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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 16.November 1935
38.

Addis Abeba, 25. Okt. 1935.

Die finanzielle Lage Ethiopiens.

Die Haupteinnahmequellen Ethiopiens sind, wie im Bericht Nr.4 vom 4.8.35 ausgeführt, die Import- und Exportzölle. Die gespannte politische Lage hat allmählich auf Ethiopiens Außenhandel stark eingewirkt, so daß die früheren Import- und Exportziffern erheblich gefallen sind, demgemäß natürlich auch die Einnahmen der Regierung. Einen kleinen Ausgleich bringen die effektiv beträchtlich gestiegenen Einnahmen der Postverwaltung, durch den ganz unverhältnismäßig gesteigerten Brief- und Telegramm-Verkehr. Ein kleines Beispiel: Die Radiostation Addis Abeba nahm an einem Tage für im wesentlichen Journalisten-Drahtungen (telegraphische Nachrichten und – ihre Dementis!) 32 000 Thaler, also etwa 30 000 deutsche Reichsmark ein. Dieser Betrag entspricht ungefähr den normalen Tageseinnahmen der Zollverwaltung. Der Geldbedarf der ethiopischen Regierung war im Verfolg der drohenden Kriegsgefahr erheblich gewachsen. Waffen- und Munitionsbestellungen, die übrigens in allerletzter Minute erst getätigt wurden, obwohl die Bestände an modernen Waffen und Munition auch nicht annähernd dem selbst nur allerdringendsten Bedarf entsprachen, mußten bezahlt werden. Die Regierung verfügte bei Beginn der Krise über einen Silbervorrat von annähernd 15 Millionen Unzen (Unze = 28 Gr.), die zum Teil exportiert, zum Teil im Inneren (für Proviantbeschaffung und sonstigen Heeresbedarf, der im Inland zu decken war) verausgabt wurden. Der Devisenvorrat der „Bank of Ethiopia“ wurde dadurch stark vermindert, daß zahlreiche Europäer Ethiopien verließen und ihre Maria-Theresia-Thaler gegen Devisen eintauschten, so daß zeitweise die Bank of Ethiopia Devisen überhaupt nur noch gegen Vorweisung von Auslandsrechnungen auslieferte und den Kurs auf 16 ½ Thaler für 1 englisches Pfund heraufschraubte, während der normale Pfundbestand zur Zeit etwa 10 ½ Thaler pro englisches Pfund sein müßte. Durch die Masseneinwanderung der Journalisten (etwa 100!) aus allen Ländern der Erde, d.h. durch die erheblichen Devisenmengen, die dadurch bei fast völlig gedrosseltem Import in das Land strömen, erleichterte sich wieder die Devisenlage der Staatsbank, so daß zur Zeit der offizielle Kurs etwa 13 ½ Thaler pro englisches Pfund ist.

Man wird sich wundern, daß ein Land wie Ethiopien, dessen Oberfläche die Deutschlands nicht unbeträchtlich übertrifft, nur derartig geringe Staatseinnahmen aufweist. In dieser Hinsicht muß aber berücksichtigt werden, daß der gesamte Staatshaushalt Ethiopiens die Summe von 15 000 000 Thalern nicht übersteigt, also dem Etat etwa einer deutshcen Mittelstadt entspricht. Die Mobilmachung hat an die Staatskasse weitere Ansprüche gestellt, so daß Ethiopien aus eigenen Mitteln einen längeren Krieg gegen Italien überhaupt nicht finanzieren könnte.
Tatsächlich hat diese Geldlage sich auf die Rüstungen schon bitter ausgewirkt. Es mußte z.B. ein Teil der Bestellungen an Munition, trotz ernstesten Mangels an solcher (auch heute noch!), rückgängig gemacht werden. Ethiopien hat es aus begreiflichen Gründen bisher ängstlich vermieden, Auslandsschulden zu machen. In dieser Hinsicht ist Ethiopien unter den Ländern ganz gewiß der „weiße Rabe“. Aber auch Inlandsschulden bestehen in Ethiopien bisher nicht. Die leitenden ethiopischen Stellen haben eine ausgesprochene Abneigung gegen Inanspruchnahme jedweder Kredite.
Im Lande befinden sich noch ganz bedeutende Silbervorräte in gestalt von Maria-Theresia-Thalern und von Kleingeld in Silber. Bei vorsichtiger Schätzung kann man diese Vorräte auf etwa 60 Millionen Thaler veranschlagen. Sie sind für die Regierung zum Teil natürlich auch erfaßbar und könnten wohl zur Finanzierung des Krieges herangezogen werden.
Bekanntlich verfügt Ethiopien – besonders in seinen westlichen Provinzen Beni Schangul und Wollega – über Länder, die reiche Vorkommen an besonders hochwertigem Gold und auch Platin aufweisen. Diese Provinzen haben ihre pflichtmäßigen Abgaben an die Staatskasse zum Teil in Gold zu leisten. Im Verfolg dessen lagern im ethiopischen Staatsschatz Goldmengen, die man auf etwa 2000 Kilogramm schätzen darf. Auch dieses Gold stellt eine Reserve dar, die mobilisiert werden könnte. Jedoch würde sowohl die oben besagte Geldmenge im Lande wie dieser Goldvorrat den Bedarf der Regierung an Mitteln zur Finanzierung des Krieges nur für wenige Monate decken können. Zur Deckung weiteren Geldbedarfes müßte sie wohl oder übel sich zur Aufnahme von Auslands-Anleihen entschließen.

