last update: 16.03.2023 19:58
In Senftenberg gab die hiesige Kirchengemeinde
schon Anfang 1915 die Absicht kund, die alte
Oberpfarre abzureißen und an derselben Stelle
einen Neubau auszuführen. Man rechnete mit Kosten von
30.000 Mark. Die Stadtverordnetenversammlung
bewilligte hierzu im November 1915 das sogenannte
"Patronatsdrittel" in Höhe von 10.000 Mark.
Abriß und Neubau, der von Oberpfarrer Hintersatz überwacht wurde, zog sich über einen längeren Zeitraum hin und tangierte die Familie selbst irgendwann stärker. Immerhin bewohnte man das abzureißende Haus und da das neue an mehr oder weniger derselben Stelle errichtet wurde, mußte man zwangsläufig für einen gewissen Zeitraum woanders unterkommen. Wo genau, ist aktuell nicht zu ermitteln.
Senftenberger Anzeiger (April 1916) |
Das Areal der Oberpfarre auf einem Stadtplan aus dem Jahre 1910 |
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Um die Mitte 1916 schritt man zur Tat. Bei dieser Gelegenheit wurde auch gleich noch das Nebenhaus (Kirchplatz Nr. 15) abgerissen.
Das Geschehen um den Neubau der Oberpfarre hielt den Senftenberger Teil der Familie in Atem. Aber auch Wilhelm junior erlebte die ein
oder andere einschneidende Wendung in seinem Leben...
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Schwere Erfrierung meiner rechten Gesichtshälfte bei einem Sturmflug setzte April 1916 (05.04.16) meiner fliegerischen Tätigkeit ein Ende. Nach meiner Wiederherstellung bis zur Garnisonsdienstfähigkeit
übernahm ich noch die Führung der Fliegerschule Altenburg, bis im Herbst 1916 meine Kommandierung zur Dienstleistung bei St. Gen. Kdo. III. (3. Armeecorps) erfolgte. Meine dortige, das Ersatzwesen umfassende
Tätigkeit, lag mir wenig. Ich griff daher mit Freuden zu, als sich mir Verbindung bot, zu dem damals deutscherseits unterstützten Finnischen "Büro Wetterhoff". Hier wurden damals alle Fäden
gesponnen, die in Richtung der Befreiung Finnlands von Rußland gelegt wurden und an dieser Arbeit habe ich wesentlich mitgewirkt. Hier bereitete ich die erste Organisation finnischer Freiwilliger vor, die später erfolgreich für die Befreiung Finnlands vom Russischen Reich eingesetzt wurden und die das Fundament bildeten, auf dem sich die heutige finnische Armee entwickelte. In Anerkennung dessen wurde mir die höchste finnische Kriegsauszeichnung, das Kommandeurskreuz II. Klasse der Weißen Rose Finnlands mit Schwertern verliehen, was mich gleichzeitig zu einem finnischen Bürger "ehrenhalber" machte. Die Verleihung des Ordens an Wilhelm erfolgte am 22. April 1920 Liste. |
Ob der Einsatz an der "Fliegerschule Altenburg" mit der Verlegung der Fliegerersatz-Abteilung 1 von Berlin nach Altenburg, die im Februar 1916 erfolgte, im Zusammenhang stand, ist aktuell ungekärt. |
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Sie (die Arbeit mit den finnischen Freiwilligen) führte sehr bald in das Spiel der Politik. Ich wurde zu politischem Sondervortrag in das Große Hauptquartier befohlen. Dort aber
hielt man damals die Zeit noch nicht für mich gekommen. Da andererseits ich keine Neigung hatte, mit ungewissen Aussichten im Innern zu weilen, bat ich, inzwischen wiederhergestellt, um feldmäßige Verwendung.
Ich fand diese als Divisions-Adjutant im Stabe der neu aufgestellten 254. Infanterie-Division. In dieser Position lernte ich an drei unterschiedlichen Fronten den Stellungskrieg
in allen Formen und allen Einzelheiten kennen (Sturmtrupp, Minenwerfer, Gaskrieg, Nachrichtendienst usw.)
In die Zeit bei der 254. Infanterie-Division fallen u.a. die Teilnahme an folgenden Kampfhandlungen:
Im vierten Kriegsjahr erhielt Hauptmann Hintersatz weitere Auszeichnungen: |
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Von dieser (Stellung bei der 254. Inf.Div.) wurde ich zu meiner
Versetzung in das Kriegsministerium eingegeben, das für eine Sonderaufgabe
einen entsprechend qualifizierten Offizier suchte.
