last update: 31.05.2024 16:05
Da ich in der Industrie sehr viel gelernt hatte, beschloß ich,
mit einschlägigen Spezial-Aufgaben für deutsche Industrie mir
einen freien Wirkungskreis zu schaffen:
Ich habe deutschen Industrien mit meiner "Ermittlungstätigkeit"
(oft unter Einsatz ernster Gefährdung) im In- wie Auslande Dienste
geleistet, die die große Zahl der dafür mir zu Gebote stehenden
Zeugnisse belegt.
Ich habe schwere Zeiten durchlebt, Zeiten, in denen ich nicht wußte, wie ich über den nächsten Tag hinwegkommen würde. Ich habe andererseits mir einen nicht unerheblichen Grundbesitz (Berlin) aus eigener Kraft geschaffen. Mein treuester Begleiter war der Haß; denn ganz natürlich brachte jeder Kampf für einen meiner Mandanten mir den Haß einer ganzen Clique ein, die unterlag; und ich habe (vielleicht ein Fehler!) nie gefragt, "wer" zum Kreise der Gegnerschaft gehörte oder "hinter diesem Stand".
Telefonbuch von Berlin (1923) |
"Geheimagent" Harun-el-Raschid Bey
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Die oben getätigten Aussagen muß man erst einmal so stehen lassen. Es ist im Prinzip nichts genaues über den beruflichen
Werdegang von Wilhelm Harun-el-Raschid Hintersatz für die nächsten knapp 10 Jahre bekannt. Möglicherweise hat es tatsächlich etwas mit (s)einer
Ermittlungstätigkeit zu tun, denn entsprechende Nachweise dürften demzufolge schwer zu beschaffen sein. Von der "großen Zahl"
an Zeugnissen seiner Einsätze ist jedenfalls nichts bekannt oder überliefert.
Ab Anfang der 1920er Jahre "rührte" Wilhelm auch noch in einigen anderen Firmen herum. Zwischen 1925 und 1926 war er Geschäftsführer einer Firma namens SANKO, die seit 1921 unter verschiedenen Namen agierte. Daneben hatte er seit 1921 in der HALRA Export- & Importgesellschaft ebenfalls einen Geschäftsführerposten inne. Letzteres dauerte mindestens bis 1926, wenn nicht sogar bis zum Erlöschen der Firma im Februar 1928, an.
Seine "schweren Zeiten" kann man nach meiner Einschätzung sicher in das Reich der Märchen verbannen. Denn die vorliegenden Fotos zeigen vielmehr einen gut situierten Herren, der neben seiner Passion für das Sammeln von Waffen und Militärsouvenirs, beginnt, eine Leidenschaft für Automobile zu entwickeln. Darüberhinaus entdeckte er auch seine Liebe zu allerlei Hunderassen...
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Ich täusche mich nicht... das kleine Fähnchen, das man am Bug des Hanomag 2/10 PS "Kommissbrot" sehen kann, ist ein türkisches! Hier treibt
Wilhelms anhaltende Orient-Fixierung, die auch in der folgenden Selbstaussage zum Ausdruck kommt, offenbar Blüten:
Ich aber bin meiner nun einmal offen bekannten Devise treu geblieben und habe unermüdlich über alles das, was im Orient vorging,
mich auf dem Laufenden gehalten, habe mit islamischen Kreisen aus aller Welt Fühlung genommen, - der Deutsche, der auf Auslug stand und ... steht,
um - ebenso unbeirrt wie lange Zeit unverstanden und daher angefeindet! - immer bereit zu sein zum Mittun an der Stelle, wo einmal
Deutschlands gefährlichster Feind (England) die Achilles-Ferse bieten würde. Und immer wieder habe ich betont, daß das im Gebiet "Orient-Islam"
sein werde.
Ich bin es gewesen, der den Schwiegersohn des Schah von Persien, Chef des Persischen Sanitäts- und Hygienewesens, Exz. General Dr. Hadi Chan Attabay,
der auf seiner Durchreise durch Deutschland nach Paris mit mir Verbindung aufnahm, zu bestimmen wußte, den Abschluß seiner medizinischen Studien
nicht, wie vorgesehen, in Paris, sondern in Berlin durchzuführen.
Es ist aktuell unklar, ob diese Geschichte den Tatsachen entspricht und in welchen Zeitabschnitt sie überhaupt gehören könnte.
Wilhelm junior genügte es scheinbar nicht mehr, nur allein auf Visitenkarten oder auf Geschäftsbriefen seiner Detektei seine Faszination für das Osmanische Reich kund zu tun, sondern er baute sich zusätzlich eine Standarte an sein Auto. Zuzutrauen ist ihm eine solche Exzentrik durchaus.
Geschäftsbriefumschlag wie er im Jahr 1922 verwendet wurde. |
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Apropos Exzentrik. Wahrscheinlich 1928 ließ Wilhelm ein professionelles
"Promotionfoto" von sich anfertigen, welches ihn in osmanischer Uniform,
mit allen Orden, die an selbige passten und mit Fez und osmanischem
Offizierssäbel zeigt.
Diese Aufnahme war bis 2020 das einzige öffentlich verfügbare Bilddokument, das ihm zugeordnet werden konnte. Die Version die bislang kursierte, zeigt interessanterweise etwas mehr Bildinformation links, dies jedoch in vergleichsweise schlechter Qualität. Daß das Foto 2006 überhaupt in der Öffentlichkeit auftauchte, ist wohl einem sehr großen Zufall zu verdanken gewesen: In den Jahren 2003/04 arbeitete Carlos Puente im Historischen Archiv des Außenministeriums (Archivo del Ministerio de Relaciones Exteriores del Ecuador) seines Heimatlandes Equador. Dabei stieß er auf eine Akte, deren Deckblatt sein Interesse weckte, denn darauf klebte eine Variante jenes Fotos. Was daran genau ihn faszinierte, lässt sich nach so langer Zeit nicht mehr rekapitulieren. Vielleicht waren es die vielen Orden?
Deckblatt der Akte aus dem Archiv in Quito |
Das "berühmte" Foto (1928)
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Wilhelm selbst war von seiner fotografischen Darstellung derart angetan, daß fortan eine
Version davon an Wänden oder auf Anrichten in seinen Wohnungen hing oder
stand...
