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Senftenberger Anzeiger vom 25. Januar 1936
Senftenberger Anzeiger vom 25. Januar 1936
Senftenberger Anzeiger vom 25. Januar 1936
Senftenberger Anzeiger vom 15. Februar 1936
I.

Nun haben wir von Europa Abschied genommen und fahren auf der guten alten „Wien“ (Vienna) des Triester Lloyds durch die kobaltblauen Wogen des Mittelmeeres Afrika entgegen. Ja, es ist die alte „Wien“. Aus den Bildern im Speisesaal grüßt uns noch die alte Kaiserstadt, grüßt uns die Mode der Vorkriegszeit. Die Bilder des alten „Franzl“ und des Thronfolgers nur sind ersetzt durch Bilder des Königs von Italien und des Duce. Unverändert ist die peinliche Sauberkeit, unverändert die hervorragende Verpflegung. Also das „Afrikafahren“ – in diesem Teile der Fahrt – ist nicht gar so übel. Ich will nun weder von den schönen Gegenden Deutschlands und Italiens berichten, durch die unser treuer Ford mit seinen 40 Pferdestärken im Tempo von 80 – 100 Kilometer uns getragen hat, noch heute schon „Erlebnisse“ schildern, über die die Auguren – und dies mit Recht! – zu lächeln pflegen. Und dennoch gibt es so allerlei Interessantes auch schon auf solcher Fahrt. Mit dem Grenzübergang fängt es an. Da dürfen auf Grund einer Dringlichkeitsbescheinigung an barem Gelde 50 Reichsmark je Person über die Grenze mitgenommen werden. Ich weise die 50 Reichsmark vor. O wehe, erstes Vergehen! Es darf nur Hartgeld sein. Noch ist es Zeit, und bald sind die Beträge in Hartgeld gewechselt. Und das Ergebnis „drüben“? Hartgeld will jenseits der Grenze keiner abnehmen. Und wenn es jemand tut, so zahlt er für eine Reichsmark ganze 3 Lire. Ja, und dann: Wir müssen unseren Wagen an der deutsch-österreichischen Grenze – für uns Mittenwald – einem besonders befugten Vertrauensmanne zur Durchführung durch Oesterreich übergeben, sofern wir ihn nicht mit erheblichen Unkosten und obendrein möglicher Zeitversäumnis mit dem Zuge transportieren lassen wollen. Natürlich geht es auch anders, jedoch nur dann, wenn man je Person 1000 Reichsmark zahlt – und wer kann und will das? Also wir fuhren mit dem Zuge, mit uns die Sorge um unsern Wagen. Den Aufenthalt in Innsbruck benutzen wir zu einem Bummel durch die Stadt. Ja, ja, es ist schon so – die deutschen Besucher fehlen, fehlen bitter, bitter, und das prachtvolle Tiroler Brudervolk weiß seiner Regierung wenig dank für seine Not und bringt durchaus kein Verständnis dafür auf, wenn es, wie kürzlich geschehen, erleben muß, daß auf höheren Befehl 80 englische Tirolbesucher der Stadt Innsbruck mit 40 Mann Musik eingeholt werden! Also wir trafen auf dem Brenner mit dem Zuge ein und fanden zu unserer Erleichterung dort unseren Wagen in bester Ordnung vor. Die Pässe…, ja, das ist freilich eine eigenartige Sache, wenn zur Zeit darin die Einreiserlaubnis nach Abessinien vermerkt ist und der Inhaber – obendrein ehemaliger Offizier – ausgerechnet durch Italien fahren will. Ist das nun Frechheit oder wirklich gutes Gewissen? Lächelnd bemerkte ich, wie die hohe Paßkontrolle die Köpfe zusammensteckte, uns verstohlene Blicke zuwarf, miteinander tuschelte; und ungewöhnlich lange dauerte die ganze Prozedur. In der Zwischenzeit – nun, da hatte man unseren Wagen und in und an diesem unser gesamtes Gepäck (Schlüssel mußten dem Transporteur mitgegeben werden) einer gründlichen „Durchforstung“ unterzogen. Ich nehme es unter den besonderen Umständen einerseits nicht übel und erkenne andererseits gern auch die „Sorgfalt“ an, mit der die Prüfung geschehen war, d.h. insofern, als alles wirklich wieder tadellos eingepackt worden war. Die immer wiederholten Fragen nach Waffen konnte ich mit gutem Gewissen verneinen und habe nicht einmal Bedenken getragen, frei zu bekunden, daß ich selbstverständlich nicht ohne Waffen nach Afrika ginge, diese ebenso selbstverständlich aber nicht durch Italien führte. Ja, da war wohl nichts zu machen. Und tatsächlich habe ich während der gesamten Fahrt durch Italien bis zur Einschiffung in Neapel in keiner Form irgendeine Behelligung erfahren.

Die Fahrt ist nicht nur landschaftlich ein Genuß gewesen, dem freilich – da sollte sich jeder Deutsche merken! – die frische Würze der deutschen Wälder fehlt, sondern auch dem „Autler“ eine Freude dank der prachtvollen Straßen. Rom! 1 200 000 Einwohner. Vieles ist geschehen, um die störenden Häßlichkeiten von einst zu beseitigen. Winkel und Ecken haben Anlagen und Blumen erhalten. Aber es bleibt nun mal doch das „alte Rom“ mit größtenteils schmalen Straßen, das Rom, das sich ja auch wirklich nur außerordentlich schwer den Anforderungen an eine moderne Großstadt anpassen läßt. Und es bleiben ja auch die „Italiener“, die eben anders sind als wir. Da komme ich auf einen interessanten Versuch: In Rom und Mailand (ich weiß nicht, ob außerdem noch) hat man von bestimmter Stunde eines bestimmten Tages an ganz einfach jedwedes Hupen der Kraftwagen verboten und unter peinliche Strafe gestellt. Bin gespannt, zu welchem Endergebnis der Versuch führen wird. War es früher bei Tag und Nacht geradezu ein Teufelskonzert in den Straßen Roms, so mutet das schweigsame Gleiten der Kraftwagen jetzt uns beinahe geisterhaft an. Aber die Sache hat bedenkliche Seiten. Was bei dem Ordnungssinn und der Disziplin der Deutschen, vor allem bei der vorzüglichen Straßendisziplin in Deutschland wohl kaum große Schwierigkeiten bieten würde, in Italien ist’s nun mal anders. Da läuft und fährt man eben kunterbunt durcheinander, der eine links, der andere rechts. Der eine Polizist greift ein, der andere übersieht’s. Da stehen ganze Gruppen beim Schwätzchen auf dem Bürgersteig verkehrsreichster Straße. Da laufen sie auf der verkehrten Seite zu Vieren und mehr nebeneinander. Da laufen sie genau so mitten auf der Fahrstraße wie auf dem Bürgersteig. Da zieht irgendein Träumer im Zickzackkurs inmitten der Straße seinen Weg. Wie ich auch vorbeizukommen suche, ich habe ihn vor mir. Ja, und hupen darf ich doch nicht. Was bleibt übrig? Ich ersetze die Hupe durch den – hm, großen? – Mund. Das hilft. Der Herr Träumer schaut sich um und entdeckt voll Entsetzen unmittelbar hinter sich meinen blinkenden Kühler. Ja, und die Herren Autler selbst? – Reden wir nicht darüber! Kurven werden genommen wie es paßt, und überholt und ausgewichen wird nach Geschmack und Raumfreiheit, wobei letztere nicht selten ein wenig verschätzt wird. Geht alles eben ein bißchen weniger gründlich, ein bißchen weniger ordentlich, ein bißchen weniger – sauber zu. Und das gilt in jeder Hinsicht. Es gilt – sehr zum Leidwesen! – auch für die Gaststätten- und Hotelbetriebe (Ausnahmen bestätigen die Regel, und wo man sie findet, stößt man meist auf eine deutsche Kraft). Und es gilt besonders auch in bezug auf technische Dinge. Es ist ganz fraglos, daß auf dem Gebiete der Technik Italien einen ganz erheblichen Aufschwung zu verzeichnen hat. Aber, wie auch sonst, die Glanzleistungen sind Spitzenleistungen, denen die Allgemeinheit sich noch nicht angepaßt hat. Durchweg fehlt es daher an richtiger Pflege und sorgsamer Behandlung der technischen Erzeugnisse, so daß sehr bald deren Zustand zu wünschen übrig läßt. Aber sonst – nun, es ist Italien mit seiner „segnenden“ Sonne, die in diesem Jahre – alles ist ja überall „verkehrt“ – besser „sengend“ genannt wird. Ja, und der drohende Kolonialkrieg? Kaum etwas zu merken, weder von ihm, noch von sonderlicher Begeisterung für ihn, wenigstens nicht im Kreise der unabhängigen Intellektuellen, noch in der Masse des Volkes. Italien hat seine Vulkane. Mag sein, daß das Volk sich daran gewöhnt hat, über „Vulkanen“ sorglos zu sein!

II.

Auf Dampfer Chenonceaux im Roten Meer.

