen.“ Der Kaiser hatte es gesagt und war wiederum in Schweigen verfallen. Keinen Bissen hat er an jenem Abend angerührt. Bald auch hat er sich entschuldigt – Höflichkeit ist auch eine seiner Eigenschaften – und den kleinen Kreis seiner intimen Gäste sich selbst überlassen. Und es war um die Weihnachtszeit. Da war alles vorbereitet zur festlichen Bescherung, die den Kindern aller Fremden eine kleine Spende zu bringen pflegt. Und anschließend ein fröhlicher Hofball. In letzter Minute und trotz dringlicher Bitten seiner Umgebung ließ der Kaiser die Festlichkeit absagen. Warum??? – Am Weihnachtsabend war in ihrer milden Gefangenschaft eine bekannte politische Intrigantin gestorben, die einen großen Teil ihres abenteuerlichen Lebens bittersten und zum Teil gefährlichsten Machenschaften gewidmet hatte gegen den Mann, dem heute des Todes ernster Wink um ihretwillen die Absage des Hoffestes gebot.

XIV.

Addis Abeba, 20. August 1935.

Das feierliche Friedensgebet in der St. Georgskathedrale in Addis Abeba.

Glockenklänge drüben – ganz fern – in Amerika. Es war am 18. August 1935, als man dort in die Kirchen strömte, um für die Erhaltung des Friedens fromme Gebete zu tun. Wie es in hiesiger Proklamation heißt, galten die Gebete drüben zugleich der Erhaltung der Unabhängigkeit Ethiopiens. Ob es drüben die schwarzen Brüder der bedrohten Ethiopier sind oder ob über diesen Rahmen hinaus das Volk der USA. An geweihter Stätte seinem Friedenswillen Ausdruck gab, von hier aus läßt sich das natürlich nicht sagen. So oder so, hier fand in Uebereinstimmung mit den Friedensgebeten in der Ferne in der St. Georgskathedrale ein feierlicher Bittgottesdienst statt. Ihm wohnten bei der Kaiser, die Kaiserin, weitere Mitglieder der Kaiserlichen Familie, der gesamte Hof, die Minister und zahlreiche andere Würdenträger. Zunächst wurde die Messe zelebriert. Während dieser blieb das Kaiserpaar auch den geladenen Gästen unsichtbar. Anschließend aber nahm der Kaiser im Rundgang der Kathedrale Platz, d.h. er stand vor seinem Thronstuhl, neben ihm der kleine Prinz Makonnen.
Vor ihm hielt der höchste Vertreter der koptischen Kirche für Ethiopien, der „Abuna“ Kyrillos, das feierliche Hochamt ab. Während der Kaiser dem Hochamt auf der Westseite der Kathedrale beiwohnte, nahm die Kaiserin an der gleichen religiösen Handlung auf der Gegenseite teil, wo absolviert wurde. Wie den Kaiser die höchsten Würdenträger des Landes umgaben, so saß die Kaiserin inmitten zahlreicher Prinzessinnen und ihres Hofstaates.

Einer Predigt der beiden höchsten Geistlichen, die ihrerseits von dem hohen Klerus – darunter in tiefem Schwarz die eigenartige Gestalt des geistlichen Hüters des Grabes Meneliks – umgeben waren, folgte der Segen.
Dann trat der Abuna an den Kaiser heran und reichte ihm das silberne Kreuz zum Kuß, während rasch vorgehaltene Tücher diesen letzten Akt der Feier den Augen der Anwesenden entzogen. Auf einem Außenweg um einen Teil der Kathedrale herum zeigte der Herrscher sich der zahlreich versammelten Menge, die ihm frenetisch zujubelte. Außerhalb des Tores zum Kirchplatz harrten die Wagen. Kaiser und Kaiserin fuhren – sie dürfen während der zur Zeit bestehenden Fastenwochen einander nicht einmal sehen – getrennt davon. Wie eine Fata morgana entschwand das bunte Bild. Die Frage „Krieg oder Friede?“ blieb als Nachklang der religiösen Bittgesänge in uns haften.

Negus Haile Selassi verläßt mit dem Prinzen Makonnen nach d. feierl. Friedensgebet am 18.VIII.35 die St.Georgs-Kathedrale