Stillleben aus der Wohnung Harun-el-Raschid Bey (ca. 1940)
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Und diese Familientreffen fanden relativ häufig statt. Entweder in Hohen-Neuendorf oder in Senftenberg. In Senftenberg hatten die Eltern die Wohnung in
der Oberpfarre, die sie 40 Jahre lang (zuerst im alten, dann im neuen Haus) inne hatten, verlassen. Wann und in welche Richtung dies zunächst passierte
ist etwas unklar. Sicher ist, daß sie für einige Jahre Senftenberg den Rücken gekehrt hatten und mit der frisch geschiedenen Johanna in
Hohen-Neuendorf im Norden Berlins lebten. Mutmaßlich würde dies den Zeitraum von 1925 bis 1929 abdecken. Im Sommer 1929 (es gibt einen Hinweis auf
die "Anzeige eines Wohnungswechsels" vom 24. Juni 1929) waren sie jedoch zurück in Senftenberg und bezogen eine Wohnung auf dem Grundstück des Malermeisters Schönert (Gartenstraße 31). Das Ehepaar zog sich nach
dem Dienstende des Oberpfarrers aus dem öffentlichen Leben weitestgehend zurück was sicher auch nicht allzu schwer fiel. Beide waren zu dem Zeitpunkt bereits
um die 70 Jahre alt.
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Adressbuch von Hohen-Neuendorf
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Anzumerken ist, daß sämtliche Einwohnerbücher Senftenbergs ab 1925
kaum mehr Angaben zum Wohnsitz der Familie Hintersatz lieferten, was
in dem zeitweiligen Wegzug begründet war, nach ihrer Wiederkehr aber
auch nicht revidiert wurde. Für Nutzer dieser Auskunftsbücher war das
Paar aus Senftenberg verschwunden.
Wenigstens der "Senftenberger Anzeiger" informierte hin und wieder seine Leser, daß ihr ehemaliger Pfarrer noch (bzw. wieder) in der Stadt lebt... |
Senftenberger Anzeiger (Januar 1930) |
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Auf obigem Foto, das am 73. Geburtstag der Mutter aufgenommen wurde, erkennt man im Hintergrund das Haus auf dem Hof von Malermeister Schönert, in welchem
Louise und Oberpfarrer a.D. Wilhelm Hintersatz zu dieser Zeit wohnten.
Das seit spätestens 1926 neue Familienmitglied ist Hermann Ernst Georg Vogel. Jurist von Beruf
und am 10. November 1900 in Senftenbergs Vorort Thamm als Sohn des hiesigen Kaufmanns
Hermann Vogel geboren. Johanna und Georg heirateten am 5. Dezember 1927 in Hohen-Neuendorf bei Berlin. Dies erfolgte dort sowohl standesamtlich wie auch kirchlich. Letzteres wurde einmal mehr von Johannas Vater, Oberpfarrer a.D. Wilhelm Hintersatz, vollzogen. Auszug aus dem Kirchenbuch von Hohen-Neuendorf (Trauungen 1904-1935)Danach lebte das Paar noch bis mindestens 1929 dort, um später nach Senftenberg umzuziehen, wo Georg Vogel eine Rechtsanwaltskanzlei unterhalten wird.
Senftenberger Anzeiger (September 1933) |
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Ab September 1933 befand sich Vogels Kanzlei zunächst in unmittelbarer Nähe des Domizils seiner Schwiegereltern um nur wenig später in die Bahnhofstraße
34a umzuziehen. Es besteht jedoch der Verdacht, daß Vogels zu dieser Zeit noch nicht in Senftenberg wohnten, sondern weiterhin nördlich von Berlin.
Wenn auch nicht zwingend in Hohen-Neuendorf.
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"Rechtsanwalt" ist das Stichwort! 1930 stand Wilhelm vor Gericht. Nicht als Angeklagter, sondern als "Anzeigender". Die nachfolgende Geschichte ist mal wieder ein Paradebeispiel für seinen Geltungsdrang. Der ganze Fall war offensichtlich bizarr genug, daß selbst überregionale Zeitungen darüber berichteten. Selbst US-amerikanische Zeitungen wie "The Palm Beach Post" in ihrer Ausgabe vom 14. November 1930 berichteten Monate später über die Aktion. Dabei erhielten die Leser zusätzlich einen kleinen und gleichzeitig nicht ganz korrekten Einblick in Wilhelms Vita. Bemerkenswert ist die dort wiedergegebene (angebliche) Wortmeldung des Beschwerdeführers: "Ich bin Besitzer der höchsten deutschen Auszeichnung für Lebensrettung. Doch mein Antrieb ist derselbe, egal ob es sich um die Rettung eines Menschen oder aber eines leidenden Tieres handelt." |
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Bereits ein gutes Jahr zuvor, im Februar 1929, machte Wilhelm ungewollt und irgendwie "inkognito" Schlagzeilen im Zusammenhang mit einem Gerichtsprozess. In der Berichterstattung zum "Fall Willi Bruß"
taucht seine Person am Rande auf. Dabei wurde jedoch davon ausgegangen, daß es sich um ein Hirngespinst des Beschuldigten handelt...
Deutsche Allgemeine Zeitung (26. Februar 1929)
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Berliner Börsenzeitung (26. Februar 1929) |
Der vorsitzende Richter sprach von einer "romanhaft klingenden Erzählung, die erst auftauchte, als der Angeklagte auf seinen Geisteszustand untersucht wurde". Dabei wird insgesamt aber nicht wirklich klar, welche entlastende Wirkung diese Geschichte für Bruß hätte entfalten können. Ich hingegen frage mich, ob nicht vielleicht doch ein Funken Wahrheit in den Ausführungen von Bruß lag, die sich im übrigen auf eine Zeit bezogen, die zu diesem Punkt schon fünf Jahre zurücklag... Das Schöffengericht verurteilte schließlich den Angeklagten Willi Bruß wegen Untreue, Unterschlagung und Betrugs zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr. Die Strafe war durch Anrechnung der Untersuchungshaft verbüßt. |
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1932 - Wilhelm entdeckte eine neue Leidenschaft: die Schriftstellerei!
