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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 5. Oktober 1935
XVIII.

Ethiopien ethnologisch und religiös.

Ethiopien stellt eine geschlossene Gesamtheit in völkischer Hinsicht nicht dar. Man muß in der Bevölkerung des Landes unterscheiden zwischen der Herrscher-Rasse, den Amhara, und den von diesen im Laufe von etwa 100 Jahren nach und nach unterworfenen und in das ethiopische Reich eingegliederten andersstämmigen Völkerschaften. Es sei jedoch gleich hier betont, daß diese kaleidoskopische Völkermischung die Geschlossenheit des Reiches nach außen nicht berührt. Wenden wir uns zunächst den Amhara zu, so ist festzustellen, daß es bei diesen sich um ein semito-hamitisches Volk mit leichtenm negroiden Einschlag handelt. Die Amhara sind ein ausgesprochenes Bergvolk, das das Hochland im Norden des Landes in Höhen von über 2000 Meter bevorzugt. An der Erythrea-Grenze, in der Provinz Tigre, sitzen die rassisch zu den Amharen gehörigen Tigreaner, deren Landeschef, Ras (Fürst) Zijum, ein Neffe des ehemaligen Kaisers Johannes ist. Trotz ihrer Zugehörigkeit zu den Amharen sprechen die Tigreaner einen dem Arabischen stark verwandten Dialekt. In dem Lande um den Tana-See (nach der gleichnamigen Stadt genannt Gondar) und in der Provinz Godjam (nördlich vom Blauen Nil) sitzen Amharen, aber gemischt mit wenigen Galla und Fellascha. Hier wird das „Klassische“, also reine Amharisch gesprochen. Die amharische Sprache ist aus dem „Gees“ oder „Ethiopisch“ – heute nur noch die Kirchen- und Gelehrtensprache – hervorgegangen, die ihrerseits mit dem Arabischen und Hebräischen gemeinsam aus der Ursprache, dem „Himjarisch“, herzuleiten ist. Das Amharisch enthält heute noch zirka 30 Prozent arabische Worte. Es ist daher anzunehmen, daß die Amharen ursprünglich aus dem Süden Arabiens einwanderten. Südwestlich vom Blauen Nil liegt die Provinz Schoa mit der Landeshauptstadt Adis-Abeba. Die hier wohnenden Amharen sind erheblich mit Galla gemischt. Gehen wir nun nach dem Osten Ethiopiens, so finden wir im Nordosten, anschließend an die Grenzen von Erythrea und Französisch Somalo Land, die Danakil-Wüste, die von den Danakil bewohnt wird. Die Danakil sind ein den Somali verwandtes Nomadenvolk, das von eigenen Stammesfürsten regiert wird und effektiv nur im losen Zusammenhang mit Ethiopien steht. Die Danakil – nebenher gefürchtet als üble Räuber – sind ausgesprochene Tieflandbewohner. Ihr Bereich erstreckt sich im Westen bis an den Fuß der Hochlandsgrenze, im Süden bis in das Gebiet beiderseits des Hauasch-Flusses und reicht hier bis heran an die Bahnstation Hauasch. Die Sprache der Danakil ist ihrer Somaliverwandtschaft gemäß ein Somali-Dialekt, der ebenfalls seine Quelle offenbar im Urarabischen hat. Oestlich des Hauasch – bis etwa zur Bahnstation Metahara – sitzt der kleine Stamm der Karaju, der den Danakil völkisch wie sprachlich verwandt ist. Beiderseits der Bahn – von Dire-Daoua bis zur Grenze des französischen Somali-Landes – ist das Tiefland von den Issa-Somali, wiederum Nomaden, bevölkert. Gehen wir nun südwärts, so kommen wir in die Provinz Harrar (mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt), die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts noch unter türkisch-ägyptischer Herrschaft stand. Hier wohnt der Stamm der Harrari, deren Sprache ein Gemisch aus Galla-, Somali- und arabischen Dialekten ist. Wie ihre Sprache ein ausgesprochenes Gemisch ist, so sind die Harrari auch völkisch eine Mischrasse. Der gesamte Südosten des Landes, die Provinz Ogaden, wird wieder von nomadisierenden Somali-Stämmen bewohnt. Südlich der Bahnstrecke Dire-Daoua – Hauasch finden wir das fruchtbare Tschertscher-Gebirge, das man infolge seiner reichen Vegetation „das Paradies Ethiopiens“ bezeichnen kann. Dies Gebiet sowie die in südwestlicher Richtung sich anschließenden Provinzen Arussi, Kambata und Sidamo werden von Galla bewohnt, einem hamitischen Volksstamm, dessen Sprache grundverschieden, in drei verschiedene Dialekte zerfällt. Die besonders schöne und vokalreiche Sprache der Galla auf eine Ursprache zurückzuführen, ist bisher noch nicht gelungen. Südlich von dem genannten Tschertscher-Gebirge liegt – herangehend bis an die Landesgrenze – die Provinz Bali. Deren Bevölkerung bildet ein Gemisch von Somali, Galla und Negerstämmen. Westlich der Provinz Bali, im Süden ebenfalls die Südgrenze Ethiopiens berührend, im Westen heranreichend bis an den Rudolf-See, finden wir die Provinzen Borana und Wolamo, beide von Negerstämmen bewohnt, die von den Amharen als Schankala und Wolamo bezeichnet werden. Gehen wir dann Nordwärts, so kommen wir in die Provinz Kaffa. Hier wohnt der Stamm der Kaffitscho. Die Kaffitscho sind ein hamitonegroider Stamm mit alter Eigenkultur, an der sie heute noch mit zäher Hartnäckigkeit festhalten. Bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus hielt dieser kleine Stamm unter eigenen Herrschern sich selbständig. Weiter nordwärts folgen die Provinzen Djimma, Guma und Nekemti, bewohnt wieder von Galla.

