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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 14.Dezember 1935
46.

Addis Abeba, 9. Nov. 1935.

Die Heiligen Georg und Gabriel ziehen in den Krieg.

Die ethiopische irreguläre Armee, die der „Wotader“, hat keine Fahnen. Sie hat aber so etwas wie Ersatz, und das sind die „Tabots“ ihrer Kirchen. Das „Tabot“ ist das Allerheiligste jeder Kirche, das profanen Augen nur einmal im Jahr – und dann verhüllt – gezeigt wird. Der Tag, an dem das geschieht, ist einer der höchsten ethiopischen religiösen Festtage, genannt „Timkat“, d.h. „Fest der Wasserweihe“. Bei dieser Gelegenheit (im Januar) wird am Vorabend des eigentlichen Festtages das Tabot in feierlicher Prozession zu einem Fluß getragen, dort in einem Zelt aufgestellt und von Priestern sorgsamst gehütet. Am Festtage selbst bringt der Oberpriester der Kirche das Tabot in den Fluß, während er mit Gebeten das Wasser weiht und segnet. Das Tabot ist ein kleiner Holzblock, der auf allen Seiten eingeschnitzte Bibelsprüche aufweist. Er entspricht in seiner Grundbedeutung der alten jüdischen Bundeslade. Ein einziger Tabot befindet sich außerhalb Ethiopiens, und zwar im Stuttgarter Museum.
Und nun gab es am 6. November 1935 eine große Aufregung in Addis Abeba. Das Tabot des Heiligen Georg (ethiopisch Georgis) aus der St.-Georgs-Kathedrale, der größten Kirche Ethiopiens,

und das Tabot des Heiligen Gabriel aus der Gabriels-Kirche, beide begleitet von zahlreichen Priestern der beiden Kirchen und von einer auserwählten Leibwache von 360 Soldaten, wurden zur Nordfront abtransportiert. Die kirchlich-kriegerische Prozession zieht dahin auf Lastkraftwagen. Die Straßen waren umsäumt von Gläubigen, die ihrer Ehrfurcht und Huldigung mit tiefer Verneigung und Küssen der Erde Ausdruck gaben. Wie hier in der Hauptstadt, so geht das von Ort zu Ort, den die eigenartige Prozession durchzieht. Nach dem Glauben der Ethiopier sind sie unbesiegbar, wenn das Tabot, vor allem aber das des St. Georg, des streitbaren Nationalhelden Ethiopiens, sie in den Kampf begleitet. Wie der Soldat anderer Armeen die Fahne, so deckt der ethiopische Wotader mit seinem Leibe das Tabor seiner Kirche. Die Priester scheuen sich nicht, gegebenenfalls mit dem Tabot bis in die Kampflinie selbst hineinzugehen, um dadurch die Krieger zu äußerster Tapferkeit anzuspornen.
Im allgemeinen wird das Tabot von den Priestern, begleitet immer von der soldatischen Ehrenwache, nur bis zu einem bestimmten Punkt vorgetragen. Dort wird es aufgestellt. Die in den Kampf rückenden Krieger ziehen an ihm vorbei, küssen den Boden und empfangen den Segen der Priester. Auf etwa 1 Kilometer hinter der Kampflinie rückt mit ihnen auch das Tabot vor.
In Addis Abeba aber flüstert das schwarze Volk einander bedeutungsvoll zu: „Georgis und Mikael sind ins Feld gezogen, jetzt wird es unseren Kämpfern gut ergehen!“

47.

Addis Abeba, 11. Nov. 1935.

Das ethiopische Schulwesen.