... entschloß er sich, diesen auch noch in Schriftform zu veröffentlichen. Und so erschien im Berliner R.Eisenschmidt-Verlag, der für militärhistorische Veröffentlichungen bekannt war, im Juni 1932 ein 30-seitiges Büchlein mit dem Titel "Marschall Liman von Sanders Pascha und sein Werk". Der Autor, der mit H. e. R. angegeben wird, war natürlich kein Geringerer als Harun-el-Raschid Bey. Das in Fachkreisen international bekannt gewordene und auch vom Gegner anerkannte kleine Werk "Marschall Liman v. Sanders Pascha und sein Werk" ist von mir geschrieben. Es handelt sich um eine miltärisch-politische Skizze der historischen Begebenheiten. Was die angesprochenen "Fachkreise" betrifft, war wohl so etwas wie die nachfolgende Rezension gemeint, die in der "Allgemeinen schweizerischen Militärzeitung" (Heft 9/1932) erschien: |
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Marschall Liman von Sanders Pascha und sein Werk. Von H.e.R. Verlag von
R.Eisenschmidt, Berlin NW 7, 1932. Preis RM. 1.30.
In klarer und fesselnder Weise bringt H.e.R. auf 30 Druckseiten die
Verteidigung der Dardanellen durch Marschall Liman von Sanders - seit 1913
Chef der deutschen Militärkommission zur Reorganisation der türkischen Armee -
zur Anschauung. Doch Liman von Sanders unermüdliche Tatkraft, seiner geschickten Disposition und meisterhaften Taktik gelang es, mit geringen und unzulänglich ausgerüsteten Streitkräften dieses in so hohem Masse gefährdete äusserste Bollwerk der Mittelmächte zu halten. Im weitern setzt sich der Verfasser die Zeichnung der überragenden Persönlichkeit Liman von Sanders, einer seltenen edlen Führergestalt, zur Aufgabe. Es ist der inhaltsreichen Schrift, die namentlich auch überaus klar und zutreffend die grosse politische und militärische Tragweite der Kämpfe um die Dardanellen für den gesamten Kriegsverlauf zur Geltung bringt, nur zu wünschen, dass ihr recht vielerorts die verdiente Beachtung zuteil werde. Lt. v. Graffenried. |
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Der glühende Verehrer Sanders' ließ später von der Witwe des Marschalls ein Schriftstück
verfassen, in dem seine Beziehung zu Otto Liman von Sanders beschrieben werden sollte. Den
Brief, der nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben ist, wird er daraufhin gerne als Beweis
der Verbundenheit zwischen ihm und dem "Löwen von Gallipoli" einsetzen, um daraus ggf.
Kapital zu schlagen. Als verkaufsförderndes Instrument für das Büchlein kam er jedoch um
mindestens ein Jahr zu spät...
Sehr verehrter Harun-el-Raschid Bey!
Sie fragen mich, ob ich bereit sei, einer entsprechend qualifizierten Persönlichkeit kundzugeben, welches Urteil und welche Einstellung mein verewigter Mann, Ihr dereinstiger Marschall Liman von Sanders Pascha, in Bezug auf Sie hatte.
Ich bin nicht nur herzlich gern dazu bereit, sondern will in kurzer Ausführung diese
Einstellung meines verewigten Mannes Ihnen schriftlich geben. Ich bereite damit einerseits
mir selbst eine Freude, weil ich aus eigenster Kenntnis ja weiss, dass Sie nicht nur in
Seinem Leben Ihm mit wirklicher Treue zur Seite standen, sondern auch übers ein Grab hinweg
Sein teures Andenken wachzuhalten sich bestreben.
Sie haben, sehr verehrter Harun-el-Raschid Bey, meinem Manne in Kriegszeiten zunächst in der
Stellung des Maschinen-Gewehr-Kommandeurs in seinem Stabe dienstlich nahegestanden. Die dienstliche
Einschätzung Ihrer Person hat mein mann bestimmt, Sie auch ausserhalb der dienstlichen Bindungen
zu Seiner Person heranzuziehen und Sie eines Vertrauens zu würdigen, das über das Mass der dienstlichen
Beziehungen weit hinausging. Mein Mann sagte, dass Sie einer Seiner tüchtigsten und pflichttreuesten
Offiziere gewesen seien, ganz besonders geeignet für verantwortungsvolle und selbstständige
Position im Auslandsdienst, sodass er trotz Seines Bedauerns, Sie dadurch in Seiner Umgebung
missen zu müssen, Sie trotz Ihrer Jugend vorgeschlagen hat für den verantwortungsvollen Posten
des General-Inspekteurs des gesamten Maschinengewehr-Wesens der Türkei. Obwohl an sich nunmehr
die dienstlichen Beziehungen zwischen meinem Mann und Ihnen nur noch mittelbare waren, hat
mein Mann Sie weiterhin seines persönlichen ja, väterlichen Wohlwollens gewürdigt; und der
Eiserne Marschall pflegte derartiges nicht zu tun, wenn er sich nicht dessen sicher war, dass
der so Gewürdigte Sein Vertrauen und seine Güte in vollem Maße verdiente.
Ihre sehr ergebene
Beim Lesen dieser Zeilen kommt einem unweigerlich der Begriff "Gefälligkeitsgutachten" in den Sinn denn
große Teile des Briefes erwecken den Eindruck, "vorgeschrieben" zu sein. Diese Einschätzung wird
durch die Tatsache gestützt, daß die Briefeschreiberin die zweite Ehefrau Liman von Sanders
war, die dieser erst einige Zeit nach seiner endgültigen Rückkehr aus dem Osmanischen Reich heiratete.
Sie war somit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal mittelbar in die dortigen Geschehnisse der
Jahre 1917/18 involviert.
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Ein Aspekt des Lebens von Wilhelm junior blieb bislang weitesgehend unberücksichtigt, da er bei all den teilweise abenteuerlichen Wendungen seiner
bisherigen Vita völlig in den Hintergrund gedrückt wurde. Man traute ihm ja bei der ganzen Tag-und-Nacht-Beschäftigung auf den unterschiedlichsten
Betätigungsfeldern schon gar nicht mehr zu, daß er dafür überhaupt noch Zeit hatte: die Frauen!