Im Zusammenhang mit der geplanten Versetzung Hintersatz' ins Kriegsministerium wurde wiederum ein "Qualifikationsbericht" durch seinen Vorgesetzten, den Divisions-Kommandeur Generalmajor Lepper, verfasst, der rechts im Wortlaut wiedergegeben ist. |
Elegante militärische Erscheinung, klarer scharf denkender Kopf, militärisch vortrefflich
beanlagt, flotter und gewandter Reiter, heiterer Gesellschafter von besten Formen, beliebter Kamerad.
Eignet sich besonders für das Kriegsministerium, da er ausser den erwähnten Eigenschaften ein selbstständiges Urteil besitzt, das er, wenn auch in bescheidener Form, auch seinen Vorgesetzten gegenüber zur Geltung zu bringen versteht. Arbeitet sich schnell auch in fremde Gebiete ein. Seine Vorbildung lässt ihn ebenfalls als besonders geeignet erscheinen. In Folge seines Kommandos zur Militchn. AKADEMIE besitzt er Kenntnisse in technischen Fragen, Waffenwesen und Ballistik, in Flug- und Motorenwesen noch ganz besonders, da er selbst FLUGZEUG-FÜHRER gewesen ist. Als DIVISIONS-ADJUTANT vorzüglich bewährt, gewandt im Vortrag. Dolmetscher im Französischen mit dem Prädikat "besonders geeignet". Füllt seine Stelle vortrefflich aus. |
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Die Eingabe wurde jedoch durch allerhöchste Kabinettsordre durchkreuzt, die meine Kommandierung in die Türkei zwecks Verwendung dort als
M.G.-Kommandeur einer Armee aussprach. Sie erfolgte aufgrund meiner Spezialschulung im M.G.-Wesen sowie meiner Sprachkenntnisse (auf der
Militchn. Akad. habe ich die Dolmetscher-Prüfung in Französisch mit dem Prädikat "besonders geeignet" abgeschlossen; zudem verfügte ich
bereits über Kenntnisse der türkischen und Anfangsgründe auch der arabischen Sprache).
Ich wurde nunmehr als Kaiserl. Osman. Major in die Türkische Armee eingereiht und hatte das von anderen allgemein "gefürchtete" Glück, in den Stab Seiner Exzellenz des Marschalls Liman v. Sanders Pascha versetzt zu werden. Ergebnis: Marschall Liman v. Sanders Pascha ist mir ein wohlwollender Vorgesetzter und bis zu seinem Tode ein väterlicher Gönner gewesen. |
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Fernab jeder Front ging das Leben in Senftenberg natürlich auch weiter.
Irgendwie. Die Bevölkerung der Stadt kam zwar nur mittelbar mit dem
Kriegsgeschehen in Kontakt doch das tägliche Leben barg viele Entbehrungen.
Die Rationierung von Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs, das
Einziehen so ziemlich aller Materialien, die sich irgendwie in kriegswichtige
Ausrüstung verarbeiten liessen nahm teilweise extreme Ausmaße an.
Rückblickend wirkt dies zuweilen kurios, doch der Bevölkerung war damals sicher nicht zum Lachen zumute. Oberpfarrer Hintersatz sammelte Spenden für U-Boote, Kriegsbeschädigte Kolonialkrieger und wofür in dieser Zeit alles noch Geld- und Sachspenden gefordert wurden. Für seinen diesbezüglichen Einsatz erhielt er im April 1918 das Verdienstkreuz für Kriegshilfe.
Senftenberger Anzeiger (April 1918) |
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Bei einer Sache sperrte er sich aber! Als es daran ging, im Rahmen der "Metallspenden" auch Kirchenglocken zu beschlagnahmen, intervenierte er erfolgreich.
Es gelang ihm, die drei bronzenen Glocken der Senftenberger Deutschen Kirche vor der Herausgabe und Verschrottung zu bewahren.
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Das Foto links, welches auf 1917 datiert wurde, legt nahe,
daß die Bautätigkeiten rund um den Abriß und den Neubau der
Oberpfarre spätestens in jenem Jahr abgeschlossen
waren.
Wir sehen Oberpfarrer Hintersatz mit Frau Louise und Tochter Johanna inklusive Haustieren im Vorgarten der neuen Oberpfarre. |
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Der September 1917 gilt als der Zeitpunkt, an dem Hauptmann Wilhelm Hintersatz in die Türkei abkommandiert wurde. Beim Übergang in die osmanischen Armee erfolgte
für alle deutschen Offiziere automatisch die Beförderung in den nächst höheren Dienstgrad, womit er umgehend in den Rang eines Majors aufstieg. |
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Rasch wurde Hintersatz jedoch zum General-Inspekteur des gesamten Maschinengewehr-Wesens der türkischen Armee und zugleich zum Abteilungschef im Großen Hauptquartier (19. Abteilung) befördert
Damit ging die erste und gesamte Organisation des Maschinengewehrwesens in der Türkei in meine verantwortlichen Hände über.