Vor etwa zwanzig Jahren hat man in Ethiopien eine der ersten modernen Schulen geschaffen. Vor diesem Zeitpunkt gab es hier nur Priesterschulen. Die Lehrer – „Debtera“ (abgeleitet von dem Wort „Debta“ = „Schulheft“) – gehörten zu der niederen Priesterschaft der für die Schule zuständigen Kirche. Diese Debtera, die man wohl auch als „Schriftgelehrte“ bezeichnen könnte, unterrichteten ihre Schüler – der Schulbesuch war, wie noch heute, nicht obligatorisch und mußte bezahlt werden, wenn auch mit sehr geringen Geldbeträgen oder entsprechenden Naturallieferungen – im Lesen und Schreiben, im Rechnen schon kaum. Das war alles; und wer es beherrschte, war bereits ein gebildeter Mann. Dazu gaben die höheren Priester Unterricht in ethiopischer Geschichte und (der allerwichtigste Unterrichtszweig!) Religion. Auf gehobenen Schulen erteilte der Priester schließlich auch Unterricht in „Gees“, dem „Ethiopischen“ der Kirchen- und Gelehrtensprache.
Auch heute noch gibt es solche Priesterschulen, besonders in den Klöstern im Innern des Landes, z.B. auf dem heiligen Berge Sukuala, im Kloster Debre Libanos, im Kloster Debre Markos, in Ankober, Gonder usw. Der Unterricht findet meist im Freien statt, und zwar auf einem von Gebüsch umrahmten Platz. Man findet daher nicht ohne weiteres solch eine Priesterschule mit den Augen, um so mehr aber mit den Ohren. Denn schon aus großer Entfernung hört man die Abc-Schützen in dem vom Lehrer angegeben Takt geschlossen das Alphabet schreien „Ha–hu–hi–ha-hé–he–ho“ usw. Oder man hört sie mit ebenso kräftiger Stimme Bibelsprüche hersagen. In den Arbeitsstunden (die Schülerschaft tritt morgens an und geht erst am Abend wieder nach Haus; teilweise sind die Priesterschulen aber auch Internate) herrscht meist ein Höllenlärm, da jeder Schüler seine Lektion mit denkbarst großem Stimmaufwand in die vier Himmelsrichtungen brüllt. Schreibmaterialien waren und sind auch heute noch Rarität in Ethiopien. Der Schüler lernte und lernt speziell in den Priesterschulen im Inneren auch heute noch seine Kunst im Lesen und Schreiben auf Ziegenhäuten. Der Absolvent einer Priesterschule schreibt im allgemeinen eine sehr schöne Handschrift und ist wohlbewandert in der Bibelkunde. Damit aber ist sein Wissen erschöpft. Die Kinder der Vornehmen erhalten meist Privat-Unterricht.
In den letzten Jahren des Kaisers Menelik – sein Todesjahr ist wahrscheinlich 1912; ganz genau weiß das auch heute noch keiner, da mindestens sehr lange Zeit sein Ableben dem Volke verheimlicht wurde – begann man in Addis Abeba mit dem Bau der sogenannten Menelik-Schule, der ersten modernen Schule des Landes. Seither sind dazugekommen in Addis Abeba die Tafari-Schule (nach dem jetzigen Kaiser, damals Regent Tafari) und die Menen-Schule (nach der jetzigen Kaiserin), letztere für junge Mädchen; weitere moderne Schulen in Harrar und Diredaoua.

