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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 28. September 1935
XV.

Addis Abeba, 21. Aug. 1935.

Ethiopisch – behördliche Höflichkeit.

Erscheinen da heute bei mir zwei Polizeibeamte der Verkehrspolizei Addis Abeba. Sie bringen mir die Antwort auf meinen kürzlichen Antrag um Befreiung von der Jahressteuer für meinen Kraftwagen, die übrigens an sich hier auch nur – 12 Thaler beträgt. Ich hatte sie zunächst zahlen müssen, da die Entscheidung nicht sofort herbeizuführen war. Lange hat sie nicht auf sich warten lassen. Ja, und die beiden Beamten bringen mir zugleich – man denke! – meine 12 Thaler zurück. Ich lasse mir das Schreiben übersetzen. Es ist von einer so ausnehmenden Höflichkeit, daß mir seien Wiedergabe interessant genug erscheint. Es lautet in wortgetreuer Uebersetzung wie folgt:

(Vordruck): Regierung des Königs der Könige von
   Ethiopien.
   Rathaus der Stadt Addis Abeba.

(Text): Es möge gelangen an den hochwohlgeborenen Colonel Harun-el-Raschid! Da Sie Erlaubnis bekommen haben, für Ihr Automobil Nr. 720 ein Jahr lang keine Abgaben und taxen zu bezahlen, senden wir Ihnen ergebenst von den bezahlten 15 Thalern 12 Thaler zurück, nachdem wir für das Ihnen erteilte Nummernschild 3 Thaler abgezogen haben. Die Quittung für die Anfertigung des Nummernschildes fügen wir bei.
   Hochwohlgeborener, wir gestatten uns, Ihnen
   unsere tiefste Ergebenheit darzubieten.

(Stempel): Rathaus Addis Abeba
   Büro des Kraftverkehrswesens.
(Unterschrift): (gez.) A b e b e.
   (Uebersetzung des Namens: „Er hat geblüht“).


XVI.

Addis Abeba, 23. Aug. 1935.

Dem vor kurzem hier eingetroffenen Türkischen Chargé d‘ Affaires, Herrn Nizamettin Avachli, ist es gelungen, den geplanten Freundschaftsvertrag zwischen der Türkei und Abessinien soweit vorwärtszubringen, daß damit zu rechnen ist, daß dieser Vertrag in Kürze Gültigkeit erhalten wird.

XVII.

Addis Abeba, 13. Sept. 1935.

Das große Rätsel von Ethiopien.

Sie schlug ein wie eine Bombe, die Nachricht von der Erteilung der Erdöl- und Mineral-Konzession an die African Exploitation and development corporation, eine Dependance der großen „Standard Oil“. Ein raten, ein Spinnen, ein Debattieren Berufener wie Unberufener und – am schlimmsten – derer, die sich berufen fühlen, ist seitdem in herrlichster Blüte. Alle die Strahlen der lichten Geister treffen sich nicht am Firmament, und treffen sie sich, kreuzen sie sich irgendwo, so ist da oben nichts zu finden außer unsichtigem Nachthimmel. Sehen wir uns einmal die Vorgänge an wie sie liegen: Erschien da eines Tages in der Deutschen Pension in Addis-Abeba ein Herr Rickett. Für jeden, der neu ankommt, interessiert man sich ein wenig. Jener Herr Rickett nun sollte ein Delegierter des Roten Kreuzes sein und Platz und Arbeitsgelegenheit diskutieren wollen für … 300 Aerzte, die später eintreffen würden. 3 0 0 ? Hm, ein bißchen hoch gegriffen; also ein bißchen unwahrscheinlich und damit ein bißchen „verdächtig“. Doch Herr Rickett war so, wie man den Durchschnittsengländer hier zunächst sieht: Er kam mit dem Hut auf seinem leicht gewellten angegrauten Haupthaar ins Zimmer, pflegte nicht zu grüßen und machte trotzdem ein durchaus liebenswürdiges Gesicht. Und dann – na ja, immerhin ein hoher Herr vom Roten Kreuz! Also dieser Herr Rickett nahm seinen ersten Weg zum „Abuna“, dem höchsten geistlichen Würdenträger, und dann gleich zum Negus. Und das ging so weiter, etwa 10 Tage hindurch. Dann plötzlich – nach einer Früh-Audienz (etwa 6 Uhr) beim Kaiser, ganz gewiß auch nicht alltäglich! – hallo! – ein „Flugzeug“ ihn aufnehmen sollte. Ja, und dann der große Krach der Bombenexplosion – die Konzession!