20. Juli 1935.

Am 8. Juli 1935 um die Mittagszeit steigt aus dem blauen Meer Afrikas Küste auf, weiß mit leicht gelblicher Tönung, unterbrochen vom dunkleren Ton einzelner Baumgruppen. Und dann das Häusermeer der Handels- und Hafenstadt Alessandria – eine Hafenstadt kaum anders wie solche in Europa auch, übertuscht in ihrer vielleicht einstigen Originalität durch den modernen Internationalismus. Zunächst – gültig für die Zeitspanne, der dieser Bericht entstammt – ein wohlgemeinter Rat, so paradox er klingen mag: Wer der Hitze Europas, mindestens aber der südlich der Alpen, überdrüssig ist, der gehe nach… Afrika, mindestens Alessandria. Tatsächlich ist’s zur Zeit hier wohltuend kühl gegenüber der Backofen-Temperatur, die wir in Italien erfahren haben. Ich will nun nicht von den bekannten z.T. lästigen Formalitäten sprechen, die mit der Reise von Land zu Land verbunden sind, auch nicht von dem „Mischmasch“ von Orient und Occident in dem Gewimmel am Hafen. Dem, der es zum ersten Male sieht, mag es manche Illusionen rauben; und ich will ja gar nicht Illusionen nehmen. Ich will auch nicht von den vielerlei Darbietungen in Waren und … „Künsten“ berichten. Künste? – Ja, da produzieren sich z.B. inmitten des Trubels am Schiff Parterre-Akrobaten, die sich ganz gewiß in der Skala sehen lassen könnten. Nebenher: Da reißt soeben ein Gaukler einem piepsenden Kücken den Hals ab. Brrrr – entsetzt wendet meine Frau sich ab. Doch es ist gar nicht so schlimm: Die Hand mit dem „Kückenkopf“ öffnet sich und heraus schaut ein höchst vergnügtes zweites Kücken. Folgende kleine Episode aber will ich nicht vergessen: Da bietet neben vielen anderen ein untersetzter dunkelbrauner Bursche seine Führung durch Alessandria an, bei jeder Ablehnung gewohnheitsmäßig billiger werdend. Wer ist’s? Herr …. Schmidt! Tatsächlich hat er als solcher auch seinen Ausweis. Mit blumenreichem Wortschwall preist er die Schönheiten der Stadt und berichtet von den Katakomben, die 5000 Jahre alt seien. Ich wende – keine Ahnung, ob es stimmt – ein, sie seien doch nur 3000 Jahre alt. Freund „Schmidt“ ist nicht etwa verlegen und meint lächelnd: „Nun, ist doch auch genug!“ Wie das Geheimnis seines deutschen Namens sich löst, habe ich nicht erfahren können. Eine zweite kleine Geschichte betrifft unseren Freund Hassan Mohamed, einen echten Araber, einen prächtig gewachsenen Burschen mit offenem Gesicht und guten Augen. Kaum war er unser gewahr geworden, tönte uns sein „Heil Hitler!“ entgegen. Er ist einmal in Bremen gewesen. Ich nahm ihm für durchaus soliden Preis 2 Serien Ansichten von Alessandria ab. Ja, und jetzt kommt das „Mirakel“: Hassan Mohamed reicht in liebenswürdiger Weise sowohl meiner Frau wie mir je ein Paar arabischer Manschettenknöpfe dar und – weist jede Bezahlung dafür mit unabweisbarer Bestimmtheit zurück. Hassan Mohamed wurde unser Freund; und in dieser Freundschaft ist nie der „Pferdefuß“ erschienen. Für 1,50 RM verkaufte er mir eine wirklich schöne Banknotentasche in Kamelleder. Nur in Form von Zigaretten nahm er einen kleinen Dank an. Und dann: Wir saßen an Bord bei Tisch. Da erschien ein Steward. Ich sah gerade noch, wie ein langes weißes Gewand eilends verschwand – Hassan Mohamed. Der Steward aber überreichte meiner Frau von „einem Araber“ einen wundervollen Strauß roter und weißer Rosen und Margeriten. Dann haben wir von unserem Freunde noch einige Aufnahmen gemacht und seine Anschrift uns geben lassen. Er soll aus der Ferne als Gruß seiner deutschen Freunde einige Bilder erhalten.
Das Gegenteil von diesem braven Burschen haben wir in Port Said kennengelernt. Einer der unzähligen – der Fremde kann sich der Händler in „echten“ Schmuckstücken, Skarabäen, Stoffen, Ansichtskarten, der Schuhputzer usw. kaum erwehren – Tabakverkäufer bot mir Tabak für meine Pfeife an. Seine Forderung von 20 Piastern erwiderte ich erfahrungsgemäß mit einem Angebot von 10 Piastern. Endergebnis des halbstündigen (darunter geht es selbst bei einer Schachtel Streichhölzer nicht) Handelns: Ich kaufte für 15 Piaster den „echt ägyptischen“ Tabak. Vornehm wie ein Fürst erschien der Händler kurz darauf und bot mir „huldvoll“ 2 Schachteln Streichhölzer als „Präsent“ dar. Das aber erschien mir als „Kenner“ verdächtig. Richtig, bald hatte ich festgestellt, daß man mir im Laden für meinen übrigens nicht etwa „ägyptischen“ Tabak nur 10 Piaster abverlangte, so daß ich ihn mit wohl 7 – 8 Piaster (6 Piaster = 1 RM.) hätte haben können. Port Said verzeichnet übrigens allgemein geradezu ungeheuerliche Preise. Man fragt sich, wie jemand zu existieren vermag, in diesem Ort, der den Eindruck macht, als sei er – noch nicht ganz fertig – vor Wochen erst aus dem Sande gestampft worden. Verkehrsschutzleute und sogar Ampeln hat Port Said. Doch was letztere sollen, ist mir nicht recht klar geworden, noch weniger wohl dem ägyptischen Schutzmann selbst, der sie bedient. Ob rot, ob grün, kein Fußgänger, keiner der ihre Ankunft mit vernehmlichem Glockenschlag ankündenden Pferdetaxen, kein Auto richtet sich danach; und nur wie zum Zeitvertreib wechselt der Polizist eben dann und wann die Lichtfarbe. Nachdem wir durch einen „Schkeper“ zunächst einmal in ein Restaurant gebracht waren, wo man uns den dreifachen Preis abnahm, aßen wir in einem zufällig aufgetanen griechischen Restaurant, deren es viele in Port Said gibt. Das Essen war gut und preiswert. Das ägyptische Bier schmeckte nicht übel, d.h. nachdem wir zuvor eine „Lage“ erst einmal zurückgewiesen hatten, weil die Gläser den Mundabdruck von „Generationen“ untilgbar an sich hatten. Viel Spaß macht es, den Uebergang des Europäers in den heißen Orient zu sehen. Das beginnt schon auf dem Schiff. Nämlich: Der Tropenhelm und der Moskitowedel! Wüßte mancher, wie „komisch“ ihm der Tropenhelm steht, zumal wo er wirklich noch nicht benötigt wird, er ließe ihn lieber „zu Haus“: denn dort soll er ja doch erst bestaunt werden. Port Said hat einen wundervollen Strand. Leider reiht sich an seiner schönsten Stelle, ganz wie am Lido vor Venedig, geschmacklose Bretterbude an Bretterbude und verleidet die Lust zu dem so ersehnten erfrischenden Bade. Trotz des Hotelbades nähme man ein solches doch so gern! Da treffen wir auf der Mole, deren Fußpunkt das Lessepsdenkmal bezeichnet, einen Inder. Er nickt mit einer Art heimlichen Einverständnisses unserem „Fritz“ – Chauffeur, Helfer in allen Nöten – zu. Was ist’s mit ihm? Auf dem Schiff schon hat er sich an „Fritz“ herangemacht, hat über unseren Hitler gezetert und Lenin und – Thälmann (!!!) in den Himmel gehoben. Seine Karte ging nicht etwa in Port Said zu Ende. Was mochte den Jünger Lenins bestimmt haben, trotzdem dort auszusteigen? Das sittliche Niveau des Getümmels aus aller Herren Ländern kennzeichnet ein ganz kleines, an sich vielleicht unbeachtliches Moment: fast alle Händler – meist übrigens Kopten, Armenier oder Griechen – bieten, wenn der Fremde ihnen durchaus nichts abnehmen will, ihm mit verschmitztem Augenzwinkern Karten mit übelsten Darstellungen an; und ihre Frechheit – in meinem Falle mit den entsprechenden arabischen Epitheta beantwortet – geht soweit, daß sie dabei nicht einmal auf die Anwesenheit einer Dame Rücksicht nehmen. Respekt hat dies „Gesindel“ heute vor dem Europäer kaum noch. Nur eine Ausnahme: Erscheinen die strammen, sauber gekleideten Gestalten der englischen Polizisten, stiebt alles auseinander und verschwindet.

III.