Ende September 1918 erhielt die Leserschaft des Senftenberger Anzeiger Kunde von einer eher exotisch anmutenden Ordensverleihung an ein Kind ihrer Stadt... nämlich der der
Kaiserl. Osmanische silberne Liakat-Medaille mit Schwertern: Senftenberger Anzeiger (24. September 1918)Die Verleihung der Liakat-Medaille, die laut Nachweis am 16. September 1918 Liste erfolgte, reiht sich nahtlos in eine ganze Kette von Auszeichnungen ein, die Wilhelm Hintersatz zwischen Ende 1917 und Ende 1918 erhielt. Aufgrund welcher Verdienste dies jeweils geschah, ist im Einzelfall aktuell nicht ermittelbar.
Senftenberger Anzeiger (7. Juli 1918) |
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In der Stellung des General-Inspekteur des gesamten M.G.-Wesens verantwortete Major Hintersatz die Neugliederung der Maschinengewehr-Formationen, die Vereinheitlichung der Waffen hinsichtlich Modell, Kaliber und Munition, sowie
die Untersuchung und Optimierung der Transportmittel für Maschinengewehre. Desweiteren wurde eine Reserve von 800 deutschen und 200 russischen Maschinengewehren im Hauptdepot aufgebaut,
sämtliche wichtigen schweren Batterien wurden mit Waffen zur Verteidigung gegen Nah- und Fliegerangriff ausgestattet und schließlich konnten die Fliegerabwehr in Konstantinopel und
wichtige Punkte, Kunstbauten, Depots usw. beträchtlich verstärkt werden. Durch die Maschinengewehr-Generalinspektion wurde dafür gesorgt dass allen etwa eintretenden kritischen Lagen
mit voller Ruhe entgegengesehen werden konnte. Schließlich baute die Maschinengewehr-Generalinspektion bereits auch der künftigen FRIEDENS-ORGANISATION vor, indem sie ZWECKMÄSSIGE Grundlagen
für die DEMOBILMACHUNG, zugleich für die Friedens-Organisation der Maschinengewehr-Waffe verfasste. Soweit eine stark geraffte Zusammenfassung der Aufgaben und Verdienste der General-Inspektion des türkischen Maschinengewehrwesens, die einem Leistungsbericht entnommen ist, den Hintersatz zum 17. Oktober 1918 auf Befehl des Chefs des Generalstabes einreichte. Besagtes Schreiben ist übrigens mit "gez. Harun - el - Raschid Bey" signiert, was uns nunmehr zu einem sehr wichtigen Ereignis im Leben Wilhelms bringt... Damit ist seine Konvertierung zum Islam gemeint, die Wilhelm 25 Jahre später folgendermaßen beschreiben und begründen wird: Bereits als Schüler war ich Dank einem Zufall in Verbindung mit der Türkischen Botschaft und durch diese in Verbindung mit den Begriffen der Islamischen Kultur und Religion gekommen und stand damals bereits dem Islam innerlich nahe. Ich blieb auch als Offizier in engster Fühlung mit hohen türkischen Kreisen und war ein häufiger Gast der Türkischen Botschaft. Im Kriege habe ich - in vollem Bewußtsein der daraus für mich als Deutschen vorauszusehenden Konflikte! - aus meiner gewonnenen Einstellung die Folgerung gezogen und bin Mohamedaner geworden. Seine Hoheit, der Scheich-ül-Islam Kiazim Effendi persönlich hat mich geweiht und anläßlich dessen als höchste islamische Ehrung die Übetragung der ausgestorbenen alten Familie der "Harun-el-Raschid Bey" auf mich ausgesprochen. Die angesprochene Zeremonie unter Mitwirkung Musa Kâzım Efendis muss im Laufe des Jahres 1918 stattgefunden haben denn am 10. März 1919 wurde der muslimische Würdenträger festgenommen und inhaftiert. Einige Monate später zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde das Urteil später in ein 3-jähriges Exil abgeschwächt. In diesem starb Musa Kâzım Efendi am 10. Januar 1920. Er war im übrigen nicht der einzige, der angesichts der Niederlage der Osmanen im 1. Weltkrieg in Ungnade fiel, bestraft wurde oder fluchtartig das Land verliess. Was letztlich auch die Pläne, die Wilhelm Hintersatz bzw. nunmehr Harun-el-Raschid Bey hatte, oder die man mit ihm hatte, zunichte machte...