39.

Addis Abeba, 24. Oktober 1935.

Die ethiopische Regierung bemüht sich seit etwa 16 Jahren, eine bescheidene Industrie im Lande zu schaffen. Da ist zum Beispiel vor zirka 12 Jahren in Modjo, einer Bahnstation etwa 70 Kilometer südöstlich von Addis Abeba, eine Gerberei gebaut worden. Als Antriebskraft wurde eine Wasserturbinen-Anlage – übrigens aus Deutschland – beschafft. Die Hälfte des für die Anlage erforderlichen Kapitals stellte eine deutsche Gesellschaft, die andere Hälfte die ethiopische Regierung. Der Aufbau dieser Gerberei kostete etwa 200 000 Thaler. Kaum war sie in Betrieb genommen, war das veranschlagte Kapital auch schon verbraucht, nicht zuletzt übrigens dadurch, daß das engagierte Personal restlos versagte, weil es weder in technischer noch in kaufmännischer Hinsicht auf der Höhe war. Da war zum Beispiel anstelle eines „Gerbers“ ein ehemaliger Hotelbesitzer und Farmer, anstelle des kaufmännischen Leiters der Gerberei ein ausgesprochener „Weltenbummler“ ohne jede kaufmännische Schulung angestellt worden. Ergebnis: Nach kurzer Zeit mußte der Betreib geschlossen werden. Die Regierung hat dann wiederholt versucht, die Gerberei zu verpachten. Das gelang zwar einige Male, doch auch nur für kurze Zeit, da die Pächter ihre Pacht ganz oder zum Teil schuldig blieben. Seither liegt die Gerberei …. tot.
Bei Addis Abeba baute etwa 1923 die belgische Gesellschaft „Rialet“, der die ethiopische Regierung die Verwaltung des Alkohol-Monopols übertragen hatte, eine höchstmoderne Brennerei, deren Anlage wohl 1000 000 Thaler gekostet hat. Für diese Fabrik wurde unter einem Direktor zahlreiches technisches wie kaufmännisches Personal aus Europa engagiert. Zunächst hatte die „Rialet“ beim Bau dieser gewaltigen Brennerei-Anlage ganz übersehen, daß ihre Leistungsfähigkeit den Bedarf an Alkohol in Ethiopien in geradezu lächerlichem Ausmaße überstieg, und zwar auch unter Berücksichtigung dessen, daß die „Rialet“ – zum Schaden der wirtschaftlichen Interessen des Landes! – sämtliche im Lande vorhandenen kleineren Brennereibetriebe übernommen und ….. stillgelegt hatte. Die „Rialet“-Herrlichkeit dauerte nur kurze Zeit. Die Gesellschaft brach finanziell zusammen. Der neue große Betrieb wie die stillgelegten kleinen Betriebe wurden von der Regierung käuflich übernommen. Einer dieser Kleinbetriebe wurde dann an zwei Griechen verpachtet und deckt heute den gesamten Alkoholbedarf des Landes. Die große „Rialet“-Brennerei aber liegt mit ihren modernen Maschinen, Destillierblasen und Rektifikatoren, ihrem modernen Laboratorium und ihrer wundervollen Direktorenvilla da und …. verfällt allmählich.
Ein ganz gewiß nicht minder betrübliches Kapitel ist die Geschichte der Patronen-fabrik in Addis Abeba, die vor etwa 15 Jahren von dem Engländer Humphris erbaut und mit modernsten Maschinen betriebsfertig ausgestattet wurde. Diese Patronenfabrik – ihre Leistungsfähigkeit war vorgesehen auf 25 000 Patronen pro Tag – hat nie eine Patrone fabriziert und wird wohl auch nie eine Patrone herstellen. Die Gründe für diese geradezu absurde Tatsache habe ich trotz eingehendster Nachforschungen nicht eruieren können.
Es war immer das gleiche Lied: Man wollte, man will, man plant, man verhandelt und … dann bleibt alles beim alten! Europäer haben sich angeboten, den Betrieb aufzumachen. Ueber „Verhandlungen“ ist es nicht hinausgekommen.