Diese Schulen sollen Muster-Schulen sein und als solche den Aufbau eines Schulwesens einleiten, in dem nicht mehr die Priesterschaft allein das Wort führt. Die Lehrkräfte der modernen Schulen sind einstweilen Franzosen, Schweizer und – Inder. Der Schüler lernt dort meist zwei Fremdsprachen, und zwar Französisch und Englisch. Er besucht – auch Europäer sind zugelassen – die Schule (nicht obligatorisch!) von seinem sechsten bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr. Voll Stolz trägt er seine Schüler-Uniform, eine Khakitracht vom üblichen Militärschnitt, dazu eine Art Matrosenmütze mit einem Streifen in den Landesfarben (Grün, Gold, Rot). Auf diesen Schulen, aus denen faule oder unbegabte Schüler ausgestoßen werden, wird wirklich etwas gelernt und geleistet. Auch moderne Lehrmittel werden in ausreichendem Maße auf Staatskosten beschafft. Genau so gut wie die besagten Schulen, ist übrigens aufgebaut und ausgestattet auch die Sklavenschule, ein Internat, auf dem Kinder von Sklaven auf Regierungskosten unterrichtet, zugleich aber beköstigt und gekleidet werden. Deren Schuluniform besteht aus weißer Hose, einem Wollsweater mit einem Streifen über der Brust in den ethiopischen Landesfarben und einer Zweispitzkappe in Khaki. Erwähnt seien als weitere Spezialschulen schließlich die Kadettenschule in Holotta (unweit Addis Abeba), die unter Leitung eines schwedischen Hauptmanns steht, und die Landwirtschaftsschule in Guder. Die Schüler der ersteren sind meist Absolventen der Menelik- oder Tafari-Schule.
Nebst gewisser Fortsetzung ihres auf diesen Schulen genossenen Unterrichtes wird auf der Kadettenschule ihnen naturgemäß eine Ausbildung zuteil, die darauf ausgeht, sie zu brauchbaren Anwärtern für die Offizierslaufbahn in der regulären Armee zu machen. Die Landwirtschaftsschule steht unter Leitung eines Ethiopiers, der in Frankreich studiert und sein Diplomlandwirts-Examen bestanden hat. Angeschlossen ist dieser Schule eine Musterfarm der Regierung. Irgendwelche Vorzugsrechte aus dem Besuch der besagten modernen Schulen bzw. ihrer erfolgreichen Absolvierung gibt es nicht. In jeden Beruf und in jede Laufbahn kann mit durchaus den gleichen Aussichten jeder andere eintreten, der z.B. nur eine Priesterschule besucht oder aber auch privat Lesen und Schreiben gelernt hat. Das weitere Vorwärtskommen wird dann entschieden von Fähigkeit und Strebsamkeit und – last not least! – Beziehungen.
Höhere Bildungsanstalten, wie Universitäten, technische Hochschulen oder dergleichen, gibt es in Ethiopien noch nicht. Der Plan, solche zu gründen und mit dem Aufbau einer speziell medizinischen Hochschule zu beginnen, liegt seit zwei Jahren vor. Die ethiopisch-italienische Krise hat seine Ausführung aber bis auf weiteres zurückgestellt.
Das gesamte Unterrichtswesen in Ethiopien untersteht dem „Minstére de l‘ Instruction et des beaux arts“. Minister ist zur Zeit der frühere Privatsekretär des Negus, Blatin Gheta Sahle Sedalon, einer der intelligentesten und gebildetsten Ethiopier.

48.

Addis Abeba, 14. Nov. 1935.

Und Frau Venus – lacht dazu!