Bis vor zwei Jahren noch besaß Djimma in seinem „Abatschifar“, dem letzten Sproß eines uralten Herrschergeschlechtes, seinen eigenen Fürsten, dem vom Kaiser lediglich ein amharischer „Berater“ beigegeben war. Als dann der Sohn des „Abatschifar“ sich völlig unfähig erwies, die Regierung des Landes zu führen, wurde auch diese Provinz gleich den anderen einem amharischen Gouverneur unterstellt.

Nordöstlich von Djimma liegt das Guragi-Land, bewohnt von den Guragi, einem arbeitsamen hamitischen Volksstamm mit eigener Sprache, wenn diese auch gewisse Aehnlichkeiten mit der Galla-Sprache aufweist. Das Land nördlich Nekemti bis zum Blauen Nil wird wieder zumeist von Galla bewohnt. Den Osten Ethiopiens, d.h. südlich des Blauen Nils bis herunter zum Dabus-Fluß, bildet die Provinz Beni Schangul (n i c h t Schangal), bewohnt von Sudan-Negern und regiert von dem Sultan Scheich Hodjili (genannt auch Schogele), einem ausgesprochenen Deutschenfreund, der übrigens trotz seiner 95 Jahre zu Pferde sitzt wie ein Jüngling und alljährlich der Geburt „einiger“ kräftiger Sprößlinge sich erfreut. Er regiert noch heute sein Land fast selbständig. Südlich Beni Schangul folgen die Provinzen Wollega und Ili-Babur, beide von Galla bewohnt, davon südlicher, von Negerstämmen bewohnt, die Provinz Madji. Das wäre in großen Zügen die ethnologische Struktur Ethiopiens.

Betrachten wir nun dies Gemisch unter dem Gesichtspunkt der Religion, so ergibt sich – wieder in großen Zügen – folgendes Bild: Die Staatsreligion des Landes ist das orthodoxe Christentum. Der höchste Geistliche des Kaiserreiches ist der „Abuna“, den im Einverständnis mit der Ethiopischen Regierung der koptische Patriarch in Alessandria nach Ethiopien entsendet. An sich diesem „Abuna“ unterstellt, in praktischer und besonders „politischer“ Geltung aber mehr und mehr in den Vordergrund getreten, finden wir als rein national-ethiopischen Kirchenfürsten noch den „Etchegué“, dessen Bezeichnung sich wiedergeben ließe etwa mit „Hohepriester“. Die Macht der Priesterschaft in Ethiopien ist heute noch ungeheuer. Nicht nur in innenpolitischen Dingen, sondern auch in ihren außenpolitischen Entschließungen muß die Regierung weitestgehende Rücksicht auf sie nehmen. Dabei ist der niedere und auch der mittlere Klerus meist höchst ungebildet und in mancher Beziehung geradezu eine – Landplage. Größere Kirchen verfügen über Hunderte von Priestern, die alle der Bevölkerung zur Last fallen. Die Priesterschaft stellt fast durchweg auch die Lehrerschaft der ethiopischen Schulen. Während der höhere Klerus zum Coelibat verpflichtet ist, bleibt der niedere Klerus von dieser Verpflichtung frei; jedoch darf ein Priester nach etwaigem Tode seiner Ehefrau eine zweite Ehe nicht eingehen. Es gibt im Lande zahlreiche Klöster sowie Mönchs- und Nonnen-Orden nach griechischem Vorbild. Die Abessinierin nimmt den Schleier allerdings erst in erheblich fortgeschrittenem Alter und nach allzubitteren Erfahrungen in den zwanzig oder noch mehr Ehen ihres vorangegangenen Lebensabschnittes. Zur ethiopisch-koptischen Kirche bekennt sich außer den Amhara noch ein Teil der Galla (Rest Heiden, die Steine, Bäume usw. anbeten) und ein kleiner Teil der Guragi, deren größerer Teil sich zum Islam bekennt. Uebrigens sieht es auch um den Christenglauben der „bekehrten“ Galla recht eigenartig aus. Das liegt wohl an der „Methode“, mit der seinerzeit der Kaiser Menelik diese „Verchristlichung“ durchsetzte. Das geschah nämlich dergestalt, daß ganze Gallastämme „en bloc“ von amharischen Priestern getauft wurden. Erfolg: Sie huldigen ihrem alten Heidenglauben noch heute oder mindestens einer recht eigenartigen Verquickung ihrer alten Zauberlehren mit denen des neuen christlichen Priestertums.