Nachdem er im Mai 1912 Hildegard Schmidt geheiratet hatte, worüber weiter vorn berichtet wird, versiegten Informationen über Ehe- und Familienleben
vollständig. |
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... denn am 11. Juni 1924 geschah auf dem Standesamt in Berlin-Wilmersdorf folgendes: Der Major außer Dienst und Kaiserliche osmanische
Oberst außer Dienst Johannes Robert Wilhelm Harun-el-Raschid Hintersatz ehelichte an
diesem Tag und an diesem Ort die bereits zuvor einmal verheiratete Martha Frieda Kuwert, geborene
Staats. Die Angetraute, ohne Beruf, stammte aus Schleusenau, Kreis Bromberg (später Okole, Polen)
und ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt (geb. 13. Januar 1895). Wilhelm ist 38.
Während die Braut als Zeugen mit einem "Vollziehungsbeamten" aufwartet, besitzt der Trauzeuge des Bräutigams scheinbar einen orientalischen Hintergrund.
Hohen-Neuendorf (Sommer 1927) |
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Ob es sich bei der Dame links auf dem oberen Foto um die zweite Frau Harun-el-Raschid handelt, ist ungewiss. Die Chancen stehen jedoch nicht schlecht, da ich mir ziemlich sicher bin, daß wir selbige auch in folgendem Film sehen...
Bei seinen häufigen Besuchen in Senftenberg läuft Wilhelm im Dezember 1932 einem Hobbyfilmer vor die Linse. Das das nicht ganz zufällig geschah, kann man daraus schlußfolgern, daß er, seine Begleiterin und der Hund zweimal hintereinander von unterschiedlichen Positionen aus in der Senftenberger Bahnhofstraße gefilmt wurden. In beiden Fällen ist er sich der Aufnahme bewußt, da er freundlich seinen Hut zum Gruße schwenkt. In der zweiten Sequenz wird er regelrecht durch den Mann an der Kamera, Edmund Grubann, seines Zeichens Mitherausgeber des "Senftenberger Anzeiger", verfolgt.
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Und dann? Der Klassiker. Wilhelm lernt im Februar 1933 die 26 Jahre jüngere Milly Lindener
kennen und verliebt sich scheinbar Hals-über-Kopf in die attraktive 20-jährige Berlinerin.
Milly Martha Luise Käthe Lindener
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Was Mutter und Vater Hintersatz, die ja mittlerweile
so einiges von ihrem Sohn gewöhnt und selbst seit 48
Jahren miteinander verheiratet waren, über die neue
Liebe ihres "Helmi" dachten, kann man sich vielleicht
vorstellen.
Wilhelm kam sicherheitshalber erst einmal allein zum 79. Geburtstag des Vaters nach Senftenberg...
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Senftenberg (Januar 1934) |
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Während Wilhelm mit seiner Milly herumturtelt stehen in Senftenberg wichtige Veränderungen an... Louise und Wilhelm senior wechseln
ein letztes Mal die Adresse. Mitte des Jahres 1934 steht der Umzug aus der Gartenstraße 31 in die Promenade Ost 2, die zu diesem Zeitpunkt
bereits in Adolf-Hitler-Promenade 2 umbenannt worden war, an. Das neue Domizil ist in Senftenberg gut bekannt, beherbergte es doch in
den 40 Jahren zuvor ein Fotoatelier unter wechselnden Namen. Den Anfang machte Hermann Meyer gefolgt von Rudolf Käding, nach dessen Tod
Wilhelm Theinert die Räumlichkeiten übernahm.
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Ein in vielerlei Hinsicht turbulentes Jahr 1935 beginnt
im Januar mit dem 80. Geburtstag des Vaters. Der "Senftenberger
Anzeiger" rollt hierzu noch einmal kurz dessen Werdegang auf
und liefert einige Details, die wir bereits kannten. Wartet
aber auch mit neuen Informationen aus der Vita des Pfarrers a.D.
auf, die dazu beitragen, die Geschichte zu vervollkommnen.
Prinzipiell sind bislang die meisten Stationen seines Lebenswegs
aus derartigen Zeitungsartikel rekonstruiert worden denn über eine
umfassende Betrachtung seines Lebens ist bisher nichts bekannt.
19. Januar 1935 |
Senftenberger Anzeiger
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In Berlin werden derweil Nägel mit
Köpfen gemacht.
Auf den Tag genau 2 Jahre nachdem sie sich kennenlernten, verloben sich Milly und Wilhelm. Keiner aus Wilhelms Familie ist bei der kleinen Feier anwesend, die zwei Tage später stattfindet... |
17. Februar 1935 |
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Die Abwesenheit von irgendwelcher Senftenberger Verwandtschaft setzt sich auch am 3. Mai 1935 fort. An diesem Tag geht Wilhelm zum dritten Mal einen
Bund der Ehe ein. Schauplatz der Hochzeit ist zunächst das Standesamt in Berlin-Lankwitz.
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Standesamt Berlin-Lankwitz (3. Mai 1935)Nach der standesamtlichen Trauung erfolgte noch eine sogenannte "Haustrauung". Die Zeremonie, die in den Räumen eines Berliner Restaurants abgehalten wurde, war teilweise oder ganz von muslimischem Charakter.
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Die Frischvermählten.
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Auch in Senftenberg feierte man in jenen Maitagen eine Hochzeit... und zwar die goldene von Louise und Wilhelm senior. Die Lokalpresse gratuliert schon einmal vorsorglich:
Senftenberger Anzeiger (3. Mai 1935)
5. Mai 1935 - Goldene Hochzeit |
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Anfang Juni 1935 trifft sich die ganze Familie in Senftenberg, denn der Ort stellt den Ausgangspunkt
einer Hochzeitsreise dar, bei der Wilhelm und Milly zunächst zwei Monate lang viele tausend Kilometer
mit dem Auto und dem Schiff zurücklegen und an deren Ende das Ziel 5.240 Kilometer Luftlinie vom Startpunkt
entfernt sein wird.
4. Juni 1935 - Start der Reise vor der Senftenberger Adolf-Hitler-Promenade 2
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Bei dem Mitreisenden handelte es sich übrigens um Fritz Vogel, Bruder von Wilhelms Schwager Georg Vogel. Dieser
war offensichtlich für mehrere Monate daheim abkömmlich um das frischgebackene Ehepaar auf ihrer Reise zu begleiten.