Als der Krieg noch in vollem Gange war, war es zwischen den führenden türkischen Persönlichkeiten (Seine Majestät der Sultan und Chalif, Vizegeneralissimus Exz. Enver Pascha,
Großvesir Talaat Pascha u.a.) ausgemachte Angelegenheit, daß ich auch für Nachkriegszeit in türkischen Diensten bleiben würde. |
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In dieser meiner verantwortlichen Stellung und Arbeit habe ich bei Kriegsende - im Laufe des Krieges 3 mal verwundet - meine aktive militärische Laufbahn abgeschlossen, in der
Deutschen Armee als Major a.D., in der Osmanischen Armee - also in meinem letzten Wirkungsbereich - als Kaiserl. Osman. Oberst a.D.
Die hier erwähnte dritte Verwundung (die ersten beiden erlitt Hintersatz ja bereits 1914 und 1916) zog er sich bei der Verteidigung Konstantinopels während eines Luftangriffs zu. Diese dritte Verwundung am 17. August 1918 führte zur Verleihung des Verwundetenabzeichens in silber am 1. September 1918 Liste, welches er sich neben dem Kaiserl. Osmanischer Medschidié-Orden 3. Klasse mit Schwertern (23. Oktober 1918 Liste) und der Türkischen Verdienstmedaille vom Roten Halbmond als jeweils türkische Auszeichnungen an seinen Uniformrock anheften durfte. |
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Die Rückkehr Wilhelms nach Deutschland muß Ende 1918,
spätestens Anfang 1919 stattgefunden haben. Was seine
Senftenberger Familie, protestantisch geprägt, und
speziell sein Vater als evangelischer Pfarrer von
seiner Konvertierung zum Islam hielten, ist leider
nicht überliefert.
Man kann nur vermuten, daß diese davon wenig begeistert waren, vielleicht das alles aber auch nur als neuen "Flitz" ihres "Helmi" ansahen.
Nach seiner Rückkehr aus der Türkei gab es für diesen
offenbar keine lange Verschnaufpause, denn |
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Im Februar 1919 erschien nebenstehender Aufruf im "Senftenberger
Anzeiger", möglicherweise auch in anderen Lausitzer Zeitungen.
Darin ruft Major Hintersatz seine Landsleute zur Vaterlandsverteidigung im Rahmen des sogenannten "Freikorps Lausitz" auf. Die Zeitung ließ es sich auch nicht nehmen, in einem kurzen Kommentar auf die lokalen Wurzeln des Kommandeurs in spe hinzuweisen...
Senftenberger Anzeiger (16. Februar 1919)
Der Aufruf verhallte jedoch weitestgehend ungehört... von einer Aufstellung
eines Freikorps unter diesem Namen ist jedenfalls nichts überliefert. |
Senftenberger Anzeiger (16. Februar 1919) |
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Ich habe auch wohlwollende Angebote des Herrn Ebert, so gut dieser es offenbar meinte, abgelehnt.
Statt dessen trat ich in den Dienst der dem Reichsschatzministerium angeschlossenen Militär-Polizei. Nach ganz kurzer Zeit wurde ich deren "Leiter der Exekutive".
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Besagte Stelle beim Reichs-Schatzministerium trat Hintersatz im späten Frühjahr 1919
an. Er muß dort relativ schnell zum stellvertretenden Leiter der Militärpolizeistelle
aufgestiegen sein, denn seine Bestellung als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft
durch Erlaß des Justizministers und des Ministers des Innern vom 18. Juli 1919
verzeichnet Hintersatz' Stellung als solche.
Sein Verbleib bei dieser Behörde war indes nur von relativ kurzer Dauer, in der er aber wertvolle Dienste leistete und nur knapp einem Mordanschlag entging... Der "Senftenberger Anzeiger" und andere regionale deutsche Zeitungen berichteten Ende September 1919 in nahezu gleichem Wortlaut, natürlich mehrheitlich ohne den Senftenberg-Bezug des Protagonisten:
Senftenberger Anzeiger (September 1919)Mordanschlag auf den Leiter der Polizeistelle
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Gestern vormittag rief ein Mann den Major Hintersatz in seinem Bureau durch den
Fernsprecher an. Er nannte sich Müller und sagte, daß er den Major in einer ganz dringenden
Sache persönlich sprechen müsse. In kurzen abgebrochenen Sätzen erklärte er, daß die
Angelegenheit dienstlich sehr wichtig sei. Major Hintersatz glaubte es mit einem Manne
namens Müller zu tun zu haben, der ihm als Vertrauensmann bekannt ist, und durch den er
schon wiederholt wertvolle Fingerzeige erhalten hatte. Er antwortete,
daß er ihm zur Verfügung stehe und bat ihn, in sein Bureau zu kommen. Müller erwiederte, daß
er heute nicht kommen könne, daß er aber dei Verantwortung nicht übernehmen könne, wenn die
ganze Sache dadurch, daß er den major nicht noch denselben Abend sprechen könne, ins Wasser
fallen würde. Jetzt erklärte sich Major Hintersatz bereit, mit ihm anderwärts zusammenzukommen.