Wir waren im „Expreß“ (ich rate jedem, sich die Kosten für 1. Klasse zu ersparen und die 2. Klasse zu wählen, die sich kaum von der 1. unterscheidet) über Ismailia nach Cairo gefahren. Wir haben die Araberstadt Cairo durchwandert, Sakkara, die uralte Totenstadt Memphis und die Pyramiden von Gizeh gesehen. Befugte haben darüber und über die herrlichen Schätze des Nationalmuseums in Cairo geschrieben. In anderer Richtung will ich einige „Streiflichter“ über das Land huschen lassen: Auf dem Wege zu den Stätten der Erinnerung an eine unerhört vorgeschrittene uralte Kultur haben wir von Cairo uns wenige Kilometer nur entfernt. Die Straße führte an einem der größeren Nebenarme des Nils oder einer seiner Kanäle entlang. Und was lag darin? Ein abgehäuteter, also planmäßig dahineingeworfener Eselkadaver. Um den Kadaver herum badeten Kinder. Unweit wusch eine Frau ihr Eßgeschirr. Kaum 10 Meter davon, genau so wenig beachtet wie jener Eselkadaver, trieb die Leiche eines braunhäutigen Mannes. Dutzende von Tierkadavern haben wir im Verlaufe unserer Fahrt in den Gewässern noch gesehen. Als Führer hatten wir einen Mann deutschen Namens. Preis durchaus solide, d.h. durch das Hotel festgelegt. Führung gut. Als Kenner des Orients witterte ich aber irgendwo den „Pferdefuß“, sobald ich erfuhr, daß jener Mann mit deutschem Namen ein „Türke“ sei, der mir obendrein erklärte, er sei ein „freiwilliger“ Mohamedaner. Nun, der Pferdefuß entpuppte sich diesmal ziemlich harmlos. Sein „Spezialverdienst“ waren die „Trinkgelder“, die er den Arabern an verschiedenen Stellen gab. Er gab sie „diskreterweise“ sehr unsichtbar. Die Araber waren nie zufrieden. Ich war es später auch nicht ganz; d.h. ich war es nicht in Anbetracht der Höhe jener Sonderabgaben. Ein charakteristisches Moment sein nicht vergessen: Auf dem Wege zwischen Sakkara und Gizeh, mitten im Wüstensande, begegneten wir einer tief verschleierten Araberfrau. Ihre dunklen Augen blickten zwischen Kopfschutz und Schleier uns an. Ein Lächeln: „Heil Hitler!“ – Der Gruß der Wüstenbewohnerin für uns Deutsche. In Aegypten ist der German durchaus beliebt. Und doch: In Cairo wie Port Said hängen über Restaurants und Cafés die Flaggen aller möglichen Nationen, besonders aber die Frankreichs. Nicht eine einzige deutsche Flagge habe ich gesehen, wohl aber Deutsche, die in jenen Gaststätten verkehrten, wo man die deutsche Flagge anscheinend nicht „kennt“. Ich habe mich – geschämt; und ich hoffe, daß man deutscherseits wissen wird, dem Deutschen beizubringen, daß er gleich den Angehörigen anderer Nationen eine Gaststätte meidet, die andere Flaggen, nicht aber die deutsche führt! Der Deutsche lerne in dieser Hinsicht vom Engländer! – Die Schuld an jener Einstellung den Deutschen gegenüber trägt neben dem mangelnden Nationalstolz, der Deutsche selbst aber nicht das ägyptische Volk. Es ist die „Levante“, die hier mit allen ihren unliebsamen Eigenarten sich geltend macht. Das Volk des Landes – bis auf eine dünne Oberschicht – krankt trotz der Fruchtbarkeit seines Nils und seiner 4 Ernten an bitterster Armut. Das Geld, der Glanz in Grundbesitz wie Lebensweise liegt in den Händen jenes Gemisches von Juden, Armeniern, Griechen usw., kurzum: der Levante, die Land und Volk und – Fremde in übelster Weise aussaugt, wie sie das genau so in der Türkei tat und heute wiederum tut. Richtig, die Türkei“! Sie tut alles, um die Aegypter für Besuch ihres Landes zu gewinnen. Der immer wiederholte Appell aber findet kaum Anklang. Die Türkei hat mit ihrer Abkehr vom Islam die Resonanz in dem moslimischen Aegypten verloren. Und doch unterliegt fraglos die islamische Kultur auch in Aegypten mehr und mehr dem Einfluß des Abendlandes. Mit Aeußerlichkeiten fängt es an, genau wie einst in der Türkei. Ging vor gar nicht langer Zeit noch die Aegypterin auch der Städte streng in ihrer – modernisiert übrigens sehr kleidsamen – Tracht, so meint sie heute, wenigstens in den größeren Städten, in dem europäischen Hut viel schöner und vornehmer zu sein, und nur der Schleier über dem Hut deutet das einstige Gebot der Zurückhaltung weiblicher Schönheit noch an. Wüßten sie, wieviel schöner sie oft in ihrer kleidsamen Tracht mit dem zarten Hauch des Schleiers aussehen, wie lächerlich umgekehrt in dem Gemisch von europäischer und orientalischer Tracht, ich glaube, sie würden die Mode Europas bzw. ihrer geschmacklosesten Form nicht eintauschen gegen den dereinstigen Charme der eigenen Tracht!

Eine andere Frage ist es, weshalb die ägyptische und speziell arabische Frau bei der Hitze ihres Landes sich fast durchweg in Schwarz kleidet, während doch weiße Farbe der Kleidung für das Klima die natürliche wäre. Ob da etwa die männliche Eifersucht – schwarz verdeckt natürlich Form und Schönheit wesentlich mehr als ein helleres Gewand – grundlegend war, ich weiß es nicht. Jedenfalls wäre dieser Quälerei in einfachster Weise und angepaßt an Tradition und Eigenart abzuhelfen. Und es sei der an sich in ihrer Art wirklich schönen Aegypterin noch gesagt, daß ihr das natürliche Schwarz ihres Haares unendlich viel besser steht als das künstliche und „krankhafte“ Blond der Mode, das sie heute vorzieht. Dem Aegyptenreisenden fällt ein Uebel nach kurzem Aufenthalt schon auf: Außerordentlich viele Aegypter schielen. Das grelle Licht im Verein mit dem feinen Staub mag die vielen Augenkrankheiten wohl erklären. Ob aber auch die ungeheure Verbreitung des Schielens damit zusammenhängt, möge berufenem Urteil überlassen bleiben! – Ein wunderbares Erinnerungsstück an die Geschichte der türkisch-mameluckischen Zeit des Landes bildet die Zitadelle, die von ihrer Höhe herunter die Stadt Cairo beherrscht. Uns Deutsche, die wir Achtung und Ehrfurcht empfinden vor der geschichtlichen Vergangenheit unseres Landes und Volkes und heute diese Achtung Gottseidank wieder bekennen dürfen, mutet es schmerzlich an, sehen zu müssen, wie ein solches Dokument völkisch-historischer Entwicklung geradezu verkommt und verdirbt. Und kaum anders trifft es den Deutschen in seiner tieferen Anschauungsweise, wenn er dicht an den Pyramiden von Gizeh, von dürftigem, häßlichem Bretterzaun umgeben, den geschmacklosen Kastenbau einer Art von Palais sieht. Auf die erstaunte Frage, was denn das für ein Kasten sei, lautet die Antwort: „Es ist ein kleiner Palais, in dem der König illustre Pyramidenbesucher, die seine Gäste sind, bewirtet. – Schade, wie es um so vieles schade ist, was den Beschauer stört, der die Größe und Schönheit der uralten ägyptischen Kultur in stiller Andacht genießen will! -- In Cairo haben wir auch ein deutsches Restaurant besucht. Es heißt „Finish“. Die deutsche Flagge habe ich darüber vermißt. Was es dem Besucher bietet, ist gut. Weniger erfreulich war es uns, sehen zu müssen, wie ein deutsch-sprechender Besucher – hoffentlich trotzdem kein Deutscher! – seine Füße auf einen herbeigezogenen zweiten Stuhl legte, während seine Begleiterin ihrem Hunde seine Platz auf dem … Eßtisch anwies. „Streiflichter“, wie ich anfangs sagte! – Unser Führer durch das Nationalmuseum in Cairo war ein recht gut Deutsch sprechender Araber, Abbas Mohamed Said, mit der polizeilichen Führer-Nummer 169. Als er nach wirklich ausgezeichneter Führung um eine schriftliche Anerkennung bat und auf dieser – ich gab sie ihm aus vollster Ueberzeugung herzlich gern – meinen islamischen Namen las, stutzte er. Und als ich ihm die Richtigkeit dessen bestätigte, wollte er mit aller Energie den empfangenen Lohn mir zurückgeben. Da ich das zurückwies, bat er meine Frau und mich, seinem Hause in einem Dorfe unweit von Cairo die Ehre zu erweisen, darin seine Gäste zu sein. Leider haben die Umstände es uns nicht erlaubt, die Einladung anzunehmen. Aber Abbas Mohamed Said war unser Gast im Hotel zu einer Tasse Kaffee. Ich kann ihn jedermann als ausgezeichneten und ehrlichen Führer durch Cairo und Umgebung wärmstens empfehlen. -- Und nun schwimmen wir durch das heiße – d.h. die Hitze brütet ja darüber – Rote Meer, Djibuti entgegen. Das „Greenhorn“ weiß vor Tropenhelm, Whisky-Soda, die Damenwelt vor (nebenher nicht immer reizvoller!) „nudité“ kaum zu bestehen. Wie gruselig, sogar Haifische haben wir in Schiffsnähe schon gesehen! Ja, es ist heiß, ganz gewiß. Aber auf einem europäischen Schiff ist in jeder erdenklichen Form wirklich so gut vorgesorgt, daß der ehrliche Erzähler schon eingestehen muß: Es ist selbst im Roten Meer unweit Djibuti ganz erträglich; und die Haifische sind auf dem Schiff selbst auch ungefährlich. – Wenn etwas stört, so ist es höchstens die Neugierde der zahlreichen mitreisenden „Kollegen vom fach“, die immer nicht recht wissen, wie sie den „Anfang“ für die Befriedigung ihrer Neugierde finden sollen. Erstaunlich, welcher Schwarm von Reportern, Filmoperateuren usw. aus aller Herren Länder augenblicklich den gleichen Weg nimmt, den nach … Adis-Abeba!

Addis Abeba, 2. August 1935.

III.