Sehr wahrscheinlich zeichnete Fritz Vogel auch für einen Teil derjenigen Fotografien verantwortlich, auf denen Wilhelm und Milly gemeinsam zu sehen sind. Am 4. Juni beginnt die große Fahrt im eigenen Auto, welche die drei und Wilhelms neuestes Haustier, eine große schwarze Dogge, zunächst an Wilhelms früheste "Wirkungsstätte" führt... |
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Von Senftenberg geht es direkt nach Pforta und von dort über die Rudelsburg und Jena nach Gernewitz. Am darauffolgenden
Tag kämpft man sich über Nürnberg nach Roth vor um tags darauf Ingolstadt, München und Starnberg zu passieren und
Unterkunft in Benediktbeuern zu nehmen. Von dort geht es via Mittenwald und Innsbruck nach Vipiteno wo man sich bereits
auf italienischem Hoheitsgebiet befindet.
Nach einer Nacht dort geht es direkt weiter vorbei am Gardasee nach Verona, der Stadt von Romeo und Julia. In dieser Region halten sich die zwei einige Zeit auf und starten Ausflüge nach Vicenza, Lido di Venezia und wie könnte es anders sein? Venedig! Am 12. Juni führt der Weg von Verona über Padua, Rovigo, Ferrara, Bologna nach Florenz. Schon am nächsten Tag geht die Reise weiter nach Rom, wobei man Siena und Viterbo passiert. In Rom macht man bis zum 3. Juli Station und unternimmt von dort aus Ausflüge nach Lido di Ostia, an den Lago di Nemi, nach Frascati und Tivoli. Am 4. Juli schließlich starten Wilhelm und Milly Richtung Neapel um dort ein Schiff zu besteigen und am Folgetag Sizilien anzusteuern. Dort erreicht man am 6. Juli Syrakus. Von Sizilien aus wagt man an Bord der "Vienna" den Sprung auf den afrikanischen Kontinent. Am 10. Juli erreicht man über einen Zwischenstop in Alexandria Port Said, wo man von Bord geht. Das Privatauto war zwar während der ganzen Reise dabei und ermöglichte es somit den beiden, sich unabhängig von lokalen Transportmitteln zu bewegen, doch die 200 Kilometer nach Kairo absolvierte man mit dem "Expreß", also der Eisenbahn, über Ismailia. Hier im Inneren des Landes verbringt man einige Tage, besichtigt Sakkara, Memphis, die Pyramiden von Gizeh und besucht das Nationalmuseum in Kairo. Am 16. Juli kehrt man nach Port Said zurück wo man sich auf den französischen Dampfer "Chenonceaux" begibt, um am Folgetag auszulaufen. Ziel: Djibouti. Nach 6 Tagen Schiffsreise durch das Rote Meer erreicht man die Hafenstadt am Golf von Aden am 22. Juli 1935. Der Zwischenstop in Djibouti dauerte 8 Tage und war in dieser Länge nicht geplant, denn: ... beinahe hätte die rötliche Erde des Landes meine sterbliche Hülle für immer aufgenommen. Nur der vorzüglichen Hilfe des französischen Chefarztes des französischen Garnisonlazaretts im Verein mit aufopferndster Pflege meiner Frau dankte ich die Rettung meines durch schwerste Toxinvergiftung in schmerzhaftesten Muskelkrämpfen sich windenden Körpers, dessen Gliedmaßen von unten her bereits zu erkalten begannen. Nach Auskurieren der gerade erwähnten Fischvergiftung geht es auf die vorerst letzte Etappe der Reise: Addis Abeba, der Hauptstadt des damaligen Kaiserreichs Abessinien. Die Stadt wird am 30. Juli 1935 erreicht... Addis Abeba und das Abessinische Kaiserreich stehen am Vorabend einer italienischen Invasion, die als "Abessinienkrieg" oder "Zweiter Italienisch-Äthiopischer Krieg" in die Geschichtsbücher eingehen wird. Und Wilhelm Harun-el-Raschid Hintersatz Bey einmal mehr mittendrin...
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Entlang der 780 Kilometer langen Eisenbahnstrecke (das Auto wurde auf einen Waggon geladen) von Djibouti nach Addis Abeba, die damals der allergrößte Teil der westlichen Reisenden nutzte,
um in die Hauptstadt Abessiniens zu gelangen, konnten Wilhelm und Milly erste Eindrücke über Land und Leute gewinnen. Die Zugreise beschreibt Wilhelm als "wackelige Angelegenheit" :
Da "wackeln" – so ist's schon – wir zunächst durch glutheiße Dornensteppe. Auch in dieser, wenn auch nur dann und wann, tritt uns menschliches Leben entgegen. Kümmerliche Hütten und Zelte aus Lumpen. Kleine Herden von Ziegen und Schafen. Dann und wann auch mal Esel und Kamele. Nahe der abessinischen Grenze beginnt das Land seltsame Gestalt anzunehmen. Kohlschwarze Blöcke in allen Größen und Formen liegen wie von Dämonenhand geworfen umher – Lavafelder; und am Horizont schwelt Qualm aus noch tätigen Vulkanen. Die gleiche Landschaft, noch wilder, noch schwärzer, noch grausiger – darin die unsagbar trostlose Oede eines Salzsees, von Mensch wie Tier gemieden – gleitet später im abessinischen Lande an uns vorüber. Es sieht aus, als sei das furchtbare Geschehen, das diese Trümmerstätten schuf, vor kaum einigen Jahren gewesen...