Sehen wir uns zunächst mal Herrn Rickett an, so ist festzustellen, daß er es war, der seiner Zeit die Oelfelder in Mesopotamien und Irak sicherstellte für – England. Festzustellen ist weiter, daß Herr Rickett von hier in eiligster Fahrt sich begab nach – London, also England. Fest steht, daß seine Gesellschaft wesentlich englisches Unternehmen und Herr Rickett selbst, wie gesagt, Engländer ist. Nun wäre das alles immerhin noch kein eindeutiges Zeichen dafür, daß England – offiziell oder inoffiziell – der also „Konzessionierte“ ist. Fragen wir uns, ob nicht doch die USA. ihre Finger im Spiele haben, so müssen wir dem sofort entgegenhalten, daß einmal bisher ein Interesse der USA. an den Vorgängen im östlichen Afrika aber auch nicht im Geringsten erschienen ist, weder rein politisch noch auch wirtschaftlich. Hätte Amerika ein ernstes Interesse – und nur ein solches wäre hier doch vorauszusetzen! – etwa an Ethiopien, es hätte dies ganz gewiß nicht erst in dieser letzten Stunde und damit zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, wo ein anderer Staat seine Hand auf jenes Land legen will oder vielmehr schon so darauf gelegt hat, daß er ganz einfach nicht mehr zurück kann und also selbst vor blutigen Konsequenzen einer Einmischung eines Dritten nicht mehr scheuen darf. Ist danach Amerika als „Staat“ auszuschließen, bliebe an sich noch die Möglichkeit, daß der amerikanische Trust der Standard Oil sich entschlossen hat, das „Geschäft“ eben zu – wagen. Dazu ist zu sagen: So „spleenig“ ist kein amerikanischer Geschäftsmann, daß er ohne Gewißheit, den Schutz seiner Regierung hinter sich zu haben, eine Konzession kaufen würde in einem Gebiet, das von starker Macht dem strittig gemacht wird, der jene Konzession vergeben will. Ist aber zu schließen, daß eben die Regierung der USA. hinter dem Konzessionsakt nicht steht, nun, so geht die Folgerung doch wieder zurück auf England, wenn zunächst eben vielleicht auch nur auf den englischen Teil der besagten gesellschaft. „Gut“, – so sagen die Unentwegten –, „kann dann aber doch ein englisches „Privat“-Geschäft sein.“ Einmal hieße das, dem englischen Geschäftsmann den „Spleen“ zutrauen, den wir dem Amerikaner bereits absprachen. Dazu kommen einige weitere Momente, die wir jetzt betrachten wollen: Pflegt jemand sich – zudem unter den genugsam beleuchteten augenblicklichen höchstkritischen Umständen! –mit einer doch recht beträchtlichen Summe festzulegen auf ein „Unternehmen“, dessen Rentabilitätsquote, nüchtern betrachtet, noch gar nicht feststeht? So aber liegen die Dinge hier. Es steht fest, daß in dem Konzessionsgebiet Oelvorkommen sind, auch, daß es sich um qualitativ gute Vorkommen handelt.

Es steht fest, daß das Gebiet auch wertvolle Mineralien enthält. Weder hinsichtlich der Oelvorkommen noch hinsichtlich der Mineralien steht aber bisher einwandfrei fest, welche Ausbeute effektiv zu erwarten ist. Also: Auch ein englisches Unternehmen kann ganz einfach nicht ein derartiges Doppel-Risiko eingehen, solange es eben als ein „kaufmännisches“ Unternehmen zu werten ist. Da bleibt bei nüchterner Betrachtung wahrlich nichts übrig als der kühle Schluß: Wie der ganze Akt auf Seiten Ethiopiens nichts ist – Ethiopien bestreitet das ja auch gar nicht! – als ein verzweifelter Schritt, um in furchtbarster Not in letzter Stunde eine Hilfe an den Haaren herbeizuziehen, so ist der gleiche Akt auf der anderen Seite eben die Gewährung jener Hilfe, also eine (natürlich dabei von wirtschaftlichen Gesichtspunkten mitbestimmte) durchaus politische Handlung. Lassen schon alle oben gesagten äußeren Momente darauf schließen, daß der „Acteur“ dieser Aktion kein anderer ist als England, so dürfte der gleiche Schluß auch aus der politischen Konstellation zu folgern sein: Der Suez-Kanal, im Verfolg auch das Rote Meer, stellt einen Lebensnerv des englischen Imperiums dar. Gewinnt Italien das ethiopische Hinterland, so bleibt Erithrea – mindestens für den vorausschauenden Politiker – nicht mehr der harmlose kleine Schönheitsfleck an diesem englischen Nerv. Es ist da eine Gefahr von ernster Bedeutung im – Entstehen.