Kürzlich – im Verfolg des drohenden Krieges – sollten europäische Fachleute von der Regierung engagiert werden. Lebhafte Verhandlungen, dann … das Schweigen im Walde! Mit den Jahren sind mangels jeder Pflege die Maschinen in einen Zustand geraten, den man „ein klein wenig“ kritisch ansehen muß, wenn man sie auf ihren schief gebauten Fundamenten betrachtet. Forscht man nach einer Erklärung für eine so ungeheuerliche Tatsache, wie sie hier vorliegt, so stößt man auf die bitteren Erfahrungen der ethiopischen Regierung mit den von ihr für teures Geld engagierten europäischen Fachleuten, die ihr zum Teil von den bei ihr akkreditierten Gesandtschaften aufgehalst wurden. Die Geschichte dieser Erfahrungen in Wort oder Schrift zu fassen, wäre ein für Europa höchst peinliches und beschämendes Kapitel!
Und da ist schließlich noch eine Abudjedid-Fabrik (Abudjedid ist Bessel bzw. ungebleichter Baumwollstoff). Abudjedid ist effektiv der Haupt-Importartikel Ethiopiens. Abudjedid findet man hier in jeder möglichen und beinahe schon unmöglichen Verwendung. Aus Abudjedid gefertigt sind fast sämtliche Kleidungsstücke der Masse des Volkes, ihrer Männer wie Frauen. Aus Abudjedid bestehen die unter Wellblech- und Grasdächern gespannten Zimmerdecken. Aus Abudjedid sind die Zelte gefertigt. Säcke, Gardinen, Handtücher, Tischtücher, Bettwäsche – alles Abudjedid!
Ethiopien selbst produziert Baumwolle und könnte diese Produktion ganz erheblich steigern. Was also lag näher als die Herstellung der beträchtlichen Mengen von Abudjedid, die in Ethiopien benötigt werden, im Lande selbst, zugleich nebenher der in einer entsprechenden Fabrikation ebenfalls herzustellenden Baumwollgarne Dir und Mag, die ebenfalls, und zwar für den Bedarf der heimischen Webereien, in erheblichen Mengen aus dem Ausland importiert werden?
Also erbaute man – vor etwa 8 Jahren – eine Abudjedid-Fabrik in Addis Abeba. Wiederum aber stellte man ahnungslos zu ihrer Erbauung und Einrichtung Nicht-Fachleute an. Nachdem dann die Fabrik fertiggestellt war, mußte man die schmerzliche Erkenntnis gewinnen, daß die gesamte Anlage so unsachgemäß war, daß Abudjedid wie Dir und Mag als Erzeugnisse dieser Fabrik ganz erheblich teurer geworden wären als die gleichen Waren bei Import aus dem Ausland, und das, wie gesagt, obwohl man im Lande selbst die Rohstoffe hatte. Die europäischen Ratgeber der Regierung hatten ganz einfach sich wieder einmal übel verkalkuliert. Und auch diese Fabrik ist ein Friedhof der Technik geworden.
Noch manches Beispiel einschlägiger Art ließe sich hier anschließen. Ich denke dabei u.a. an die Ausstattung der Steinbrüche bei Addis Abeba mit Steinbrechmaschinen modernster Konstruktion. Nach kurzer Zeit ihrer Arbeit mußten sie der sehr viel billigeren Handarbeit das Feld räumen. Sie haben viel Geld gekostet. Auch sie heute – Grabsteine verstiegener Technik.

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Der Negus hat einen Ukas erlassen, wonach nunmehr in Bedarfsfällen für Interessen der Landesverteidigung jedwedes mobile wie immobile Eigentum regierungsseitig beschlagnahmt werden kann, und zwar gegen geldliche Entschädigung, die von einer Kommission festzusetzen ist. Die Beschlagnahme kann auch in Abwesenheit des Eigentümers erfolgen. In solchem Falle ist die Entschädigungssumme auf der Staatsbank zu hinterlegen.