Am frühen Morgen des 22. Juli lagen wir vor Djibouti. Dem Ausbooten unter dem üblichen Geschnatter der Schwarzen wohnten, erkennbar an der dunklen Rückenflosse über der Wasserfläche, die Haifische bei. Die Bestien, dort unglaublich frech, sind oft unerwünschte Gäste sogar im Hafen. Kürzlich erst wieder sind Kinder beim Baden ihrer Gier zum Opfer gefallen. Der erste Blick vom Kai in das Hafenwasser zeigte uns in ihren schmuckhaften Farben zahlreiche kleine Fische, wie wir sie als kostbare Exemplare in unseren Aquarien zu sehen gewöhnt sind. Ein Segen, daß ein Mitglied der Familie Rhigas, der seit 1900 das Hotel Continental – dorthin begann in tadellosen Autos die Prozession der Ausgebooteten – gehört, dem von allem Trubel fast völlig verwirrten Reisenden jedwede, aber auch wirklich jedwede, Sorge schon von der Schiffskabine an restlos abnimmt. Ob es die Paßformalitäten sind, ob Zollverpflichtungen, ob Transport von Mensch und Gepäck, ob Geldwechsel, ob postalische Wünsche, alles erledigt Familie Rhigas, und für den Deutschen die schon in Deutschland uns warm empfohlene Persönlichkeit des tüchtigen Arabers Ali Bahdon, der seit seinem 6. Lebensjahre Kind des Hauses Rhigas ist. Hätte Dante, der große italienische Dichter, Gelegenheit gehabt, auch nur einen kurzen Aufenthalt an der Somaliküste zu nehmen, er hätte diesen benutzt, um die Höllenqualen seines Inferno noch schrecklicher zu gestalten. Backofenglut brennt unbarmherzig durch staubgeschwängerte Luft. Und in diesem Inferno leben Europäer z.T. viele Jahre ununterbrochen! Und hier gibt es zum Segen der Reisenden eben jenes Hotel Continental mit seiner Bauweise so, daß die Räume selbst auf beiden Seiten innerhalb breiter Veranden liegen. Ueberall geben von eigener Kraftanlage des Hauses betriebene Ventilatoren sich Mühe, durch Herumrühren des Glutdunstes von ca. 50 Grad eine Kühlung wenigstens vorzutäuschen. Duschräume und Bad fehlen nicht und bedeuten dem rasch erschlafften Körper trotz beinahe heißer Temperatur des Wassers unendlich viel. Eine deutsche Eismaschine ermöglicht den unerläßlichen Massengenuß an gekühlten Orangaden, Limonaden, an Sodawasser mit und ohne Whisky und an – deutsches Bier. Wie die Hotelleitung es fertig bringt, unter den klimatischen Verhältnissen dort eine erstklassige Kost vorzusetzen, muß ihr Geheimnis bleiben. Der Europäer, auch von dem schwarzen Personal in aufmerksamster Weise betreut – ja, wirklich „betreut“! – muß dem Hotel Continental jedenfalls Dank wissen. – Wie jeder „Schatten“ ja ein „Licht“ voraussetzt, so hat auch die Gluthitze in Djibouti ihr Gutes. Ihr nämlich flieht selbst das ekle Gewürm und Kriechgetier, das in den Tropen sonst das Grausen des Europäers bildet. Spannenlange Heuschrecken schwirren wohl umher und erschrecken, wenn sie mit kräftigem Aufschlag einmal den Kopf treffen. An den Wänden – auch in den Zimmern – huschen blasse Eidechsen, fallen ungewollt auch mal dem Schläfer aufs Gesicht. Doch sie sind harmlos und als Insektenvertilger nützlich. Von den bösen Quälgeistern der Tropen, den Moskitos, ist Djibouti frei. Sogar Bazillen, die die des Typhus und anderer bekannter Erkrankungen heißer Länder, sind der Glut von Djibouti abhold. Bekannte Freunde von Europa her dagegen fehlen selbst hier nicht. Es sind die Sperlinge, Krähen, die Mäuse und Ratten, die wir hier wie überall treffen. Und im Gegensatz zum Menschen weisen Tiere gleicher Art auf der ganzen Erde die gleiche Sprache, die gleichen Eigenarten auf. Zu meinem Entsetzen dagegen erkannte ich an einer der Jammergestalten, die, auf dem Boden herumrutschend, dem Europäer Almosen heischend ihre Gebrechen zeigen, den furchtbaren „Aussatz“ der Bibel, die Lepra, und dies nicht nur in einem Einzelfall. Es ist unerfindlich, wie es in einer französischen Kolonie möglich ist, daß Leprakranke im Knäuel der bettelnden und ihre Waren darbietenden Eingeborenen sich dem Europäer nahen und – wie ich es in einem falle sah – ihn sogar „berühren“ können, um auf sich aufmerksam zu machen! Ich sprach mit Franzosen der Kolonie darüber. Ein vielsagendes Achselzucken. Und ich sprach mit ihnen über einen weiteren Punkt, der mir auffiel, das z.T. geradezu unverschämte, fast durchweg aber der gewohnten Achtung vor dem Weißen entbehrende Verhalten der eingeborenen Bevölkerung. Ein Streiflicht: Als meine Frau, im Augenblick leider von mir getrennt, einem der andrängenden Autos im Getümmel nicht rasch genug auszuweichen vermochte, gab einer der Schwarzen ihr einen Stoß gegen die Schulter, so daß sie seitwärts flog. „Was wollen Sie, mein Herr? Ich als Franzose habe vor kurzem erst mitten auf dem Marktplatz mit einem unverschämten Eingeborenen mich schlagen müssen. Und ich habe obendrein besorgen müssen, daß man mich für meine tatkräftige Abwehr zur Verantwortung zog. Das ist der Geist unserer von internationaler Gefühlsduselei getränkten Kolonialpolitik“. So peinlich der Europäer diese aus völlig verfehltem und rassisch dekadentem Liberalismus geborenen Mißstände empfindet, so muß er und muß gerade auch der Deutsche die Höflichkeit, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft des französischen Beamten anerkennen, mag dieser in den von Fell- und Gewürzduft geschwängerten Zollräumen, in der Direktion der Bahn oder an sonstiger Stelle des Verwaltungsapparates sitzen. Wie überall im Orient, liegen die einheimischen – vorliegend gemeint die französischen – Geschäfte in schwerem Kampfe einerseits mit den allbekannten „Levante“-Firmen, andererseits aber mit dem Massenangebot der geradezu unglaublich billigen japanischen Waren. Das Verhältnis bzw. Mißverhältnis der Preise zwischen französischer und japansicher Ware ist z.T. geradezu ungeheuerlich. Das Verhältnis bzw. Mißverhältnis der Preise zwischen französischer und japanischer Ware ist z.T. geradezu ungeheuerlich. Französische Textilerzeugnisse, die in der französischen Kolonie z.B. nicht unter 15 – 20 Franc verkauft werden können, werden in japanischer Herkunft für 5 Franc geliefert. Mehr und mehr erringt die japanische Industrie aller Art in Afrika, wenigstens in den hier in Frage kommenden Strichen, sich geradezu Monopolstellung. Ein kleiner „Gewinn“ der französisch-russischen Freundschaft nebenher: In Djibouti wurden uns .. Sowjet-Streichhölzer gereicht. Eine geradezu hervorragende Organisation weist trotz der bitteren Not auch heute noch das große Geschäftshaus der Firma Bertrand & Co., die „Grands Comptoirs Francais“, auf. Den Deutschen erfreut es gewiß, feststellen zu dürfen, daß in diesem Unternehmen, dessen Besitzer von ausgesprochen deutschfreundlicher Einstellung ist, unter ganz einfach allen, was der Mensch überhaupt benötigen könnte, -- ich fand sogar für mein zerbrochenes Einglas Ersatz -- , in erheblichem Umfange deutsche Erzeugnisse geboten werden. Das Haus vertritt mit regster Reklame die deutschen Firmen Voigtländer, Bayer, Hackerbräu, Haller, Dohner u.a. Richtig, da fällt unser Freund Ali Bahdon mir wieder ein. Mit einem Deutschen gemeinsam betreibt er einen ertragreichen – Ali ist ein vermögender Mann und Besitzer mehrerer Häuser – Handel mit Därmen, die an die bekannte Wurstfirma Heine geliefert werden. Ali, ein stämmiger, brauner Araber, hat in früher Jugend beim Zirkus Sarrasani gearbeitet. Er spricht recht gut Deutsch, hat sich eine geradezu rührende Anhänglichkeit an Deutschland bewahrt und ist der wohl wertvollste Berater und Helfer aller Deutschen, die Djibouti passieren. Dabei ist Ali von einer kaum faßbaren Selbstlosigkeit. Jede geldliche Anerkennung weist er ebenso zurück wie jeden Tropen Alkohol. Uns war er Freund und Helfer bis hinein in unser Abteil des Expreßzuges nach Adis-Abeba. Zwei Tage unseres ungewollt langen Aufenthaltes in Djibouti aber war Ali nicht auffindbar. Des Rätsels Lösung: Wer, wie Ali, geliebt und geachtet wird, hat andereseits, zumal als wohlhabender Mann, auch Neider, Feinde und Anschwärzer. So hatte man Ali politischer Umtriebe wegen angezeigt. Erfolg: Ali hat eineinhalb Tage im Gefängnis zubringen müssen, bis er wegen Mangels an Beweisen wieder entlassen werden mußte. Ali-„Baba“ (Vater Ali) ist Gründer und Präsident der „Société finfaisante islamique de Somali“, deren Vereinszeichen neben den bekannten Emblemen des Islam zwei ineinander greifende Hände darstellt. Wer die französische Sprache nicht recht beherrscht, könnte die Vereinsbezeichnung wohl übersetzen in: „Afrika den Afrikanern!“ – Man weiß das und hält natürlich die Augen offen.

