last update: 22.04.2021 19:23
Senftenberg, Niederlausitz, Deutschland...Mein Heimatort ist nicht unbedingt für berühmte Söhne oder Töchter der Stadt bekannt.Das war Senftenberg nie und wird es nach aller Voraussicht auch nie werden. Hier geborene, oder zumindest aufgewachsene Künstler, Sportler oder Wissenschaftler, an deren Schaffen auch noch über deren Glanzzeiten oder gar über den Tod hinaus, mehr als ein lokal begrenztes Interesse besteht, fallen mir nicht ein. Zwar arbeitete am hiesigen Theater eine Vielzahl von Schauspielern, die nach ihren Senftenberger Zeiten zur 1. Garde der DDR-Schauspieler aufstiegen und sogar international, wie beispielsweise Armin Müller-Stahl, erfolgreich waren. In aller Regel stammten die Künstler jedoch nicht aus meiner Stadt. Misst man "Berühmtheit" daran, in welchem Maße ein weltweit verteiltes Interesse an einem "Senftenberger Kind" besteht, kommt man zu dem Schluss, dass hier eine Person an vorderer Stelle steht, von der 99,9% der Senftenberger noch nie etwas gehört oder gelesen haben dürften, nämlich ...
Wilhelm HintersatzaliasHarun-el-Raschid BeyUnter diesen Voraussetzungen entwickelte sich bei mir zunächst kein tieferes Interesse an der Geschichte. Rückblickend ist festzuhalten, dass das oben angedeutete „internationale“ Interesse bislang mit sehr lückenhaften oder gar falschen Daten operierte. Dieses Halbwissen beflügelte zu einem Gutteil auch die Mythenbildung, die man in diesem Fall beobachten kann und die so vielleicht auch nach Senftenberg zurückschlug. Woher rührt nun das weltweit verteilte Interesse an der Person Wilhelm Hintersatz/Harun-el-Raschid Bey?
Nach meinem Dafürhalten wird dies in erster Linie durch seine Funktion als Kommandeur des Osttürkischen Verbandes der
Waffen-SS ab Ende 1944, einer militärischen Abteilung, in der vorrangig Muslime (Turkestaner, Wolga- und Uraltartaren,
Krimtürken, Aserbeidschaner usw.) auf Seiten der Deutschen kämpften, ausgelöst. Die Stellung Harun-el-Raschid Beys als Kommandeur des oben genannten SS-Verbandes hat zwar nicht zwingend mit dem Ablegen seines ursprünglichen Namens zu tun, es beflügelte jedoch die Mythenbildung ungemein. Hinzu kam, dass neben einer kurzen Filmsequenz in der Funktion eben jenes Kommandeurs, bis dato nur ein einziges Foto von ihm öffentlich verfügbar war. Dass dieses zu allem Überfluss Bestandteil einer Akte war, die im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten Equadors ("Setzten sich damals nicht viele Naziverbrecher nach Süd- und Mittelamerika ab?") gefunden wurde, verstärkte die Legendenbildung nochmals. Nicht viel mehr war bislang bekannt und verschiedene Leute versuchten aus unterschiedlichen Beweggründen etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Mit den üblichen Irrungen und Wirrungen. Immerhin brachte man es so zu einem Wikipedia-Eintrag zu seiner Person, der zumindest keine groben Fehler enthält. All das war mir, wie oben angedeutet, bis vor kurzem ziemlich egal... Bis zu jenem Tag, an dem mir nach einer ganzen Reihe von Zufällen, die ich hier nicht weiter erörtern möchte, Material in Aussicht gestellt wurde, das meine Senftenberger Heimatforschung unterstützen könnte. Dabei zog mich im ersten Moment nur das Bildmaterial mit deutlich erkennbarem Senftenberg-Anteil in Bann. Wie schon bei einigen früheren Gelegenheiten erfasste mich jedoch relativ schnell das Fieber und ich wollte alles wissen. Die ganze Geschichte! Ich begann zu recherchieren und förderte einiges an zusätzlichen Informationen zutage, die helfen das Bild zu vervollständigen.
Mittlerweile wurde mir ein vergleichsweise riesiges Materialkonvolut zur Verfügung gestellt, auf dessen Basis nicht nur
die Lebensgeschichte Harun-el-Raschid Beys erzählt und vor allem illustriert werden kann. Nein, auch die Geschichte seiner
Senftenberger Familie lässt sich anhand der übergebenen Dokumente recht komfortabel dokumentieren.
Matthias Gleisner |