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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 14. September 1935
IX.

Addis Abeba, 3. August 1935.

Ein Geburtstagsgeschenk in Addis Abeba.

Frau P., eine Dame der deutschen Kolonie, hat heute Geburtstag. „Was schenken wir ihr?“ fragten einander zwei ebenfalls deutsche Freunde des Hauses. Hm, in unserem lieben Deutschland schenkt man einer Dame, in deren Hause man Gastrecht genießt, vielleicht schöne Blumen, – nichts für Abessinien, wo herrlichste Blumen, umgaukelt von bunten Schmetterlingen, surrenden Käfern in metallischem Glanz und schillernden Kolibris, wie Unkraut wuchern – oder vielleicht auch Konfekt; auch nichts, da natürlich nicht nur im Preise bedenklich „hoch“, sondern mehr noch im „Lageralter“. Also was? Schließlich findet das gequälte Hirn den erlösenden Gedanken. Und es wurde ein „Hammel“, ja ein richtig gehendes abessinisches Hammelchen mit seinen rundgeschraubten Hörnern und langzottigem Fell. Gesagt, getan. Solch Hammelchen, was mag es in Deutschland kosten? Es wäre dort jedenfalls ganz gewiß ein nicht nur recht eigenartiges, sondern ebenso teures Geburtstagsgeschenk. Anders hier. Das Geburtstagshammelchen kostete – ein Boy, der ganz gewiß auch noch daran verdient hat, brachte es im Zeitraum von einer Viertelstunde wie eine Boa um den Hals gelegt herbei – in deutscher Währung (in Abessinien haben wir bekanntlich den alten Maria-Theresia-Thaler) 1,60 RM.; und es war ein durchaus ausgewachsenes Hammelchen. Ja, da gibt es hier überhaupt so allerlei preisliche Kuriositäten: Ein Paar Stiefel braucht man ganz gewiß zum Reiten, d.h. wenn man nicht Abessinier ist, der mit nackten Füßen nicht nur über spitzes Gestein, sondern notfalls unbeschadet über Glas geht und ebenso reitet, den Steigbügel zwischen dem großen und zweiten Zeh haltend. Solch ein Paar Stiefel kostet hier ca. 60 RM. Und das ist vom ganzen Reitsport das – Teuerste; denn das Pferd – immerhin auch nicht entbehrlich für die Reiteri – kann man zu den teuren Stiefeln, wenn man ein klein wenig Glück entfaltet oder ein nur leidlicher Kaufmann ist, für 40 – 50 RM. Erstehen, und zwar ein durchaus brauchbares, reitfertiges Tier. Na, und die Pferdehaltung? Das allerbilligste an der Geschichte, Futter und Pferdepflegerkosten pro Monat ca. 10 – 15 RM. Insgesamt.

Und noch ein Vergleich mit unserem Hammelchen, zu dem wir allmählich zurückkehren wollen: Ein ganz einfacher Rasierapparat (bei uns in Deutschland für etwa 75 Pf. Erhältlich) kostet hier 3,50 RM., unser Hammelchen bekanntlich 1,60 RM. (inkl. Boy-Verdienst). Halt! Nein, das darf nicht vergessen werden. Der Abessinier kauft in hiesigem französischen Geschäft eine durchaus nicht allzugroße Flasche guten Parfüms für 50 RM. Sein feinster Straßenanzug abessinischer Tracht kostet ihn 3 – 5 RM.