Die Bewegung, die mehr und mehr Boden gewinnt und in ganz Somali schon offen oder geheim Zweigstellen hat, hat wesentlich dazu beigetragen, die religiösen Gegensätze in den abessinischen Vorgängen gegenüber dem Prinzip des Zusammenhaltes der schwarzen Rasse zu überbrücken. Die französische Regierung sieht die fortschreitende Verbrüderung der Eingeborenen im Zusammenhang mit dem abessinischen Konflikt nicht mehr ganz unbedenklich an. Vor etwa einem Monat trafen zunächst 250 Senegalesen ein. Und jetzt liegt vor Djibouti in friedlichster Nachbarschaft mit einem kleinen italienischen Aviso – die Besatzungen beider Schiffe sieht man in Djibouti freundschaftlich vereint – ein Tankschiff der französischen Marine. Es brachte nebst größeren Mengen Stacheldrahtes 4 Kanonen und 22 Maschinengewehre. All das zu beobachten waren uns acht Tage „vergönnt“. Und beinahe hätte die rötliche Erde des Landes meine sterbliche Hülle für immer aufgenommen. Nur der vorzüglichen Hilfe des französischen Chefarztes des französischen Garnisonlazaretts im Verein mit aufopferndster Pflege meiner Frau dankte ich die Rettung meines durch schwerste Toxinvergiftung in schmerzhaftesten Muskelkrämpfen sich windenden Körpers, dessen Gliedmaßen von unten her bereits zu erkalten begannen. Und dankbar gedenke ich auch der täglichen Besuche des ethiopischen Konsulatssekretärs, eines taktvollen, fein gebildeten und klugen Menschen, der mich in so mancher Richtung in die Verhältnisse seines Landes theoretisch eingeführt hat. Und dann schlug glücklich die Stunde der Abfahrt im „Expreß“ der ethiopisch-französischen Bahn. Bis zur Abfahrt das übliche Tohuwabohu. Es ist eines der Rätsel des dunklen Erdteils, wie es möglich ist, daß man letzten Endes doch immer alle seine Gepäckstücke – man nimmt ja grundsätzlich zuviel mit! – wiederfindet, nachdem ein Dutzend schwarzer Hände, nur scheinbar ohne Regie – sie einem fortgerissen hat. Wir waren ja in Obhut unseres Hotels und unseres Freundes Ali. Ich habe in deutschen Zeitungen von der moskitonetzgeschützen Fahrt gelesen. Leider muß ich sagen: Kein Wort davon ist wahr. Es gibt in dem Zuge keine Moskitonetze; und wir haben auch nichts gespürt von Moskitos. Die Waggons sind eine etwas „wacklige Angelegenheit“. Der ängstliche Reisende sucht vergeblich nach einer Notbremse. Ventilatoren spenden Kühlung, d.h. solange sie laufen; und das ist gemeinhin nicht allzulange der Fall. Der Zug führt wieder einen Schwarm von Journalisten mit sich. In unserem Abteil reisten 2 Abessinier, die ihre Studien – der eine Arzt, der andere Tierarzt – in Amerika absolviert hatten und nun in ihre Heimat zurückkehrten. Der eine der beiden prächtigen Männer brachte eine dunkelhäutige Amerikanerin als Gattin und ein Kindchen mit, ein allerliebstes braunes „Seifenpüppchen“, wie wir solche in Deutschland finden. Nicht auf diese famosen und taktvollen Menschen anwendbar, steht im übrigen die Tatsache fest: Viele der zahlreichen Abessinier, die auf den amerikanischen Neger-Universitäten studieren, bringen von dort vereint mit einer ungesunden Ueberheblichkeit – auch gegenüber ihren eigenen Landsleuten – und einem lächerlichen Dandytum den ganzen Haß ihrer schwarzen Brüder drüben gegen die weiße Rasse mit sich. Mit uns fuhr – ein gütiges Geschick hat es so eingerichtet – der Generalinspekteur des abessinischen Zollwesens, Herr Aradom K. Otku aus Dire-Daoua. Mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit und gleicher Tatkraft hat dieser Herr uns alle Schwierigkeiten abgenommen für die sonst so lästigen Zollobliegenheiten; ja, er hat sogar unserer Unterbringung während der nächtlichen Fahrtunterbrechung in Dire-Daoua sich mit viel Mühen angenommen. Alle Reisenden werden ihm ein dankbares Gedenken bewahren. Und die Fahrt selbst: Sie führt durch ungefähr alle Phasen afrikanischer Landeseigenart. Da „wackeln“ – so ists schon – wir zunächst durch glutheiße Dornensteppe. Auch in dieser, wenn auch nur dann und wann, tritt uns menschliches Leben entgegen. Kümmerliche Hütten und Zelte aus Lumpen. Kleine Herden von Ziegen und Schafen. Dann und wann auch mal Esel und Kamele. Nahe der abessinischen Grenze beginnt das Land seltsame Gestalt anzunehmen. Kohlschwarze Blöcke in allen Größen und Formen liegen wie von Dämonenhand geworfen umher – Lavafelder; und am Horizont schwelt Qualm aus noch tätigen Vulkanen. Die gleiche Landschaft, noch wilder, noch schwärzer, noch grausiger – darin die unsagbar trostlose Oede eines Salzsees, von Mensch wie Tier gemieden – gleitet später im abessinischen Lande an uns vorüber. Es sieht aus, als sei das furchtbare Geschehen, das diese Trümmerstätten schuf, vor kaum einigen Jahren gewesen. – Da, krach, infolge der schon betonten „Wackelei“ des Expreß saust von der hohen Gepäckrast herab ein schwerer Koffer und trifft mit einer Spitze meinen Oberschenkel. Noch heute ist der Schmerz nicht restlos verschwunden; glücklicherweise aber ists ohne ernsten Schaden abgegangen. Und nun die große afrikanische Steppe mit ihrem aus Filmen uns ja schon bekanntem Bilde: Das wogende gelbliche Gras, die Schirmakazien, überall die grotesken Formen der Termitenbauten, an allen Bäumen die kunstvoll gefertigten hängenden Nester der Webervögel. Und bald belebt sich das fremde Bild mit fremden Gestalten von Mensch und Tier. Da sitzen auf Felsblöcken die verschiedenen Affenarten, jagen davon, auf den Rücken die Kleinen mit sich nehmend. Verächtlich dreht ein riesiger Mantelpavian uns seine schmuckhaft rot leuchtende Kehrseite zu, als wir heran-„wackeln“. Gazellen und Antilopen äugen neugierig oder traben geruhsam davon. Vögel aller Arten, Größen und Farben bekommen wir zu Gesicht, mächtige Adler und Geier, die in den Lüften kreisen oder auf Felskuppen Ausschau halten. Hie und da ringelt von einem Baum herab eine große Sachlange ihren Körper träge ins Gras hinein. Zebras, Leoparden und Löwen, die diese Gegenden im Verein mit anderem Raubgetier bevölkern, haben wir nicht gesehen, wohl aber die schleichende Hyäne und den lauschenden Schakal. Mehr und mehr nimmt allmählich die Landschaft gebirgigen Charakter an. Dann und wann führt die Strecke auf kühn angelegten Brücken über tiefe Schluchten und reißende Flußläufe. Immer fruchtbarer – mit üppig grünen, wundervoll blühenden Kakteen, hochaufgeschossen wie Bäume – und mehr besiedelt wird das Land. Ackerbau beginnt. Es wird gleichzeitig kühler und schließlich nahezu kalt. So wenigstens empfanden wir diese Kühle, die der eines deutschen Septembertages entsprechen mag. Sauber und blumenumrankt sie Häuser der Bahnstationen. Da – ist’s möglich? – eine heißt, im Bergland gelegen, „Gotha“. Mit Schaudern denken wir nur zurück an die Nacht in Dire-Daoua, einer der drei größten Städte Ethiopiens. Nicht der Sturm war’s, der in der Nacht uns keinen Schlaf tun und uns fürchten ließ, daß das Haus einstürzen können, sondern die – Betten in dem griechischen Hotel, das uns aufnahm. Sichtlich hatte die Bettwäsche unter den schmutzigen Moskitonetzen schon zahlreichen Reisenden vor uns dienen müssen; abgesehen von der Gesamtfarbe ließen unverkennbare Spuren darauf schließen. Dies die nächtliche Unterbrechung unserer Fahrt in Dire-Daoua. Um die Mittagszeit wurde mit einstündiger Fahrtunterbrechung auf einer Station das Mittagessen gereicht. Es war ebenso ausgezeichnet wie reichlich und dabei preiswert. Und dann – am Abend des 30. Juli – Ankunft in Adis-Abeba (d. i. neue Blume). Von englischen Reisefreunden, die inzwischen uns wirkliche Freunde geworden sind, am Bahnhof erwartet, hatten wir wieder einmal Glück. Herr Heft, der mit seiner tüchtigen Gattin, einer alten Deutschostafrikanerin, die Pension „Deutsches Haus“ unterhält, nahm uns in seine Fittiche, d.h, sein Auto. Im „Deutschen Haus“ haben wir bei prachtvoller deutscher Kost und Sauberkeit tatsächlich mitten im fremden Afrika ein deutsches „Heim“ gefunden, in dem wir geruhsam nachdenken können über die bunten Eindrücke, die auf Schritt und Tritt außerhalb der deutschen Heimstätte uns begegnen. Und wie auf einer Insel lauschen wir unter dem sternenbesäten Nachthimmel, aus dem auch das „Kreuz des Südens“ uns leuchtet, den vielseitigen Stimmen der afrikanischen Nacht, dem Gebell der herrenlosen Hunde, dem Meckern der Schakale, dem Aufheulen der Hyänen, die vereint – taktvoll zu nächtlicher Zeit – die „Aufräumungsarbeiten“ selbst in den Straßen der Stadt ausführen. Im übrigen wechselt leuchtender und wärmender Sonnenschein mit Gewitterdunkel, aus dem grelle Blitze zu rollendem Donner zucken, und Regengüssen, wie man in Europa kaum überhaupt sie sich vorstellen kann.