Ganz wie bei uns und überall: Da steht einer und guckt nach dem Himmel. Es dauert nicht lange, so sind es zwei – drei – vier – fünf – zehn; und bald steht da auf dem sogenannten Marktplatz der Weltstadt Addis Abeba eine nach Hunderten zählende Menge. Schwarze, braune und weiße Gesichter suchen den Himmel ab. Der Weiße vergißt sogar die sonst übliche Vorsicht vor Uebernahme „fremder Gäste“ von fremden Körpern auf den eigenen, wo sie – freilich, man „gewöhnt“ sich auch daran – dann mit ihren Erkundungszügen (Kratzen und „Schubbern“ ist hier nicht so verpönt wie bei uns) immerhin stören. Und es geht ein Geraune und ein Diskutieren und ein Gestikulieren durch die starrende Menge. Kein Zweifel: Ein italienischer Flieger! Und wie auf dem Markt, so stehen sie überall in der Stadt und stehen also auch vor den journalistischen „Hauptquartieren“. Journalisten sind ein eigenartiges Völkchen: Neugierig, leichtgläubig, futterneidisch, immer geheimnisvoll, immer und in allem „natürlich“ sachverständig. So also auch hier. Einer sagt’s: „Selbstverständlich“ – ein Flugzeug; und da es so blinkt und blitzt, kann es – ein anderer konstatiert das „sachverständig“ – nur eines von den italienischen sein, die „bekanntlich“ (dem Journalisten ist alles „bekanntlich“) ganz hell sind. Einer meint (er „wagt“ es!) mit ganz, ganz zarter Skepsis (sicher ist er noch nicht lange genug Journalist), das Flugzeug da oben stehe doch aber still, ob es – hm – etwa ein Ballon… Doch der „Sachverständige“ unterbricht von oben herab, daß doch bei der ungeheuerlichen Höhe – diese „Maschine“ (ja, so sagt er als „Fachmann“) sei mindestens 6000 Meter hoch – die Bewegung dem Auge kaum wahrnehmbar sei. Ganz schön, nicht wahr – Addis Abeba durchschnittlich 2500 Meter hoch, darüber mit 6000 Meter jener kühne Flieger. Also: 8500 Meter – mindestens! Runden wir nach oben ab, so haben wir ihn in 9000 Meter Höhe. Na, wenn das so weiter geht – armer Flieger!!! Der Skeptiker wagt nichts mehr zu sagen. Man starrt. „Ja, sehen Sie denn nicht?“ Einer hat „etwas“ entdeckt: Weiße Wölkchen hinter der „Maschine“. Natürlich Flugblätter! Andere hören übrigens inzwischen ganz deutlich – wenn auch noch so leise – mit den „natürlich geschulten“ Ohren Motorengeräusch. Kaum aber war das mit den Flugblättern heraus, da kommt Bewegung in die Journalistenschar. Beinahe erschrocken zieht einer die Uhr (welche Wichtigkeit die Zeit für solch ein Begebnis!) – 11.30 vormittags –. Ein anderer hat’s gesehen, macht’s nach und – saust ins Haus. Nicht zwei Minuten sind vergangen, da ist der Platz leer. Drinnen aber rasen eilige Finger über klappernde Tasten von Schreibmaschinen, um deren Walzen sich Telegramme rollen… Fabelhaft, fabelhaft! 1200 Thaler kostet solch ein ausführliches Telegramm – alle Eindrücke und Wahrnehmungen drin – macht nichts, gar nichts für „solche“ Sache: Der erste feindliche Flieger über Addis Abeba!