Müller gab als Treffpunkt die Schmargendorfer Brücke, unweit des
Heidelberger Platzes und des Bahnhofs Schmargendorf an. Der Platz liegt ganz in der Nähe der
Wohnung des Offiziers. Als Zeit setzte Müller zehn Uhr abends fest. Major Hintersatz begab sich
auch zur festgesetzten Stunde an die verabredete Stelle. Als er einige Male auf und ab gegangen
war, trat ein großer Mann, der einen Ueberzieher mit hochgeschlagenem Kragen und einen grünen
Jägerhut mit heruntergeschlagener Krempe trug, an ihn heran. Der Major, der den Mann in der
Dunkelheit nicht erkennen konnte, sprach ihn mit Herr Müller an. Dieser antwortete kurz: "Guten
Abend, Herr Major", und fügte hinzu, daß er hier mit ihm nicht sprechen könne, weil er befürchte,
gesehen zu werden, der Major möge ihm deshalb folgen. Das tat der Offizier auch; der Mann schlug
nun einen rechts abbiegenden stockfinsteren Weg ein. Nun schöpfte der Major Verdacht, folgte ihm
nur etwa 10 bis 15 Schritte, und rief ihm dann zu, daß hier Platz genug sei, um ungestört zu
sprechen. In diesem Augenblick wandte sich der Mann um und sprang mit den Worten: "Jetzt hab ich dich, du Hund"
auf den Major zu. Gleichzeitig schlug er ihn mit einem Eisenknüppel auf den Kopf. Der Offizier
packte den Angreifer mit der linken Hand an der Brust und schoß ihm mit der Erwiderung: "Nein,
noch nicht!" eine Kugel in die Brust. Der Getroffene taumelte
zurück und schrie laut auf. Im gleichen Augenblick sprangen zwei weitere Männer auf den Major zu.
Während der eine auf etwa vier Schritt Entfernung auf den Major schoß, diesen aber fehlte,
stand der zweite tatlos beiseite. Major Hintersatz richtete jetzt seine Waffe auf den Schützen,
doch versagte diese. Da er nun kein Verteidigungsmittel mehr besaß, lief der Beamte auf die
Straße zurück. Er begab sich zum nächsten Polizeirevier und suchte dann mit Beamten den Schauplatz
des Zusammenstoßes ab, aber die Täter hatten sich bereits entfernt. Der Major begab sich nun nach
seiner Wohnung. Hier sprach er noch mit einem Kommissar, der in demselben Hause wohnt, über den mißlungenen
Anschlag. Als sich der Kommissar wieder in seine Wohnung begeben und Licht gemacht hatte, wurde ein
Stein gegen den Rollvorhang geworfen. Der Beamte zog
diesen hoch und erblickte nun zwei Männer, von denen der eine gerade die Pistole im Anschlag hielt.
Als sich beide bemerkt sahen, ergriffen sie die Flucht und entkamen. Bis jetzt ist es noch nicht
gelungen, ihrer habhaft zu werden.
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Anfang 1920 schied Wilhelm Hintersatz / Harun-el-Raschid Bey aus der Militärpolizei aus. Das zugehörige "Dienstleistungszeugnis" vom 2. Februar 1920
liest sich wie folgt:
Der Kaiserl. Osman. Oberst a.D. HARUN - el RASCHID Bey ist am 1. Mai v.Js. in die Militärpolizei eingetreten.