IV.

Der ethiopische Außenhandel

Adis Abeba, 4. August 1935.

Die Regelung und Kontrolle des ethiopischen Außenhandels liegt in den Händen des Handelsministeriums in Adis-Abeba. Der Chef des Ministeriums ist Herr Ato Makonnen Habte Wold, ein Vollblutabessinier, dessen Alter die Mitte der dreißiger Jahre kaum übersteigen dürfte. Herr Makonnen ist der Prototyp dessen, was man bei uns vulgär mit dem Wort „Arbeitstier“ zu bezeichnen pflegt. Tatsächlich arbeitet der jugendliche Minister 14 – 16 Stunden täglich und leistet mit seiner Tatkraft und Intelligenz unsagbar Wertvolles für seinen Herrscher, sein Volk und Land. Ihm zur Seite steht für kommerzielle wie technische Fragen ein Deutscher, der Chemiker Dr. Kurt Ewert, ein Mann von hervorragender Intelligenz und praktischer Fähigkeit. In Ethiopien – der Abessinier will von der Bezeichnung „Abessinien“ und „Abessinier“ nichts wissen – seit 11 Jahren weilend, befindet Dr. Ewert in seiner jetzigen Stellung sich seit 6 Jahren. Fließend beherrscht er in Wort und Schrift Amharisch wie Galla, die Hauptverkehrssprachen des Landes. Darüber hinaus aber spricht er Arabisch kaum minder wie die europäischen Gebrauchssprachen. Als Ministerialrat im Innenministerium ist er zugleich Leiter der Abteilung „öffentliche Gesundheitspflege“. Das Handelsministerium ist in der Tat vorzüglich organisiert und stellt den wesentlichen Faktor des gesamten ethiopischen Wirtschaftslebens dar; denn den weitaus größten Teil der Einkünfte des Staates bilden die Ergebnisse aus den Import- und Exportzöllen. Nebenher: Europäer zahlen hier weder direkte noch indirekte Steuern. Die Struktur des Zolltarifs ist folgende: Für jede Provinz ernennt der Handelsminister einen Nagadras, d. i. Chef („Haupt“) des Handelns, dem sämtliche Zollstationen unterstehen. Die Hauptzollstationen sind:

  • 1. Adis-Abeba, wo der Im- und Export, der über Djibouti läuft, bearbeitet wird;
  • 2. Dire-Daoua mit dem gleichen Arbeitsbereich;
  • 3. Harrar mit dem Arbeitsbereich Djibouti und Berbera;
  • 4. Djigdjigga mit dem Arbeitsbereich Berbera;
  • 5. Wollo mit dem Arbeitsbereich Außa;
  • 6. Jedjou mit dem Arbeitsbereich Eritrea;
  • 7. Gore mit dem Arbeitsbereich Gombela (im anglo-ägypt. Sudan)
Darüber hinaus gibt es etwa 12 weitere kleinere Zollstationen für Im- und Export, die aber weniger Bedeutung haben, wie z.B. Ginir (Prov. Bali), Gardula (Prov. Borana), Kellem (Prov. Sayo), Adua (Prov. Tigre), Kesalla (Prov. Semien) und einige Zollstationen in den Provinzen Godjam und Gonder, die von Dergusch (Sudan) beliefert werden. Von den zuerst aufgeführten 7 größeren Zollstationen existieren sehr genaue Import- und Exportstatistiken, während von den kleineren solche bisher noch nicht gefertigt wurden. Der Hauptexportartikel Ethiopiens ist Kaffee, nächstdem Ochsenhäute, Schaf- und Ziegenfelle, Wildhäute aller Art, Wachs, Zibet (zur Herstellung feinster Parfüme), Elfenbein, Gold und Platin.

Der ethiopische Zolltarif umfaßt etwa 2000 Artikel. Die Zollsätze betragen für alle Artikel mit Ausnahme von Wein, Schaumwein, Bier und Spirituosen, die unter 8% bezahlen, 10% der um 25% erhöhten cif Djibouti-Fakturen oder 10% der um 50% erhöhten fob-Fakturen. Außer dem Importzoll werden noch folgende Abgaben erhoben:

Schul-Abgabe: Für 10 Thaler Wert (Thaler = 1,10 RM.) 1 Piaster ( 6 ½ Pf.), Coty (für Plombierung, Bewachung usw) für 100 Kilogramm Ware 1 Thaler; Droits d’accise et de consommation je nach Warengattung 5 centimes (4 Pf.) bis 30% ad valorem. Es bezahlen beispielsweise Baumwollstoffe an droits baccise 5 – 15 centimes p. Kilogramm; Artikel aus Kunstseide 20% ad valorem; Parfümerien und Toilettseifen 30% ad valorem. Daher betragen die Einfuhrzölle für manche Artikel bis zu 45% des Fakturenwertes.

Ueber die Zollstation Adis-Abeba liefen im ethiopischen Jahre 1926 (d. i. v. 12. September 1933 bis 12 September 1934) für 8 075 542 Thaler Exportgüter. Deutschland importiert zur Zeit sehr wenig ethiopische Exportware, während noch vor wenigen Jahren ein erheblicher Teil der ethiopischen Häute und felle nach hamburg ging. Der Import Ethiopiens kann auf 20 – 22 000 000 Thaler pro anno geschätzt werden. Im ethiop. Jahre 1925 (1932/33) wurde in Adis-Abeba für 14 316 660 Thaler Importware verzollt. Davon fallen 6 551 279 Thaler auf „Abudjedid“, d. i. ungebleichter Baumwollstoff, meist japanischer Provenienz;

77 748 Thaler auf Kuta und Kudja, d.i. „Togen“, die ethiop. Ueberwürfe, die die Nationaltracht darstellen; 3 143 649 Thaler auf Dir und Mag, d.i. Webgarne japanischer und englischer Provenienz.

Aus dem Jahre 1926 (nach unserer Rechnung 12. September 1933 bis 12. September 1934) liegen bestimmte Angaben über das Verhältnis von Import und Export vor. Danach betrug der Export 15 054 305, der Import 21 875 440 Thaler. Ueberraschenderweise war und ist die ethiopische Handelsbilanz trotzdem aktiv, und zwar durch a) den unfühlbaren Export, b) den Touristenverkehr, c) die Gesandtschaften, die zahlreichen Missionen usw.

Deutschland liefert nach Ethiopien in erster Linie Medikamente, Chemikalien, Farben, und zwar insgesamt für etwa 250 000 Thaler. Dazu kommen für etwa 200 000 Thaler Eisenwaren. Der weiter Import aus Deutschland erstreckt sich auf Strumpf- und Wirkwaren, Geschirre (Emaille und Aluminium), Maschinen, Nähmaschinenersatzteile, Sicherheitsnadeln, billige Uhren, Bürobedarfsartikel, Photo- und elektrische Artikel, Vorhängeschlösser, Lampen und Sturmlaternen, Schuhleder und Schuhe, billige Seifen und Parfüme, Zigarren (das hiesige Tabakmonopol bezieht den an sich allerdings geringen Bedarf an Zigarren fast ausschließlich aus Deutschland) und Bier (der Firmen Beck und Dreßler). Alles in allen aber beträgt der Import Ethiopiens aus Deutschland nicht mehr als höchstfalls 2 000 000 RM. Nach sachverständiger Ansicht dürfte eine Steigerung des deutschen Exports nach Ethiopien durchaus möglich sein, insbesondere an Medikamenten, kaustischer Soda, Zement, Seifen, Eisenwaren, elektrischen Artikeln, kleineren landwirtschaftlichen Maschinen, Strumpf und Wirkwaren, Schuhleder und Photoartikeln. Hierzu wäre erforderlich eine wesentlich intensivere Bearbeitung des ethiopischen Marktes durch die führenden deutschen Firmen, deren Vertretung hier z.T. in Händen von Nicht-Deutschen liegt, die ganz naturgemäß ein spezielles Interesse am deutschen Export nicht aufbringen. Die deutsche Industrie sollte sich des Ansehens der deutschen Gesandtschaft in Ethiopien bewußt sein und durch weitaus regere Bearbeitung des hiesigen Marktes einerseits die rege Arbeit der Deutschen Gesandtschaft in deutschem Interesse fördern, andererseits aus rein egoistischen Erwägungen heraus den ethiopischen Markt sich nutzbar zu machen suchen!


V.

Addis Abeba, 4. August 1935.

Mein erster Empfang beim Kaiser von Ethiopien.