„Greenhorns!“ kaut mit malender Bewegung seines Unterkiefers der „Große“ (pst Diesmal ist Diskretion Ehrensache!) von … Büro, ein verächtliches Lächeln (das hat er meist!) um den Diplomatenmund. Ein Wink – Auto! In eiliger Fahrt geht’s ab, nachdem zuvor mit angefeuchtetem Finger – sachverständig! – die Windrichtung festgestellt wurde. Nun tut ein „Großer“ nichts unbeobachtet. Bald ist es eine Kette von einem Dutzend Wagen, die da nach Südosten saust. Was, Armseliger, du erkennst nicht auf der Stelle, was die da wollen??? … Also „natürlich“ wollen sie mindestens eines der italienischen Flugblätter ergattern, die ja schließlich doch – nach langer, langer Zeit in weitem Gleitflug und sehr, sehr weit möglicherweise – immerhin einmal in der in besagter Form „sachverständig“ festgestellten Richtung im Schoße unserer lieben Mutter Erde landen müssen. Ja, und wenn das an „Unkosten“ (gut und gern zahlt man für „solche“ Sensation Hunderte von den guten alten Maria-Theresiathalern, ja, mehr noch, wenn man z.B. eine ganze Provinz suchen lassen müßte!) wieder dreistellige Zahlen macht, was tut’s – Sensation! Und man suchte bis zum späten Nachmittag. Nichts. Da kam ein grausiger Gedanke: Himmelwelt, man hatte ja nicht „gekabelt“. Also alle anderen voraus – und nun obendrein mit leeren Händen zurückkehren. Ja, das ist freilich bitter, vor allem für einen „Großen“.
Die anderen waren tatsächlich voraus. Beine und Beinchen eilten, jagten, sausten oder fuhren (im Kraftwagen) zur Radiostation; nur einige „Große“ schickten ihre „Boys“. Die Beamten wurden nervös; sie konnten der angestauten Menge nicht mehr gerecht werden. Oben – der hohe Chef, der rieb sich aber vergnügt die schwarzen Hände. Wieder ein Tag nach seinem Herzen … wohl 50 000 Thaler Einnahme! Mit dem Gefühl tiefinnerer Befriedigung wandert nun die Schar durch „die“ Straße. „Nanun?“ – Da, auf dem Marktplatz immer noch kleine Gruppen. Man guckt. Sollte etwa der kühne Pilot immer noch da oben sein? … Unmöglich! Und jetzt geht von Gruppe zu Gruppe nicht mehr das Wort „It’alian“. Jetzt heißt es – selbstverständlich hat jeder es aber von vornherein gewußt! – „Kokeb“. Und das heißt nicht etwa „Flugzeug“, sondern … „Stern“. Man sieht nach oben. Wahrhaftig, da steht er immer noch blinkend und blitzend am Tageshimmel – „Er“? Nein, auch nicht, nämlich „Sie“, nämlich die alte gute Frau „Venus“; und sie lacht zu all der Irrnis und Wirrnis, die sie da unten bei den kleinen Menschlein und den „großen“ (geistig!) Journalisten angerichtet hat. Na, und wie das so ist: Einer erinnert an jene, die da zum Flugblättersuchen nach draußen gejagt sind. Ein Trost: Es gibt noch Dümmere. So heißt’s freilich aber nicht; denn das würde doch voraussetzen, daß man selbst „der Dumme war. Na, und schließlich kommen „jene“ zurück, voran in windender Fahrt der „Große“. Ein „Kollege“ – nun ja, man nennt auch den „Kleinen“ so! – wagt es, ihn anzurufen. Er muß (Höflichkeit ist ja vornehmste Pflicht der Fürsten) halten. Ja, und so erfuhr er die peinliche Aufklärung schon am Stadteingang. Lächelnd verwies er den „Kollegen“ in die Schranken gebotener Zurückhaltung. Ihm sei es „natürlich“ gar nicht eingefallen, nach Flugzetteln zu jagen. Er habe ganz einfach eine Spazierfahrt gemacht und sich köstlich amüsiert sowohl über die, die die von ihm „natürlich“ sofort als Stern erkannte Himmelserscheinung für ein Flugzeug hielten, wie über die, die ihm in einer also restlos irrigen Voraussetzung nachgejagt seien; – würde er anderenfalls etwa nicht zu allererst ein kurzes Kabel losgelassen haben? Der Herr Kollege kraust die Stirn: Hat entschieden etwas Richtiges, was der Große da sagt. Aber … mehr wagt er nicht zu denken.

Und … „Frau Venus“ … lacht auch dazu!

49.

Addis Abeba, 18. Nov. 1935.

Des „Schwarzen Adlers“ tragikomisches Ende.

Sonntag, am 17. November 1935, ein Tag, der in der Geschichte Ethiopiens denkwürdig bleiben wird. Warum? Nun, weil an diesem tage das arme Ethiopien seinen „König der Lüfte“, Hubert Julian, den „Schwarzen Adler“, verloren hat. Wüßte ich nicht, daß die „Welt“ von seiner „Größe“ weiß, ich würde mir erlauben, auf meine Berichte Nr. 8 vom 9.8.35 und Nr. 28 vom 21.11. hinzuweisen. Also es war schon so: Der „Schwarze Adler“ war nach kurzem Aus“flug“ wieder in Addis Abeba erschienen und blendete wieder die Straßen mit dem Glanz seiner ihm dienstgradlich gar nicht zustehenden Uniform, mit den Blitzen, die sein Monokel sprühte, usw. Eines Tages aber war ein Schatten auf all die Herrlichkeit gefallen. Von seiner Uniform blieben nur noch die eleganten (inzwischen nicht mehr ganz so!) hohen Stiefel. Der Rest seiner Kleidung hatte sich in ein anspruchsloses, ganz ziviles Grau verwandelt, ohne Litzen, ohne Streifen, ohne Rot und ohne Gold. Ja, und dann gestern der Abschluß seiner kühnen ethiopischen Laufbahn: „Black Eagle“ ist davon, wirklich und richtiggehend, d.h. mit amerikanischem Visum und einer Fahrkarte bis – Djibouti. Könige und Fürsten – und unser Adler ist doch nun mal der „König“ der Lüfte – besteigen ihren Zug gern abseits der großen Masse. So ging auch unseres „Königs“ Abreise auf einer kleinen Vorortstation von Addis Abeba vonstatten. Da stand der Held, noch in letzter Minute ein großer Mime; denn einer der Filmleute hatte ihn „gewonnen“ (was es gekostet hat, weiß ich diesmal nicht) und durfte seinen Abschied kurbeln. Und es hat sich „gelohnt“, wenn auch ganz anders als es gedacht war. Und das kam so: Gerade als der Zug sich näherte und der Kurbelmann also seine Position eingenommen hatte, stürzten auf den armen Adler zwei Polizisten, um ihn mit seinen drei Köfferchen zwangsweise dem Zoll zuzuführen. Wie es gekommen war, das möge die „Geschichtsforschung“ aufklären – tatsächlich hatte entgegen den heiligen (Zollvorschriften sind überall „heilig“) Vorschriften des Zolls unser Held seine drei Köfferchen ohne Zollprüfung durchgebracht.