Sein ausgezeichnetes Organisationstalent war der Dienststelle von grossem Nutzen, und hat er an dem Ausbau der Stelle, die sich derartig erweiterte, dass im Deutschen Reich 26 Zweigstellen gegründet wurden, ind er Hauptsache mitgeholfen. Seine auffallende Umsicht und seine aussergewöhnliche Begabung namentlich in Bezug auf Einarbeitung in fremde Materie, veranlassten mich, ihn als meinen dauernden Vertreter und Leiter der EXECUTIVE zu ernennen. Als solcher hat er der Dienststelle wertvolle Dienste geleistet. Besonders anzuerkennen ist sein unverwüstlicher und unermüdlicher Fleiss. Seine ENERGIE und die Behandlung seiner Untergebenen war mustergültig. Herr HARUN-el-RASCHID Bey scheidet aus, weil ihm ein anderweitiges Angebot erheblich bessere Zukunftsaussichten verspricht. gez. Mittmann
Erstaunlich an diesem Zeitpunkt der Geschichte, ist die Verwendung seines neuen Namens innerhalb amtlicher deutscher Dokumente. Die offizielle
Umbenennung zu Harun-el-Raschid-Bey erfolgte nämlich noch nicht im Februar 1920. Wahrscheinlich wurde bei der späteren Abschrift des
obigen Zeugnisses der Name ausgetauscht.
Ein "verrückter Vogel" mit Papagei und weiblicher Begleitung
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Die links abgebildete Notiz in seiner Senftenberger Akte
belegt, daß die "deutsch-amtliche" Namensänderung
spätestens im September 1920 vonstatten ging, lässt das
exakte Datum des Aktes jedoch ungenannt.
Dieses lässt sich aber auf Grundlage der Abschrift weiter unten auf den 6. August 1920 fixieren. Dem voraus ging natürlich bereits erwähnter Akt in der Kaiserlich-Persischen Gesandtschaft zu Berlin...
Legation Imperiale de Perse Berlin
Am heutigen Tage, den 31. Mai 1920, hat, in Gegenwart der unterschriebenen Zeugen, auf der Kaiserlich-Persischen Gesandtschaft, Herr Major Wilhelm Hintersatz, geboren am 26. Mai 1886 in Senftenberg (Lausitz) vor dem Imam Alim Idris, legitimiert durch Ausweis des preussischen Kriegsministeriums, das Bekenntnis des Mohammedanischen Glaubens abgelegt und den Namen Harun-el-Raschid angenommen. Berlin, den 31. Mai 1920 gez. Harun-el-Raschid Hintersatz, Imam A. Idris, Abbas Kadjar, Youssof Aloaddin, E. Medayal, Mohssen, Dr. Schukry Ahmed, Ahmed Irfan, Madjid. Die obenstehenden Zeugenunterschriften sind von Herren Alim Idris, Ahmed Irfan, Youssof Alaoddin, Dr. Schukry Ahmed, Legationssekretär Abbas Khan Kadjar, Herrn Mohsen Khan und Maddjid Khan in Gegenwart des Unterzeichneten ausgeführt und hiermit wird Herr Major Harun-el-Raschid Hintersatz als Mohamedaner anerkannt. Berlin, den 31. Mai 1920
Der Kaiserlich-Persische Gesandte:
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Die, neben Wilhelm, zweite Hauptperson der Zeremonie, Imam Alimjan Idris, wurde am 1. Mai 1887 in Kasachstan
geboren, studierte Islam und Philosophie in Buchara und Istanbul und kam während des 1. Weltkriegs als
Kriegsgefangener nach Deutschland. Hier wirkte er u.a. als Mullah in den beiden Lagern Zossen und Wünsdorf, in
denen hauptsächlich muslimische Gefangene interniert waren. Hier initierte er auch die Errichtung der
ersten Moschee auf deutschem Boden.
Sein weiterer Werdegang hatte aber auch so einige bedenkliche Stationen...
Bis 1921 hatte Idris im Auftrag des Preußischen Kriegsministeriums die Verantwortung für die ehemaligen muslimischen Gefangenen.
1922 entsandte man ihn in die Sowjetunion um muslimische Studenten für ein Studium in Deutschland zu werben.
Kurz nach seiner Einreise wurde er jedoch von sowjetischen Sicherheitsbehörden festgenommen. Nach einigen Monaten in Haft
wurde er durch Intervention der Deutschen entlassen und kehrte umgehend nach Berlin zurück. 1933 wurde Idris Berater im Orientreferat
der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs arbeitete er propagandistisch u.a. für Radioprogramme
in türkischer und arabischer Sprache. Das Auswärtige Amt gab bei ihm sogar eine persische Übersetzung von Hitlers "Mein Kampf" in
Auftrag.