Die im Lande ansässigen Missionen römisch-katholischer und protestantischer Konfession sowie einzelner Sekten, besonders der Adventisten, haben wesentliche Erfolge übrigens nicht aufzuweisen. Den koptisch-christlichen Amharen, Galla und Guragi stehen – abgesehen von den islamischen Teilen dieser Stämme – folgende rein mohammedanische Völkerschaften gegenüber: die Danakil, die Harrari, die Somali, die Bewohner der Provinz Djimma und die Beni-Schangul. Es ist also fast die gesamte Ost-Hälfte Ethiopiens religiös dem Islam zugehörig. Wenn trotzdem in den zentralen ethiopischen Staatsstellungen kaum Mohammedaner zu finden sind, so liegt das nicht durchaus an religiöser Unduldsamkeit der Landesregierung, sondern daran, daß nun mel in Ethiopien das Amharische die Amtssprache ist und daß die Mohammedaner die amharische Sprache im allgemeinen nicht beherrschen, vielmehr am Arabischen als der Sprache der Gebildeten festhalten. Die Bewohner der Provinzen Borana, Wolamo und Madji schließlich sind trotz aller Bekehrungsarbeit Heiden geblieben, noch heute vollständig dem Einfluß der Zauberer unterworfen.

Gehen wir nun noch kurz ein auf die Frage, womit denn die Haupt-Völkerschaften Ethiopiens ihren Lebensunterhalt erwerben, so ist hierzu zu sagen: Der Amhare – soweit er nicht den Beamtenkörper darstellt – ist vorzugsweise Ackerbauer und Viehzüchter, gibt aber auch einen guten Handwerker ab, besonders in der Weberei und Schmiedekunst. Die Galla sind teilweise Ackerbauer, teilweise Viehzüchter, und zwar im Gegensatz zum Amharen (der die Maultierzucht bevorzugt) gute Pferdezüchter. Sie geben aber auch geschickte Holzbearbeiter und Gerber ab. Da sie gerade auch in den Gebieten Ethiopiens ansässig sind, in denen der Kaffeestrauch besonders gut gedeiht, wie in den Provinzen Harrar, Arussi, Sidamo, Djimma, Nekemti, Gofa, Wollega und im Tschertscher-Gebirge, sind sie naturgemäß auch im Kaffeeanbau besonders erfahren.

Die Somali sind gleich den Dankali Nomaden, die mit ihren Herden je nach Jahreszeit und Weidewert ihre Räume durchschweifen. Sie betreiben besonders Kamel- und Ziegenzucht und ernähren sich – wie übrigens auch ein Teil der Galla – wesentlich von Milch, Milchprodukten und Fleisch ihrer Herden.

Kommen wir zum Schluß zurück auf die oben kurz gestreiften „Fellascha, die als ein kleiner Stamm von nur wenigen Tausenden von Seelen in den Provinzen Godajm und Gondar wohnen, so sind wir damit bei der ethiopischen „Judenfrage“ angelangt. Es gab vor Jahren in der jüdischen Welt ein gewaltiges Aufsehen, als man in diesem Fellascha infolge tatsächlicher „Anklänge“ ihrer Kult- und Sittenlehre an das Judentum einen rein jüdischen Stamm entdeckt zu haben glaubte. Unter Führung eines gewissen Vaitlowicz begann eine Riesen-Propaganda und aus dieser eine große Aktion, um diesen Stamm zu erforschen und durch eifrige Missionstätigkeit dem eigentlichen Judentum engst anzuschließen. In Addis Abeba wurde für die Fellascha-Jugend eine Schule gegründet. Junge Fellaschas wurden auf Kosten der jüdischen Hilfsorganisationen auf Auslandsschulen gesandt, besonders in Amerika. Darüber hinaus aber spielt die „Judenfrage“ in dem wesentlich semitischen Ethiopien keine Rolle.