Ja, und eine Kuh – wir nähern uns wieder unserem Hammelchen – kostet ca. 20 RM., ein „Mast“-Ochse 25 – 30 RM. Da läuft soeben ein gackerndes Hühnlein an meinem Fenster vorbei. Die Pfoten zusammengebunden, die Köpfe nach unten hängend, brachte ein Boy heute ein „Bündel“ von 5 Stück davon ins Haus, und zwar vom Markt. Preis für alle nur 1 RM. Und gar Perlhühner – die gibt es in Abessinien in ungeheuren Mengen wild – kosten noch weniger. Man erhält für 1 RM nämlich ihrer 8 – 10. Ist vom Huhn die Rede, liegt die Frage nahe nach dem „hühnlichen“ Produkt, dem Ei. 1 Ei? – Nein, hier spricht man nur von 90 – 100 Eiern; und die kosten … 1 RM. Doch im Interesse der armen deutschen Hausfrau will ich jetzt schweigen. Sie sei übrigens trotzdem nicht allzu neidisch; denn es gibt hier – darüber später einmal! – Dinge, die gerade das hausfrauliche Herz erheblich bedrücken können. Jetzt aber endgültig zurück zum heutigen Geburtstagsgeschenk, dem Hammelchen: Also es wurde schön gewaschen. Es hätte eigentlich stolz sein müssen ob des wirklich nicht vorauszuahnen gewesenen „Hells“ seines natürlichen Kleides, das unter einer Kruste von – nein, ich sags nicht – hervorkam. Aber es stand ob des ungekannten Bades ängstlich und zitternd da. Und dann bekam es gar noch einen großen Kranz herrlich leuchtender roter Blumen um den Hals. – Dann gings los. Voran 2 Herren im Tropenhelm. Hinter ihnen der schwarze Boy mit dem – Geburtstagsgeschenk am Seil. Na, und die Freude des also beglückten Geburtstagskindes! Das Hammelchen freilich wird kaum lange noch an der allgemeinen Freud eteilnehmen können. Sein Schicksal bestimmt es nun mal so, daß das zarte Fleisch im Kochtopf landet, sein Fellchen aber mit einigen anderen zusammen eine prachtvolle wärmende Wolldecke – gut zu gebrauchen hier, auch eine „Kuriosität“ für Inner-Afrika, ca. 9 Grad nördlich des Aequators! – bietet. Und eine solche Decke in reiner Schafwolle von „Uebergröße“ kostet, lieber Europäer, hier … 6 – 8 RM.

Herr Roth + Herr Krampholz gehen zu einem Geburtstag.
Als Geschenk - ein Schaf.


X.

Addis Abeba, 13. August 1935.

Am 12. August 1935 fand im Thronsaal des „Alten Palais“ eine feierliche Proklamation des Kaisers von Ethiopien statt.

XI.

Addis Abeba, 14. August 1935.

Schutz der „Fremden“ in Abessinien.

Durch die Presse aller Länder gehen Tatarennachrichten über Gefährdung der Fremden in Abessinien. Richtig ist, daß dann und wann der Fremde, besonders aber eine allein gehende Dame, von Eingeborenen einmal „angepöbelt“ wurde, d.h. in Addis Abeba, der Hauptstadt des Landes von immerhin 60 – 80000 Einwohnern, (man ist mit Zahlen ein wenig großzügig hier), wo es natürlich an „Großstadt“-Pöbel auch nicht fehlt. Darüber hinaus aber – das sei den möglicherweise besorgten Angehörigen unserer Fremdenkolonien hier gesagt! – gibt es bisher zu Besorgnis keinen Anlaß. Die Presse-„Enten“ haben die Regierung, d. i. den Kaiser, bestimmt, sehr scharfe Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um jeder Möglichkeit solcher Beschuldigungen vorzubeugen. Ich fahre da vorgestern hinaus zum Palais, um der feierlichen Proklamation beizuwohnen. Sehr erstaunt gewahre ich, daß auf beiden Seiten die Straßen der Hauptstadt „eingefaßt“ sind von khakiuniformierten schwarzen Männern mit Gewehr, etwa alle zwanzig Meter einer. Und jetzt weiß ich, was das bedeutet: Es sind „Sabanjas“, d.h. Mannschaften der Schutzpolizei der Hauptstadt, die unter ihrem intelligenten und tüchtigen Chef, dem Gouverneur der Stadt, 6000 Mann zählt.
Jeder Eingeborene – ab 8 Uhr abends darf übrigens kein Eingeborener ohne besonderen Ausweis sich auf der Straße aufhalten – , der jetzt einen Fremden auch nur irgendwie, z.B. schon durch Betteln, belästigt, wird sofort ergriffen und dem Gefängnis zugeführt, um durch rasches Gerichtsurteil zu angmessener bzw. sogar recht harter Strafe verurteilt zu werden. Bei ernster Ausschreitung droht gegebenenfalls der Tod.
Jeder Fremde hat das Recht, von solchem Sabanja Geleit durch minder gesicherte Nebenstraßen zu verlangen.