Als die SS 1944 einen Leiter für ihre Mullah-Schule zur Ausbildung von Feld-Imamen in Dresden suchte, griff man auf ihn zurück. Und das
obwohl er 2 Jahre zuvor in Ungnade gefallen war. Idris hatte bei der Anwerbung muslimischer Kriegsgefangener für die Wehrmacht in den
Augen seiner Auftraggeber seine Kompetenzen deutlich überschritten und war kurzerhand von der Aufgabe entbunden worden. |
Alim Idris |
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Auf Grund der Verordnung der preussischen Staatsregierung, betreffend die Änderungen
von Familiennamen, vom 3. November 1919 - G.S.S. 177 - ermächtige ich den Major a.D.
zu führen. Der Justizminister, Im Auftrage gez. Dr. Anz. |
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Deutscher Reichsanzeiger (20. August 1920)
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Enver Pascha hatte seinen getreuen Gehilfen zunächst aber notwendiger in Deutschland als in den Regionen seiner Kämpfe im südöstlichen Rußland. Enver brauchte
Waffen. Er hat sie in beträchtlichen Mengen erhalten, und zwar solche Waffen, die andernfalls gemäß dem Versailler Diktat der Verschrottung
anheimgefallen wären.
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Dann habe ich die Ermittlungsabteilung der bahnamtlichen Versicherung (Europäische Güter- u. Reisegepäckversicherung) organisiert und geleitet.
Spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1921 gründete Wilhelm eine "Kriminalistische Detektiv-Organisation". Als Firmenbezeichnung für das Unternehmen konnte es kaum einen passenderen Namen geben, als der eigene. Schließlich wurde so kongenial der Bogen zum Namensvetter Harun al Raschid, dem märchenhaften Kalifen aus Tausendundeiner Nacht, der sich allabendlich verkleidet unter das Volk mischte, um Informationen aufzuschnappen, geschlagen. Diese Assoziation befeuerte man aktiv durch eine entsprechende Symbolik bei der Geschäftspost...
Gute Kontakte ins Reichsschatzministerium und die Reichstreuhandgesellschaft führten dazu, daß die neugegründete Detektei mit lukrativen Aufträgen zum Schutz von Liegenschaften der vorgenannten rechnen konnte. Neben der reinen Bewachung von Lagern nahmen diese auch dankend die "detektivische Bewachung unserer Bestände und des Personals" an. Hierfür sorgten in den 4 Zweigstellen Berlin, Frankfurt/Oder, Stettin und Königsberg insgesamt etwa 230 Wächter, 20 Detektive und 80 Wachhunde. Die Auftraggeber waren insgesamt "mit den bisherigen Leistungen der Detektiv-Organisation zufrieden". Inwieweit es darüber hinaus notwendig war, Aufträge auf dem freien Markt zu generieren ist unklar. Zumindest wurde eine Zeit lang versucht, durch Schalten von Zeitungsinseraten öffentliches Interesse zu wecken...
Diverse Inserate der Detektei Harun-el-Raschid-Hintersatz-Bey aus der Mitte des Jahres 1922 |
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Gleich nach dem Kriege trat die Masse der hier verbliebenen tatarisch-mohamedanischen Kriegsgefangenen an mich heran mit der Bitte, mich ihrer anzunehmen. Ich habe ehrenamtlich die
Interessen der Gesamtgruppe wie jedes einzelnen meiner Schützlinge in jeder Hinsicht und besonders den deutschen Behörden gegenüber vertreten.
Ich habe - z.T. in meinem Bestreben, dem Kampfe Enver's dienlich zu sein - mit den hiesigen zaristischen Russenkreisen und durch diese allmählich mit der Stelle Verbindung aufgenommen, die den Nachrichtendienst für die zaristisch russische West-Armee gegen den Bolschewismus zu bearbeiten hatte. Man gewann Vertrauen zu mir. Ich glaube, sagen zu dürfen: Ich habe auch dies Vertrauen gerechtfertigt und - wieder wesentlich durch meine islamischen Verbindungen! - ordentliche Arbeit getan. Auch die habe ich unentgeltlich getan. Die armen Teufel hatten ja selbst nichts als ihre Passion. So sind mir als Zeugen der Anerkennung nach und nach nur die Dokumente der zaristisch-russischen Ehrungen geblieben. Es sind die höchsten, die zu vergeben waren. Gebrauch davon, habe ich nicht gemacht. Sie haben für mich eben "personell-historischen" Wert. Offenbar spielt Wilhelm hier auf seine Dekoration mit folgenden Orden an...
Noch einem Freunde habe ich in etwa der gleichen Zeit gute Dienste geleistet: Finnland.
Auch dahin sind auf den abenteuerlichsten Wegen mit meiner Hilfe beträchtliche Mengen deutscher Waffen gegangen, die andernfalls der Verschrottung oder Auslieferung anheimgefallen wären.