in „italienisches“ Ethiopien mit seiner natürlichen Expansion auch weiter nach dem Westen hin, würde aber – und das gleichzeitig und in gleichem Maße! – eine ständige Bedrohung der gesamten englischen Aegypten-Politik durch Gefährdung der Nil-Quellen sein. Ist’s nicht also ein geradezu logischer Schluß, daran zu glauben, daß England mit allen Mitteln Italien den Eintritt in Ethiopien zu sperren sucht – und erwächst im Verfolg dessen und in Verbindung mit den zuvor beleuchteten Momenten nicht nahezu zwangsläufig der Schluß, daß auch bzw. gerade auch die Konzessions-Angelegenheit eines der Mittel oder Waffen darstellt, mit denen England in seiner begreiflichen Sorge Italien den Eintritt in Ethiopien „vergraulen“ will? Und wenn es da in sein Spiel ein ganz klein wenig „Amerikakombination“ hineinmischt, nun, so dürfte dies ein recht geschickter Versuch sein, auch den Kellog-Pakt ganz im Hintergrunde – mindestens moralisch – sich nutzbar zu machen.

Eine zweite Frage ist es, ob England im innersten Inneren heute noch mit dem erfolge rechnet, Italien in letzter Minute von seinem gewagten Schritt in das ethiopische Land hinein zurückzuschrecken. Englands Politiker sind kluge und – kalt wägende Männer. Es „könnte“ sehr wohl sein, daß sie in der selbstverständlichen Erkenntnis, daß heute Italien gar nicht mehr rückwärts kann, die Krise beschleunigen, damit wesentliche italienische Kräfte im ethiopischen Abenteuer „festlegen“ und … dann !!! … das entscheidende Machtwort, gegebenenfalls dann auch mit dem Druck der Tat, sprechen wollen. Daß heute alles geschehen wird, um die ganze Konzessionsfrage zu „vernebeln“, ist gewiß.

„Allzu“ rätselhaft aber will das große Rätsel mir nicht scheinen!

Will man aber weitergehen und aus dem Reiz eben des „Rätselhaften“ heraus durchaus etwas Rätselhaftes feststellen, so hat man im ganzen Spiel wirklich ohnehin auch das. Rätselhaft nämlich bleibt das Geschrei und Getobe jener Mächte – voran Frankreich – , die mit dem Brustton der Ueberzeugung ihre Stimme voll Empörung auch gegen Ethiopien erheben, weil dies ja gar gewagt habe, nicht hundertprozentig den Sicherheitsversprechungen der lieben Völkerbundsmächte zu vertrauen. Wieso nun, höchst einfach: Ethiopien hat es doch gewagt, einen wirtschaftspolitischen – nur das, beileibe nicht etwa einen aggressiven Schritt! – Schachzug in das Spiel in dem Augenblick einzuschieben, wo sein Gegner, nachdem er vor den Augen der gleichen Friedens- und Schutzengel aus der Völkerbundscorona in aller Ruhe seine Kampfkräfte an den Toren (zum Teil schon innerhalb!) Ethiopiens aufgebaut hat, unmittelbar vor dem Fehlgriff steht! Ja, das hat Ethiopien getan und hat es damit etwa nicht eine moralisch gar nicht genug zu verwerfende „Schandtat“ begangen, die ihm nahzu das ebenso unerhörte wie selbstverständlich „selbstlose“ (selbstlos daher auch die jetzige Empörung!) Wohlwollen seiner „Schutzengel“ entziehen müßte??? …