Die Eisenbahnfahrt wird planmäßig(?) in der Nacht unterbrochen. Die Reisenden verbringen die Zeit der Dunkelheit in Dire-Daoua... Und nun die große afrikanische Steppe mit ihrem aus Filmen uns ja schon bekanntem Bilde: Das wogende gelbliche Gras, die Schirmakazien, überall die grotesken Formen der Termitenbauten, an allen Bäumen die kunstvoll gefertigten hängenden Nester der Webervögel. Und bald belebt sich das fremde Bild mit fremden Gestalten von Mensch und Tier. Da sitzen auf Felsblöcken die verschiedenen Affenarten, jagen davon, auf den Rücken die Kleinen mit sich nehmend. Verächtlich dreht ein riesiger Mantelpavian uns seine schmuckhaft rot leuchtende Kehrseite zu, als wir heran-„wackeln“. Gazellen und Antilopen äugen neugierig oder traben geruhsam davon. Vögel aller Arten, Größen und Farben bekommen wir zu Gesicht, mächtige Adler und Geier, die in den Lüften kreisen oder auf Felskuppen Ausschau halten. Hie und da ringelt von einem Baum herab eine große Sachlange ihren Körper träge ins Gras hinein. Zebras, Leoparden und Löwen, die diese Gegenden im Verein mit anderem Raubgetier bevölkern, haben wir nicht gesehen, wohl aber die schleichende Hyäne und den lauschenden Schakal. Mehr und mehr nimmt allmählich die Landschaft gebirgigen Charakter an. Dann und wann führt die Strecke auf kühn angelegten Brücken über tiefe Schluchten und reißende Flußläufe. Immer fruchtbarer – mit üppig grünen, wundervoll blühenden Kakteen, hochaufgeschossen wie Bäume – und mehr besiedelt wird das Land. Ackerbau beginnt. Es wird gleichzeitig kühler und schließlich nahezu kalt. So wenigstens empfanden wir diese Kühle, die der eines deutschen Septembertages entsprechen mag. Sauber und blumenumrankt die Häuser der Bahnstationen. Da – ist’s möglich? – eine heißt, im Bergland gelegen, „Gotha“. Obwohl man bereits in Ägypten erste Kontakte zum Leben auf dem afrikanischen Kontinent knüpfen konnte, hatte das was die beiden nun erblickten so gut wie nichts mehr mit ihrem Lebensstil in Berlin zu tun und als pure Hochzeitsreise ging das für damalige Verhältnisse auch nicht mehr durch. Deshalb ist die Frage erlaubt, ob dieser Teil der Reise nicht mit einer Mission versehen war...
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Eine längere und für meine vorliegend wichtige Schulung nicht unwesentliche Unterbrechung erfuhr meine Arbeit hier durch einen
Ruf nach Italien zu Beginn des Jahres 1935.
Tatsächlich existieren zwei Fotos, datiert mit 10.04.35, die Wilhelm in Mailand zeigen.
Mit Italien verbanden mich seit langen Jahren freundschaftliche Beziehungen. Ich sah in Italien den hungrigen Gegenspieler zum vollgefutterten
England. |
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Unter der Maske eines Kriegsberichterstatters für die türkischen amtlichen Zeitungen "Tan" und "Semen" (in einer anderen Version ist "für die türkische Zeitung TAN und die
griechische Zeitung MAKEDONIA" die Rede) habe ich meine Aufgabe bis zu ihrem
beinahe kritisch gewordenen Ende so durchgeführt, daß ich bis in allerletzte Zeit hinein der "erklärte Vertraute" des Negus und in wöchentlich
durchschnittlich zweimaligen Geheimbesprechungen sein vermeintlicher Berater war, daß ich nur mit Diplomatie und Gewandtheit die mir zugedachte
Ernennung zum Vizechef des abess. Generalstabes zu umgehen vermochte, daß andererseits der Italienischen Obersten Heeresleitung keine der
strategischen wie politischen Ideen auf abessinischer Seite unbekannt blieb, daß sogar der englische Nachrichtendienst sich an mich
heranmachte um von mir zu profitieren, mit jeder Möglichkeit rechnend, nur nicht mit der, daß ich auf... italienischer Seite stand.
Ich habe dies Vertrauen des Secret Service weidlich in "meinem" Sinne ausgenützt. Abgesehen von meinem größten Trumpf, dem Vertrauen des Negus
selbst, war das Vertrauen der eingeborenen Mohamedaner das beste Instrument für meine Arbeit. Die Mohamedaner sahen in mir einen
Glaubensbruder, der mit ihnen ohne Scheu in ihrer Moschee betete, zugleich den an Bildung und Schule ihnen überlegenen Europäer, zudem
den ... Deutschen.
So entsandten sie eine Vertretung ihrer Gemeinschaft zu mir. Soweit ich es ohne Gefährdung meiner Arbeit vermochte, habe ich ihrer Interessen und Sorgen mich angenommen. Es hat nicht lange gedauert, da standen aus den mohamedanischen Kreisen mir zahlreiche Kräfte zur Verfügung auch für meine Ziele.
Zeitungs- oder Geheimdienstberichte? - Addis Abeba (September 1935)Obwohl man mittlerweile so einiges an Geschichten gelesen hat, hier scheint mir, daß sich das Verhältnis zwischen Dichtung und Wahrheit stark zugunsten des ersteren verschiebt... Ich habe aktuell kein Gefühl dafür, wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen ist. Andererseits muß man auch gestehen, daß in allen bisherigen Erzählungen wenigstens ein Fünkchen Wahrheit steckte... Ja, Wilhelm und Milly waren zum Tee beim Negus Negest, dem "König der Könige", dem abessinischen Kaiser Haile Selassie. 3 Daten sind dafür überliefert: 3. August, 15. August und 19. September. Wilhelm verarbeitete die, bei diesen Gelegenheiten gewonnenen Eindrücke in Form zweier Reports innerhalb der von ihm verfassten Berichtsserie "In Abessinien - Reiseberichte eines Landsmannes.", die im "Senftenberger Anzeiger" zum Abdruck gelangte. Außerdem existieren Fotos, die in direkter Umgebung Haile Selassis von Wilhelm oder Milly aufgenommen wurden. Schaut man sich jedoch historische Filmaufnahmen aus dem Addis Abeba des Jahres 1935 an, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluß, daß dies keine große Kunst war. Zumindest in dieser Beziehung präsentierte sich der Kaiser sehr volksnah. Wilhelms regelmäßige Geheimbesprechungen mit dem Kaiser waren wahrscheinlich nicht viel mehr, als die üblichen Audienzen, die der Negus täglich abhielt und zu denen sich Einheimische wie auch in Addis Abeba lebende Europäer und Amerikaner regelmäßig in Scharen einfanden. Und auch der Schwenk zu den islamischen Kontakten ist wohl sehr weit hergeholt... Abessinien in jener Zeit war, wie auch das Äthiopien von heute, ein Vielvölkerstaat mit einer bunten Mischung aus Volksstämmen und damit verbundenen Religions- und (Aber)glaubensausrichtungen. Der Islam spielte keine zentrale Rolle. Aus der damaligen Zeitspanne stammt ein Aufsatz der bekannten arabischen Zeitung "Al Mokattam"...