Da half ihm kein Bitten (man denke: ein „König“ bittet!), kein Zürnen, kein Sträuben. Und der Zug ist da und hat nur eine Minute Aufenthalt. Verzweifelt blickt der Adler auf den Zug, verzweifelter noch auf die beiden Hüter der Ordnung, die ihn gepackt halten. Der Zug pfeift. Tatsächlich, er setzt sich in Bewegung. Da – ein krampfhafter Ruck. Der Adler reißt sich los. Einen Flügel, dargestellt durch einen seiner Aermel, läßt er in der Hand des einen Beamten. Flugs greift er eins der drei Köfferchen – es mochte die wichtigsten Utensilien enthalten – und springt auf die Plattform eines der langsam anrollenden „Expreß“wagen. Doch auch die heilige Hermandad ist nach dem ersten Schreck da. Und auf der Plattform spielt sich ein Kampf ab. Ein Kampf um unseren Adler, den Ethiopien offenbar doch nicht verlieren möchte, jedenfalls nicht „ungerupft“. Der Zug fährt. Der Adler krallt sich und sein Köfferchen verzweifelt fest. Die Beamten zerren, zerren an ihm und dem unschuldigen Köfferchen, das arme kleine Ding, verträgt es nicht. Es springt auf, und armseliger Krimskrams säumt Stück um Stück den Bahnsteig längs des restlichen Zuges. Der Adler schreit. Die Beamten schreien. Die Reisenden schreien. Das Gevolks auf dem Bahnsteig schreit. Das alles hat denn doch ausgereicht, den Zugführer darauf aufmerksam zu machen, daß da etwas besonderes los ist. Er läßt den „Expreß“ halten. Ob die ungewollte, immerhin zwangsweise erfolgte „Oeffnung“ des Köfferchens eine Art zollamtliche Besichtigung geworden war oder was sonst den Diensteifer der pflichteifrigen Beamten gemildert hatte, ich weiß es nicht. Kurzum, wie so oft in Ethiopien, nach einem Riesenaufwand an Stimme und Bewegung das übliche Nichts. Alles plötzlich in Frieden und Ordnung. Der Adler – eiligst jagt er den Zug entlang, seinen verstreuten „Reichtümern“ nach – darf abfahren und fährt, nun sogar mit drei Köfferchen, nach Amerika, d.h. gemäß seiner Karte zunächst ja nur bis Djibouti. Und wer weiß: bei unserem „Black Eagle“ ist ja kein Ding unmöglich!
Unser Filmmann reibt sich vergnügt die Hände: „Ist doch ein ganzer Kerl, der Schwarze Adler. Einen besseren Film konnte er mir nicht verschaffen.“
Und so dürfen wir das Kapitel „Schwarzer Adler für Ethiopien – diesmal voraussichtlich doch endgültig – beschließen mit dem bekannten Wort: Ende gut – alles gut!