An einem der ersten Tage unseres Aufenthaltes in Addis Abeba war der mit Sorge um die Journalisten betraute Beamte des Kultusministeriums erschienen und hatte meiner Frau und mir den Willkommengruß seines Kaiserlichen Herrn überbracht. Am 1. August erschien er erneut und sprach uns die Einladung des Kaisers zu einer ersten Vorstellung am 3. August 5 Uhr nachmittags aus. Am Tage zuvor fragte bei einem der mit uns gemeinsam im „Deutschen Haus“ wohnenden Herren ein anderer Beamter des Ministeriums ganz leise und zart an, ob ich auch wohl einen – Frack hätte. War ich zunächst höchstlich erstaunt und belustigt, ganz innerlich vielleicht sogar ein wenig „indigniert“ ob solcher Frage, wo ich mit meinem Erscheinen vor dem Herrscher des Landes, dem mein Besuch galt, ja ganz natürlich zu rechnen hatte, so habe ich die Frage verstanden und – verziehen, als ich am nächsten Tage unter den Geladenen tatsächlich den Vertreter einer bedeutenden Presse in hellgrauem Straßenanzug , den einer anderen Zeitung im Gehrock mit … blauem Hemd, nochmals andersfarbigem Schlips und grauem Filzhut erschienen sah. Die Kraftwagen mit den Geladenen versammelten sich zu geschlossener Anfahrt. Der Herrscher Ethiopiens erwartete seine Gäste im Neuen Palais. Ja, über dies „Neue Palais“ ist viel gesprochen und geschrieben worden. Man macht dem Kaiser zum Vorwurf, bei der Not seines Volkes sich einen „üppigen Prunkbau“ geleistet zu haben. Als wir nun durch das Parktor um einen weiten Rasenplatz herum dem Schloß zubogen, waren wir auf das angenehmste enttäuscht. Da lag vor uns statt des erwarteten „Prunkschlosses“ ein in schlichten, edlen Linien ausgeführter einstöckiger Bau. Der Kaiser selbst hat dessen Form aus zahlreichen Entwürfen erwählt. Die „Schlichtheit“ also ist sein ureigenster Geschmack. In einem an die große Eingangshalle angeschlossenen Vorraum warteten wir, Engländer, Holländer, Amerikaner, ein Brasilianer, als Deutsche meine Frau und ich. Es währte nicht lange, da kam an uns die Reihe. Die Tür eines saalartigen Raumes öffnete sich. Der Blick fiel, zunächst beinahe geblendet, auf die gegenüberliegende Seite – Fenster, ganz Fenster, dahinter in üppigem Grün ein tiefer Park. Und dann – ja, hinter dunklem Schreibtisch, allmählich erst dem Auge in dunklen Konturen sichtbar werdend, da sitzt „jemand“ in tiefschwarzer Kleidung, eine kleine, in der Hülle der weiten Gewandung offenbar schmächtige Figur. Das Auge sucht das Dunkel dieser Figur zu durchdringen, in bestimmte Formen aufzulösen. Eine geraume Weile – inzwischen ist die Verbeugung geschehen – will es nicht gelingen, obwohl wir doch nächst dem großen Tische stehen. Ganz, ganz allmählich erst enträtselt sich aus dem Dunkel der aus Bildern uns schon bekannte Charakterkopf des Kaisers – dunkel die Hautfarbe, umrahmt von tiefschwarzem Kopf- und Barthaar. Und jetzt – da leuchtet es im Dunkel der Gesichtsform auf, rechts und links neben dem schmalen Grat der feingeschwungenen Nase. Es ist der Schimmer der Augen des Herrschers, den z.Z. mehr denn jeden anderen das große Weltgeschehen umwebt. Eine liebenswürdige Neigung antwortet unserem Gruß. Dann streckt eine Hand sich uns entgegen. Wir sehen sie zum ersten Male, jene schlanke, aristokratische Hand, von der soviel gesprochen wird, die Hand, die bisher das ethiopische Volk fest zu umschließen wußte, die Hand, in der heute mehr denn je das Geschick des Landes liegt. Mit freundlicher Geste deutet sie uns an, Platz zu nehmen. Inzwischen begann der Kaiser mit leiser, wohltönender Stimme zu sprechen. Frage um Frage stellt er, beginnend naturgemäß mit der, wie wir in seinem Lande uns fühlen. Die Konversation geht in Französisch, das der Kaiser ausgezeichnet spricht. Jeder Antwort folgt eine Pause. Man gewinnt den Eindruck, als denke er über jede Antwort seines Gastes nach. Wärmer, freier wird allgemach das Spiel von Frage und Antwort.

Hat unser Auge sich an den dunklen Rahmen der großen dunklen Augen da hinter dem großen Schreibtisch gewöhnt oder ists die leise Stimme – man sieht Tragik liegen über der zarten kleinen Figur da gegenüber, die Tragik eines großen Geistes, der für sein Volk und Land Bestes gewollt, die Tragik des machtvollen Mannes, der doch – selbst von den Nächsten – so wenig verstanden wird, der inmitten glänzenden Gefolges einsam, ganz einsam dasteht mit dem Schwung seines elastischen Denkens alle weit, weit voraus. Schaut das schwermütige Auge hinein in die dunkle Wolke tragischen Geschehens, dem auszuweichen des Kaisers bebendes Ringen ist? Wie er hier sitzt, einsam und sorgengequält, da ist es nicht der Herrscher, sondern der Mensch, dem unser Herz mit warmem Mitgefühl entgegenschlägt. Wer den Herrscher kennt, der spricht begeistert von seiner feingeistigen Bildung, von seinem Verständnis für alle Vorgänge, die in den Kreis seines vielseitigen Interesses traten, selbst für technische Dinge. Wer mit ihm zu tun hat, der erkennt sein rastloses Arbeiten und Schaffen vom frühen Morgen bis zum späten Abend an, sein Ringen um den Aufstieg seines Volkes, dessen Schwächen und Wundpunkte kaum einem so klar und vertraut sind wie gerade ihm. Mögen wenige heute die Größe dieses einsamen Mannes auf wild umbrandetem Thron erkennen, die Weltgeschichte wird dereinst Aufstieg, Glanz und Tragik seines Lebens schreiben. – Meine Gedanken schweifen einen Augenblick ab zu der immer wieder auftauchenden Behauptung, dieser Mann da vor uns habe den Weg zu seinem Throne sich frei gemacht durch Giftmord an der Kaiserin Saouditou. Einem glücklichen Zufall danke ich die Gelegenheit, den damaligen Geschehnissen tatsächlich bis auf die Wurzel nachzugehen. Die historischen Tatsachen widerlegen eindeutig und objektiv jede derartige Behauptung. Die Kaiserin war seit langem eine schwerkranke Frau, deren Tod man lange bereits und immer wieder erwartet hatte. Mir ist die Analyse ihres Urins bekannt geworden, die die Diagnose ihrer Aerzte deckt, wonach die Kaiserin in schwerstem Grade Diabetikerin war. Im letzten Stadium ihrer Krankheit litt sie zugleich schwer unter einer bösen Malaria. Das Bemühend er Aerzte, sie zu Diät wie zur Befolgung ihrer Verordnungen zu bewegen war vergebens. Die bigotte Einstellung ließ die Kaiserin meinen, auch das körperliche Heil in Beten und Fasten zu finden, dem sie sich ohne Rücksicht auf das geschwächte Herz in dem verfetteten Körper hingab. Immer wieder hat der jetzige Kaiser die behandelnden Aerzte – den Schweizer Arzt Dr. Meyenberger, der jetzt in Zürich lebt, den heute noch hier weilenden schwedischen Arzt Dr. Hanner und den inzwischen verstorbenen französischen Arzt Dr. Germain – gebeten, ja nichts unversucht zu lassen, um der Kranken zu helfen. Da, eines Tages, wieder den Einflüsterungen ihrer abergläubischen Umgebung folgende, ließ die Kaiserin, vielleicht auch vom Wahn hohen Fiebers gepackt, sich geweihtes Wasser auf das Haupt gießen. Die Schockwirkung der kalten Dusche hat das geschwächte Herz nicht mehr ertragen. Es begann auszusetzen. Die eiligst herbeigerufenen Aerzte fanden in diesem Zustande die Kranke vor. Stunden noch hat sie gelebt und vor den Augen ihrer Aerzte gerungen, bis das Herz endgültig zu schlagen aufhörte. Eindeutig und ganz gewiß einwandfrei haben die Aerzte und hat insbesondere der Arzt für innere Erkrankungen, Dr. Meyerberger, die Todesursache festgestellt. Und was dem entgegen gesagt und geschrieben worden ist, ist und bleibt eben nichts anderes als … Verleumdung. Leiser und leiser schwingt die zarte Stimme durch den großen Raum. Wieder streckt sich jetzt aus dem weiten dunklen Gewande die dunkle Hand sich uns entgegen. Schlank, zart und feinnervig liegt sie in meiner harten Hand. Unwillkürlich bemühe ich mich, den eigenen Druck zarter zu gestalten. Ein neigen des Hauptes, ein kaum angedeutetes Lächeln – oder wars eine Täuschung? -- ; und wir sind entlassen, um dem nächsten Geladenen den Raum freizugeben. Wie wir der Tür zuschreiten, umspielen und umbellen uns die beiden Hündchen des Kaisers. Klein, langhaarig, weißgelb, sind sie, anspruchslos in ihrer Rasselosigkeit, auch ein gewisses Zeichen der Schlichtheit des Mannes, den wir soeben verlassen. Noch eine Verbeugung an der Tür. Wir stehen draußen, um uns das Gewirr der anderen, in uns der Eindruck, den unauslöschbar der zarte, rassige Mann da drinnen, der tragikumwobene Herrscher Ethiopiens, hinterlassen hat.

VI.

Addis Abeba, 6. August 1935.

Meine Erlebnisse mit der „Bank of Ethiopia“.