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Oberst Harun-el-Raschid Bey SCHRIFTSTELLER oder ob der Oberst ein Deutscher LAWRENCE ist?
Sonderbericht des Al-Mokattan aus ADDIS-ABEBA v. 2. September 1935. Auf der Liste der 62 Pressevertreter hier findet sich der Name Harun-el-Raschid Bey als der des Berichterstatters der Türkischen Zeitung "TAN" sowie der Deutschen "Frankfurter Zeitung". Der NAME zieht natürlich die Aufmerksamkeit auf sich für jeden, der weiss, dass es da sich um einen Deutschen handelt.
Mein Interesse und meine Neugierde haben mich zu dem Bemühen veranlasst, Harun-el-Raschid Bey kennenzulernen.
Nun hat ein günstiges Geschick mir die Gelegenheit gegeben, diesen Harun-el-Raschid in ADDIS-ABEBA, und zwar in der
Pension "Deutsches Haus" persönlich kennenzulernen. |
Herr Heft (Betreiber des "Deutschen Hauses") mit Milly und Wilhelm
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Harun-el-Raschid's abessinische Freunde, die seine persönlichen Eigenschaften und seine militärischen Fähigkeiten kennen,
bedauern es, daß er nicht in der Abessinischen Armee Dienste tut, da seine Kenntnisse und langjährigen Erfahrungen im
Kriege der Abessinischen Armee sehr nützlich sein würden.
Ich habe den Glauben, daß dieser Mann aber nirgends Dienst und Arbeit zu übernehmen willens ist außer..... im islamischen Orient!
Während wir nun eine Tasse Kaffee tranken, zu der der Oberst mich einlud, trat an ihn in militärischer Haltung ein jüngerer
schlanker Mensch heran und überreichte ihm einen Brief. Auf meine Frage, wer dieser Mensch gewesen sei, erwidert mir der
Oberst, es sei sein Chauffeur, der bereits im Kriege bei ihm Dienste getan habe. |
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Der oben wiedergegebene Zeitungsartikel liegt nur abschriftlich vor und dies möglicherweise nicht einmal vollständig. Mir fehlt da irgendwie
ein Schluß. Überhaupt erscheint der gesamte Text im Kontext einer Zeitungsveröffentlichung ziemlich fragwürdig. Es müsste zunächst einmal geklärt werden, ob er
tatsächlich so erschien. Eine Recherche im Zeitungsarchiv des " Al-Mokattam" sollte aufgrund des mitgelieferten Datums relativ zügig Ergebnisse
liefern. Wenn man erstens Zugriff darauf hätte und zweitens auch noch arabisch lesen könnte.
Inhaltlich ist das Ganze ja nicht viel mehr als ein Lebenslauf, so wie ich ihn bis zu diesem Punkt auf den vorangegangenen Seiten rekonstruiert habe. Da sich die Aussagen in diesem Zeitungstext denen aus anderen Dokumenten stark gleichen, habe ich den Verdacht, daß der Verfasser des Textes kein anderer als Wilhelm selbst war... | |||||||||
Die (angebliche) Maskerade eines Journalisten pflegte Wilhelm doch einigermaßen
konsequent. Ab dem 24. August 1935 erschienen im Senftenberger Anzeiger unter der
Überschrift "Auf der Fahrt nach Abessinien. - Reisebericht eines Landsmanns." in
kurzen Abständen Texte Wilhelms, die den Lesern die persönlichen Eindrücke des
Afrikareisenden vermitteln sollten. Was zunächst mit privaten Erlebnissen und
Einschätzungen begann, uferte später zu sehr theoretischen und langweiligen Abhandlungen
hinsichtlich des äthiopischen Staates aus.
Nachdem der Erzähler in seiner Geschichte in Abessinien angelangt war, änderte sich
mit Folge 4 auch der Titel der Serie. Die Schriftleitung des Senftenberger Anzeigers
führte dazu aus:
Nachstehend setzen wir die veröffentlichten Reiseberichte, die wir unter dem
Titel "Auf der Reise nach Abessinien" begannen, unter dem Titel "In Abessinien" fort.
Wiederum stehen unserer geschätzen Leserschaft sehr aktuelle, flott und spannend
geschriebene Abhandlungen bevor.
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Die Serie der Reiseberichte lief im Senftenberger Anzeiger bis zum 15. Februar 1936 und war aufgrund des Postweges, den die Manuskripte nehmen mussten, natürlich um einiges zeitverzögert. Ob die Texte, die teilweise mit Fotografien des Verfassers illustriert wurden, auch in anderen deutschen Zeitungen erschienen, ist ungewiss. Wahrscheinlich nicht.
In jedem Fall erkennt man in den Abhandlungen teilweise eine große Portion Arroganz,
Abgehobenheit, Deutschtümelei bis hin zu Anklängen von Rassismus. |
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Es ist übrigens erstaunlich, wieviele Filmaufnahmen von Addis Abeba aus der
Mitte der 1930er Jahre existieren. Ich kann nur die Empfehlung ausgeben,
sich diese einmal anzusehen um sich selbst ein lebendiges Bild von den
Gegebenheiten zu machen, die sich damals den Europäern im Allgemeinen und
Wilhelm und Milly im Besonderen boten.
Die Filmsequenz entstand bei der Verabschiedung von italienischen Zivilisten, die angesichts der sich anbahnenden Invasion der
italienischen Armee im Norden Abessiniens, Addis Abeba in Richtung Djibouti verlassen mussten. Möglicherweise existiert weiteres Filmmaterial
von dieser (oder anderer) Gelegenheit. Nachdem wir nun wissen, wonach wir suchen müssen, sollte das Erkennen grundsätzlich kein Problem mehr
darstellen.
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Und tatsächlich! In einem Wochenschau-Auschnitt der
British Pathé wird dasselbe Ereignis thematisiert und
dabei mit etwas anderen Bildern illustriert. Auch hier
können wir Wilhelm und sogar Milly ausmachen. Wir sehen
beide am linken Bildrand zwischen 00:11 und 00:13.