Ein Kaiserliches Dekret wird in allernächsten Tagen alle einschlägigen Maßnahmen – weitvorausschauend – zusammenfassen und veröffentlichen.
Zu diesen Sondermaßnahmen gehört für den Fall des Ausbruches kriegerischer Verwicklungen u.a. die Ausstattung der gewehrbewaffneten Sabanjas mit scharfer Munition und die Einrichtung eines starken Ueberfallkommandos, dem auch Kraftwagen und Maschinengewehre zur Verfügung stehen sollen; also eine ganz gewiß praktisch wie energisch vorsorgende Schutzmaßnahme der Kaiserlichen Regierung.

d. Polizeichef v. Adis-Abeba mit seiner Mannschaft
Zu hoffen ist nur, daß die Schutzleute selbst gerade jetzt, wo politische bzw. kriegerische Verwicklungen die unerfreulichen Instinkte der Massen hervorrufen können, nicht in ihrer nicht ganz unverständlichen Angst um die eigene Stellung durch unberechtigte Härten gerade einen gefährlichen Haß gegen die Fremden erzeugen, um dessentwillen z.B. etwa auch ein harmlos und vielleicht schwer beladen seines Weges schreitender Eingeborener womöglich beiseitegestoßen wird oder gar mit Knüttel oder Peitsche schmerzhafte Bekanntschaft macht.

XII.

Addis Abeba, 15. August 1935.

Einladung zum Tee bei S.M. dem „Neguse Negest“.

Für den 15. August 1935 16 Uhr hatte der Kaiser in das Neue Palais alle hier weilenden Journalisten, einige 40 an der Zahl, zum Tee eingeladen. Der kluge und fein gebildete Chef des Pressebüros, Herr Dr. Lorenzo Taesas, unterstützt von dem unmittelbaren Betreuer der Journalisten, Herrn Blatta Kidane Mariam Aberra, der es wahrlich nicht leicht hat in seinem vielseitigen Amt, geleitete die versammelten Gäste in den Empfangsraum. Hier stand der Kaiser, wie immer in seinem dunklen Umhang, aus dem die engen, weißen Beinkleider hervorsehen. Hohe Schnürschuhe bilden nach unten den dunklen Abschluß. Aus des Kaisers Umgebung waren anwesend nur der mächtige Kriegsminister Ras Mullu Gheta, der Chef des „Schreibministeriums“ (nach unseren Begriffen etwa der Chef des Geheimen Zivilkabinetts, nebenher so etwa auch der Ministerpräsident) Zafi Taesas Haile Wolde Rufe, der Kommandeur des Palastes Dedjasmatsch Adrefris. – Wieder fiel mir der schwermütige Blick des Kaisers auf, bis ein erstes gütiges Lächeln ihn erhellte. Klugheit, tiefgehende Bildung und Herzensgüte, das sind nach übereinstimmendem Urteil aller, die den Kaiser persönlich kennen, seine charakteristischen Eigenarten. Unbedingt hat sein Lächeln etwas in sich Warmes und nach außen Wärme Spendendes. In keinem Augenblick aber trat das so hervor wie dann, wenn sein Auge hinüberglitt zu seinem kleinen Liebling, seinem Sohne, dem Prinzen Makonnen, einem kindlich lieb und natürlich dreinschauenden Jungen, der still und artig neben seinem Vater stand und später saß. Einer nach dem anderen – zuerst die fünf Damen der Gesellschaft – traten die Gäste heran, verbeugten sich und empfingen den zarten Händedruck des Kaisers.