Wenn wir heute Ethiopien trotz der in ihm vereinten völkischen wie religiösen Gegensätze als ein geschlossenes Ganzes betrachten, können und müssen, so liegt das in erster Linie daran, daß alle Bewohner des Landes sich einig sind in dem Stolz, das letzte freie Volk Afrikas darzustellen, und in dem Entschluß, diese Freiheit, vor allem gegen den Andersfarbigen (das Wort „Netsch“ – d.i. „Weißer“ – stellt ein Schimpfwort dar!), in geschlossener Front bis zum Letzten zu verteidigen.


XIX.

Addis Abeba, 7. Sept. 1935.

In den Tagen, wo die Presse aller Länder durchschwirrt wurde von Tatarennachrichten über die Gefährdung der Weißen in Ethiopien, besonders natürlich Addis Abeba, hatte ich (vergl. Bericht Nr. 11!) die Maßnahmen dargelegt, die auf Kaiserlichen Befehl von dem klugen und energischen Gouverneur der Hauptstadt – Ato Takele Wolde Hawariat – zum Schutz der Fremden getroffen wurden.

Nun hatten die Italiener – zum Teil wohl in einer Besorgnis, die sich aus ihrer Lage begreiflicherweise ergibt, zum Teil aber auch, um damit eben eine „Gefahr“ zu konstruieren – eine erhebliche Verstärkung ihres eigenen Gesandtschaftsschutzes der aus italienischen Somali-Kolonialsoldaten besteht, beim Kaiser beantragt. Sie warten auf die Entscheidung des Kaisers bisher noch vergebens.

Die Engländer dagegen haben eine Verstärkung ihres Gesandtschaftsschutzes um 125 indische Soldaten unter allen möglichen Bedingungen und Einschränkungen durchgesetzt.

Die übrigen Gesandtschaften haben auf eigene Verstärkungen ihrer Schutzmaßnahmen verzichtet. Der deutsche Gesandte äußerte kürzlich auf eine an ihn gerichtete einschlägige Frage, er kenne sehr gut die ausgezeichnete Organisation und Disziplin gerade der Polizei von Addis Abeba und sehe keinen Anlaß daran zu zweifeln, daß für den Fall einer Not, an die er aber nicht glaube, der Schutz der Fremdenkolonien wie Gesandtschaften durch diese Polizei am allerbesten gewährleistet sein würde.


XX.

Addis Abeba, 6. Sept. 1935.

Der Kaiserl. Ethiopische Handelsminister Ato Makonnen Habte Wold hielt heute in seiner Eigenschaft als Präsident der patriotischen Liga im Vereinshaus eine Rede von etwa einer Stunde Dauer.

In dieser gab der Minister seinem Bedauern Ausdruck darüber, daß die moralischen Werte in der ganzen Welt gesunken seien, und dies in gleichem Maße in den Beziehungen der Völker zueinander wie im privaten Leben. In diesem Mangel an Moral und dem daraus folgenden Mangel an gegenseitigem Vertrauen sei die Wurzel der Weltkrise zu sehen, in deren Verfolg das Rüstungswettrennen der Nationen und damit die Gefährdung des Friedens. Alsdann eingehend auf die italienisch-ethiopische Spannung, die aus der Welt zu schaffen sehr schwer sein würde, führte der Redner aus, an dieser Spannung sei schuld einzig und allein das Verhalten Italiens. Italien erhebe immer wieder ungerechtfertigte Vorwürfe gegen Ethiopien.

Es verbreite u.a., Ethiopien habe die Sklaverei noch nicht abgeschafft; im Lande herrschten Anarchie und chaotische Zustände. Mit erhobener Stimme wies dem entgegen der Minister darauf hin, daß eine Sklaverei in Ethiopien nicht mehr bestehe und daß unter der Regierung Seiner Majestät des Kaisers Haylé Selassé I. das Land große Fortschritte gemacht habe in seiner Entwickelung zu einem Lande der Zivilisation und Kultur.

Wolle Italien – so schloß der Redner seine Ausführungen – den Krieg, so wolle es eben seinen eigenen Ruin; denn dieser werde gegebenenfalls die bittere Folge dieses Krieges für die Italiener sein. Die Ethiopier wüßten, daß nach dem Weltkriege kein Volk einen neuen Krieg entfesseln werde, wenn nicht eben seine Regierung es in einen solchen hineinzwinge. Im Bewußtsein des Rechts auf seiner Seite werde, wenn es sein müsse, Ethiopien seine Unabhängigkeit schützen. Seine Soldaten würden das Vaterland zu verteidigen wissen, auch unter freudigem Einsatz ihres Lebens.

Ob siegreich oder auch besiegt, Ethiopien werde Ruhm und Ehre aus seiner Seite haben.