Der Dame, die man in dem Film oben bereits auf dem Bahnsteig verabschiedet hatte, reicht man nochmals die Hände durch das geöffnete Waggonfenster.
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British Pathé - "Foreigners leave Addis Ababa by train" |
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Mit Voranschreiten der Front in südwestlicher Richtung und dem Vormarsch der Italiener auf Addis Abeba wurde auch das Leben der restlichen
Europäer zunehmend unsicherer. Da im Kriegsverlauf auch Bombardierungen und Granatenbeschuß Einzug hielt, war es angeraten, die umkämpften
Gebiete zügig zu verlassen. Die zugehörige Presseanweisung des Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vom 23. Dezember des Jahres offenbart darüber hinaus, wie man Wilhelm an höherer Stelle einschätzte:
An dem aus Addis Abeba ausgewiesenen Harun al Raschid Hintersatz habe man kein besonderes Interesse. Er sei eine etwas romantische
und abenteuerhafte Persoenlichkeit, ueber deren Ausweisung sich aufzuregen nicht angebracht sei.
Pariser Tageblatt (22. Dezember 1935) |
"Der Wiener Tag" (22. Dezember 1935)
Der überraschenden Abreise des Paares gingen zwei "Hausbesuche" am 16. und 20. Dezember voraus. Wobei es sich fraglos um die, auch im Zeitungsbericht
angesprochenen, Hausdurchsuchungen der entsprechenden äthiopischen Behörden, handelte. Zwischen diesen beiden Tagen wurde Wilhelm am 18. Dezember in Addis Abeba "überfallen".
Genaueres hierzu ist nicht ermittelbar.
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Grundsätzlich fiel Wilhelms Abgang in eine Zeit, in der die große Abreisewelle der vielen Glücksritter und Korrespondenten, die entweder auf eigene Rechnung oder im Auftrag
einer Zeitung aus irgendeinem Land dieser Welt, Monate zuvor scharenweise in Addis Abeba eingefallen waren, um von hier hautnah über den heraufziehenden
italienischen Angriffskrieg zu berichten, bereits im vollen Gange war.
Während von dieser generellen Bewegung kaum jemand Notiz nahm, stach Wilhelms Abreise dann doch etwas heraus. Immerhin berichteten mehrere internationale Zeitungen darüber. Am 22. Dezember, morgens um 10 Uhr, traf die Entourage in Djibouti ein. Hier vertraute Wilhelm einem Journalisten der Press Association die Hintergründe für seine Ausweisung an. Daraus resultierten zahlreiche Texte in englischen Tageszeitungen, von denen nachfolgend nur ein kleiner Teil dargestellt wird:
"Belfast Telegraph" (23. Dezember 1935) - "The Scotsman" (24. Dezember 1935)
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Die oben abgebildeten englischsprachigen Meldungen ähneln sich
inhaltlich. Aber neben der generellen Information über Wilhelms Vergangenheit
in der Türkei und den damit verbundenen Namenswechsel, transportieren
die Texte vergleichsweise detaillierte Informationen. Demzufolge wurde
Wilhelm von einem Bediensteten verraten, der scheinbar die brisante
Information weitergab, daß in dem Auto, mit dem Wilhelm angereist war,
ein kleines, aber leistungstarkes, Funkgerät verbaut war. Bedient wurde
selbiges angeblich von Fritz Vogel, der offiziell als Chauffeur fungierte.
Mit diesem Funkgerät soll der Erzählung nach Kontakt zur italienischen
Seite gehalten worden sein.
Um 6 Uhr abends wurde das Haus des genannten "Dr. Farago" durch die örtliche Polizei umstellt. Hier waren die drei Deutschen (Milly, Wilhelm, Fritz) wohl schon seit einiger Zeit untergekommen, nachdem sie die erste Zeit im "Deutschen Haus" der Eheleute Heft logierten. In der Unterkunft wurde die Dienerschaft verhört, sämtliche Räume durchsucht, Briefe, Fotos und Waffen konfisziert. Das Auto wurde eingezogen und allesamt wurden ohne Gepäck und Geld in die Eisenbahn gesetzt. Gespräche mit irgendjemandem, sowie das Hinzuziehen des deutschen Konsuls, waren untersagt. Besagter Faragó hatte dem Vernehmen nach lediglich den Fehler begangen, die drei Spione in seinem Haus zu beherbergen. Grund genug, ihn ebenfalls des Landes zu verweisen.
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Die Berichterstattung in US-amerikanischen Zeitungen machte aus Wilhelm mehrheitlich einen "Franz" wartete aber teilweise mit weiteren Details auf, die die
Geschichte noch blumiger ausschmücken. Abweichend von den britischen Zeitungen lastete man die Schuld an Wilhelms "Auffliegen" jedoch nicht irgendwelchen Bediensteten
an sondern lieferte die Information, daß die deutsche Gesandtschaft in Addis Abeba, namentlich Dr. Kirchholtes, eigene Nachforschungen bezüglich Wilhelm anstellte und die
entsprechenden Ergebnisse den abessinischen Stellen übermittelte. Daraufhin ordnete der Negus höchstpersönlich die Gefangennahme und Ausweisung der Spionageverdächtigten an.
Tatsächlich waren sich Wilhelm und der Deutsche Gesandte Dr. Hans Kirchholtes bekannt. Letzterer folgte mit seiner Gattin neben anderen Gästen am 5. September 1935 der Einladung von Milly und Wilhelm in deren Wohnung. Weitere Beteiligte bei diesem gemütlichen Umtrunk: Dr. Kurt Ewert und Frau, Herr und Frau Dored (Paramount) sowie die Gattin des türkischen Botschafters Nizamettin Ayaşlı. |
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"The Philadelphia Inquirer" (22. Dezember 1935) - "The Miami News" (22. Dezember 1935)
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Ob die einzelnen Bausteine dieser Legende aber allesamt der Wirklichkeit entsprachen? Wie immer bei Wilhelm, wird schon überall ein Fünkchen Wahrheit daran gewesen sein.
Doch speziell die Rolle, die dieser ominöse Laszlo Faragó in der Angelegenheit spielte, bleibt aktuell nebulös.
Lodzer Volkszeitung (27. Dezember 1935) |
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