Kaiser und Prinz Makonnen
Während der Begrüßung arbeiteten bereits zahlreiche Photoapparate wie mit Maschinengewehrfeuer. Dann wurde die Tür zum anschließenden großen Speiseraum geöffnet. Nach links fiel der Blick auf eine weiß gedeckte Tafel, besetzt mit goldenem Geschirr und Gerät, mit ganzen Batterien von Sekt, Whisky- und Sodaflaschen, Krügen voll Orangeade usw. Hinter der Tafel stand, zum Teil medaillongeschmückt, die Dienerschaft in ihren grünen Röcken mit goldenen Fangschnüren, roten Westen, roten Hosen, die Beine vom Knie abwärts in weißen Strümpfen und schwarzen Halbschuhen.
An der gegenüberliegenden Schmalseite des Raumes nahm hinter kleinem Tisch auf dem mit rotem Leder gezogenem Stuhl, dessen Lehen die Kaiserliche Krone schmückt, der Negus allein Platz, bedient von seinem Leibdiener, an noch niedrigerem Tischchen zu seiner Seite der kleine Prinz. Wie immer und überall, so umspielten auch hier die beiden Lieblingshündchen die Füße ihres Kaiserlichen Herrn. Die Gäste nahmen an den Längsseiten des saalartigen Raumes Platz.

Auch vor ihre Stühle wurden kleine runde Tischchen geschoben, darauf geschmackvolles Porzellan mit dem Löwen Ethiopiens und der Inschrift „Ras Tafari, Thronfolger“, also noch aus der Zeit der Regentschaft des heutigen Herrschers stammend. Bestecke aus Gold. Von Tisch zu Tisch eilten die Diener und reichten zum Tee Sandwichs – zum Teil mit Kaviar – , Torten und Kuchen, Datteln, kandierte Früchte und Konfekt. Als der Tee genommen war, ließ der Kaiser alle die zu sich rufen, mit denen er sich zu unterhalten wünschte. Es waren die fünf Damen und die kürzlich eingetroffenen Journalisten, deren erste Audienz also mit dieser Gelegenheit verbunden wurde. Wieder knipsten und knatterten die Photoapparate. Gütig lächelnd, ließ der Kaiser sie gewähren. Ein Wink – das Teegeschirr verschwand. Sektschalen aus feinem Kristall wurden gebracht und von den gut geschulten Dienern geschickt gefüllt. Nochmals wurden dazu Sandwichs und leichtes Salzgebäck gereicht. Eine kleine Pause – , dann nahm der Kaiser sein Glas, hieß seine Gäste mit herzlichen Worten willkommen und trank ihnen zu.

Im Namen der geladenen Journalisten sprach kurze Zeit später der stellvertretende Vorsitzende der kürzlich hier gegründeten Journalistenvereinigung, der junge sympathische Vertreter der Agence Havas, dem Herrscher den Dank der Geladenen aus. Mit huldvollem Nicken dankte der Kaiser. Wieder mundete der gut gekühlte Schaumwein, mundeten die Sandwichs und sonstigen Zugaben. Dann wurde Schluß der Gastlichkeit verkündet. Alle traten an den Kaiser heran. Wieder legte er seine feine, schlanke Hand in die seiner Gäste. In der Halle des Schlosses ein gegenseitiges Abschiednehmen. Draußen fuhr Auto um Auto vor. Eine lange Wagenreihe schlängelte sich unter wildem Gehupe durch Menschen, Tiere und Gefährte der Stadt zu. Meine Gedanken bleiben zurück bei dem, der da draußen ins einem schlichten Schlosse wieder allein war, allein mit seinen Sorgen, ganz allein. Was mochte zur Zeit in seinem Hirn, in seinem Herzen spielen?