Und als es dann doch soweit war, daß ich mit fertigem Gepäck auf Enver's angesagtes Telegram wartete, da blieb es aus. Enver war durch armenischen Verrat in
bolschewistischen Hinterhalt gefallen und mit seinem gesamten Stabe massakriert worden. Aus welchem Grund am 1. Oktober 1918 Liste die Verleihung des Georgischen Ordens der Heiligen Tamara erfolgte ist wiederum unklar. Der Besitz ist jedenfalls auch fotografisch belegbar. |
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Währenddessen in Senftenberg...
Am 10. Oktober 1922 heiratet Schwester Hanni den Geschäftsführer der
Deutsch-Nationalen Volkspartei in Demmin, Siegfried Herbert Egbert Martens. Hanni
steht zu diesem Zeitpunkt kurz vor ihrem 24. Geburtstag und lebte bis dahin
(zumindest amtlich gemeldet) bei ihren Eltern in der Senftenberger Oberpfarre.
Es gibt Hinweise auf einen zwischenzeitlichen Aufenthalt in Berlin, der jedoch
weder zeitlich noch bezüglich der Gründe weiter belegt werden kann. In den
Unterlagen wird sie jedenfalls als "berufslos" bezeichnet.
Vater und Mutter Hintersatz waren von der Beziehung scheinbar so angetan, daß sie
eine vergleichsweise opulente Verlobungsanzeige in der Lokalpresse schalteten... Senftenberger Anzeiger (22. März 1922) |
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Wie schon 10 Jahre zuvor, als er seinen Sohn Wilhelm in den Hafen der Ehe geleitete, tat Oberpfarrer Hintersatz selbiges für seine Tochter Johanna.
Wiederum in der Senftenberger Deutschen Kirche leitete er die Zeremonie.
Auszug aus dem Kirchenbuch der Deutschen Kirche zu Senftenberg (Trauungen 1897-1923) |
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Um es kurz zu machen: die Ehe hielt nur zweieinhalb Jahre. Am 26. April 1925 erfolgte
die Scheidung vor dem Landgericht zu Greifswald.
Egbert Martens war nicht nur Geschäftsführer o.g. Partei sondern in vielerlei Hinsicht auch seinem Schwager "auf Zeit", Wilhelm Hintersatz ähnlich. Um einiges jünger als dieser, startete er ebenfalls eine militärische Laufbahn, kämpfte im Ersten Weltkrieg und nahm nach einer längeren Pause durch Eintritt in die Wehrmacht seine Militärkarriere wieder auf. Im Laufe des 2. Weltkriegs gelang es ihm, die Leiter bis zum Oberst zu erklimmen. Am 3. November 1944 wurde ihm das Ritterkreuz verliehen. In einer Einschätzung seiner Person kann man lesen:
Am 8. August 1927 wird Johanna den durch die Ehe erworbenen Nachnamen Martens ablegen und für eine kurze Weile wieder Hintersatz heißen. Zu dieser Zeit lebte sie in Hohen-Neuendorf, nördlich von Berlin. |
Egbert Martens (ca. 1936) |
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Der August 1923 markierte das 40-jährige Amtsjubiläum von Oberpfarrer Hintersatz in Senftenberg. Der Senftenberger Anzeiger weist seine
Leserschaft auf dieses denkwürdige Datum hin...
Senftenberger Anzeiger (August 1923)Seine Stelle war danach für fast zwei Jahre unbesetzt. Erst am 15. April 1926 wurde mit Superintendent Paul Lehnerdt ein neues Oberhaupt für den neu eingerichteten Kirchenkreis Senftenberg feierlich in sein Amt eingeführt.
Nachdem ich 1922/23 nach einem von mir selbst geschaffenen System die Sicherung des Reichs- und Ententegutes in den Reichslagern durchgeführt hatte,
übernahm ich Aufbau und anschließend Leitung der Zentrale des Sicherheits- und Ermittlungsdienstes für die Deutschen Reichswerke, bis diese zerplatzten und
damit meine Stellung.
An die
Deutschen Reichswerke , Berlin Betr. Personalien HARUN - el - RASCHID Bey
Herr HARUN - el RASCHID Bey ist seinerzeit für die Dienste der Deutschen Reichswerke verpflichtet worden, mit der Aufgabe,
den Sicherheitsdienst in den 14 Werken, der zu wünschen übrig liess, gründlichst zu überprüfen und, soweit notwendig, neu zu
organisieren, ferner den mit diesem Sicherheitsdienst zusammenhängenden Feuerschutz in eine präzise Organisation zu bringen und
nach brand-technischen Gesichtspunkten zu kontrollieren. Die gestellte Aufgabe ist jedoch in Kürze viel umfangreicher geworden,
als vorgesehen, und hat sich zumal nach der kriminalistischen Seite erweitert. gez. Jastrow. Locarno, 20.4.25 |
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