Also ich will auf der „Bank of Ethiopia“ – ehemals eine englische Bank, heuie Institut der ethiopischen Regierung, jedoch unter englischer Leitung – mir ein Kontokorrent einrichten. Gewiß eine höchst einfache Angelegenheit; das heißt überall außer eben bei jener Bank. Man stelle sich vor: Ein Herr X kommt auf eine Bank, will bei dieser eine Summe von immerhin einigen dreistelligen Zahlen einzahlen, beileibe nicht etwa auch nur die Andeutung eines Kredites erbitten. Ich bin dessen gewiß, daß da – meinetwegen auch nach einfacher Feststellung der Personalien des neuen Kunden – jede Bank ohne weitere Umstände „zufaßt“. Nicht so die „Bank of Ethiopia“; und das liegt in erster Linie wohl daran, daß sie zurzeit noch sich in einer Monopolstellung fühlt. Da wird mir nicht etwa nur das übliche Antragsformular zur Unterschrift vorgelegt. Nein, ich soll für mich einen „Garanten“ stellen, soll eine Persönlichkeit unterzeichnen lassen, die dem hohen Institut vertrauenswürdig genug erscheint, die Einwandfreiheit eines Mannes zu attestieren, der von der Bank durchaus nichts will, sondern ihr „Verdienst“ zu bringen gekommen ist. Na gut, ein liebenswürdiger Deutscher würde sich gewiß finden. Also zahlen wir mal zwei ägyptische Pfundnoten ein und lassen wir deren eine uns gleich wechseln! Neue Ueberraschung. Nach Rücksprache mit der hohen Direktion erklärt, verlegen lächelnd, der Beamte, das gehe nicht- – „Nanu?“ Ja, da müsse erst einmal die deutsche Gesandtschaft eine Art Beglaubigung ausstellen und an die Bank senden. „Beglaubigung in welcher Richtung?“ – Hm, daß ich derjenige sei, der zu sein ich angäbe. Natürlich war meine Entgegnung sofort die, daß es doch wohl im internationalen Verkehr keine bessere Beglaubigung dieser Art gebe als den … Paß. Dem Beamten – ist die Bank of Ethiopia so ahnungslos? – leuchtete das ein. Also ging er mit meinem Paß wiederum ab zur hohen Direktion. Rückkehr und neues Wunder: Die Bank konnte nicht feststellen, ob die ägyptischen Noten auch noch in Gültigkeit seien! Man schlug mir vor, sie der Bank zu überlassen. Diese werde – selbstverständlich auf meine Kosten – die Noten nach Aegypten senden und – selbstverständlich ebenso auf meine Kosten! – ihre Gültigkeit sich teelgraphisch bestätigen lassen. Zeitdauer mindestens 10 Tage. Im Hin und Her der anschließenden Diskussion fand sich ein zweckmäßiger Ausweg, d.h. „zweckmäßig“ weniger als „lächerlich“. Der oben schon erwähnte gütige „Garant“ solle auf die zwei Banknoten seinen Namen setzen; es würde das als eine Art „Beglaubigung“ angesehen werden. Also nichts war’s mit dem Erfolge einer eineinhalbstündigen Erörterung auf der „Bank of Ethiopia“ an diesem Tage. In Kenntnis der liebenswürdigen Hilfsbereitschaft hiesiger deutscher Landsleute war mein Mut noch nicht auf Gefrierpunkt gesunken, wenn freilich meine Stimmung allmählich auf „heiß“ zeigte.

Tatsächlich war der gütige Helfer in Person eines der angesehensten Kaufleute hier mühelos gefunden. Er kannte seien Pappenheimer und erklärte sich lächelnd zu allem bereit. So unterzeichnete er den bewußten Antrag und schrieb auch fein säuberlich auf jede der zwei Banknoten seinen Namen. Na also! So wenigstens dachte ich an diesem Tage. Doch mit des Geschickes Mächten(vorliegend vertreten durch die Bank of Ethiopia) ist kein ewiger Bund zu flechten. Hoch zu Dreien – ich war doch ein wenig eingeschüchtert – zogen wir am nächsten Vormittage zur Bank. Fertig, nicht wahr? Nein, durchaus nicht. Inzwischen hatte das hohe Institut sich überlegt, daß für den Wechsel „so gewaltiger“ Summen denn doch auch die Unterschrift des angesehen „Garanten“ auf den Noten nicht genüge. Kurzum: In Abänderung de vortägigen Stellungnahme, deren sämtliche Bedingungen inzwischen also von mir erfüllt waren, verlangte man jetzt einen Brief des Herrn Garanten, mit dem dieser sich verpflichten sollte, „gegebenenfalls“ für einen durch Nichtgültigkeit der Banknoten der Bank entstehenden Verlust selbst einzustehen. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich nicht die Unverfrorenheit besaß, mit solchem Ansinnen an einen gütigen Helfer heranzutreten, aber auch nicht die nötige „Demut“, um auf solch‘ Verhalten die gebührende Antwort schuldig zu bleiben. Also – nach Oeffnung des Ueberdruckventils – kam ich zartfühlend auf meinen Antrag auf Eröffnung eines Kontokorrents zu sprechen. Aber auch da waren die „Bedingungen“ noch nicht restlos erfüllt. Man verlangte nunmehr eine „Visitenkarte“ von mir. Das war des Guten denn doch allzuviel. Hatte die Bank nicht am Tage zuvor eine gute Viertelstunde lang meinen Paß eingesehen? War ich etwa gekommen, um einen mehr oder weniger feierlichen „Besuch“ abzustatten? Also ich verneinte, erklärte, daß ich an einem Verkehr mit diesem Institut kein Interesse mehr nähme und verlangte meinen Antrag mit meinem und meines Garanten Unterschrift zurück. Höchst einfach, nicht wahr? Aber nicht auf der „Bank of Ethiopia“. Da nämlich war der Antrag inzwischen „registriert“; das „Registrieren“ also geht ersichtlich schneller dort als die eigentlichen bankmäßigen Aktionen. Und weil der Antrag „registriert“ war, sollte er nur durch einen ebenso schriftlichen Antrag wieder gelöscht werden können, und nur dann war die Möglichkeit des Rückempfanges der zwei Unterschriften möglich. Nun aber fürchtete ich trotz des besagten Ventiles „Explosion“. Darum flüchtete ich lieber unter Zurücklassung von Antrag und Unterschriften, mit denen das Institut glücklich werden möge. – Wieder war es ein gütiger deutscher Helfer, der meiner Not sich annahm. Er führte kich zu einem privaten Fianzierungsinstitut guten Rufes, zur „Societé Nationale d’Ethiopie“, die ich bei dieser Gelegenheit allen Interessenten warm ans Herz legen möchte. Was die „Bank of Ethiopia“ nicht übers Herz, beziehungsweise im Zeitraum von zwei Tagen nicht in den Kreis ihrer Kapazität brachte, bei der „Societé Nationale d’Ethiopie“ war’s im Handumdrehen erledigt, und ich bin auch ohne die Bank of Ethiopia meine Sorge los.

VII.

Addis Abeba, 8. August 1935.

Ethiopische „Versammlungen“

„Auf zum Auatsch!“ rief der eine der beiden sympathischen Vertreter der „Associated Preß“ uns zu. „Auatsch?“ Ja, Auatsch ist die öffentliche Verlesung eines Kaiserlichen Dekrets. Nun es war insofern ein Irrtum, als es diesmal eben nicht ein „Auatsch“ war. Statt dessen aber wohnten wir einer Versammlung bei, die die „Vaterländische Vereinigung“ zu Ehren einiger aus den verschiedensten Himmelsrichtungen des großen Landes gerade hier anwesender Mitglieder zusammengerufen hatte. Die Versammlung fand auf dem Platz statt, in dessen Mitte in prunkvoller Vergoldung das Reiterdenkmal Meneliks sich erhebt. Wir fuhren die kurze Strecke im Kraftwagen. Ja, das ist nun mal so. Hier tut man nur wenige Schritte zu Fuß. Selbst kürzeste Wege legt man entweder im Kraftwagen zurück oder aber zu Pferde oder Maultier. Möglichst soll jeder noch einen oder mehrere „Boys“ in seiner Begleitung haben. Der Ethiopier wird in seiner Geltung und Würde gemessen an der Zahl des vor und neben und hinter ihm – er selbst reitet – einhergehenden und gegebenenfalls „laufenden“ Gefolges, das wieder dann besonders glänzend ist, wenn es, Mündung in der Hand, Kolben über der Schulter, möglichst viel Gewehre, eventl. Auch Säbel, mit sich führt. Nie fehlt zudem der Schirm, übrigens der gleiche als Schutz gegen Regen und gegen Sonne. Da trabt oft eine ganze Heerschar mit einem trabenden, dunklen und vermummten Reitersmann einher. Die seitlichen Begleiter halten sich dabei an Mähne, Sattel und nötigenfalls auch Schweif des Tieres fest. – Auf dem Versammlungsplatz angelangt, wurden wir zunächst vom Chef der Polizei und seiner Mannschaft höflichst empfangen und auf die offene Veranda eines Hauses geführt. Dort saßen die illustren Teilnehmer, hohe Beamte und Vertreter der koptischen und – auch islamischen Geistlichkeit, erstere mit ihren hohen schwarzen Zylinderbaretts und dem silbernen Kreuz an der Kette über der Brust, letztere mit weißem Turban.

Koptische und islamische Geistliche

Der Platz unten war angefüllt von der Masse des Volkes. Auf den ersten Blick mag diese den Ausdruck rassischer Geschlossenheit bieten. Bald aber gewöhnt sich das Auge daran, den Amharen (die Herrscherkaste des Landes) vom Galla, Somali usw. zu unterscheiden. Doch die Einigkeit aller Kasten, Schichten und Stämme, ihre Verbrüderung unter Zurückstellung aller ständischen, völkischen und religiösen Gegensätze – Aufgabe und Ziel jener „Vaterländischen Vereinigung“ – angesichts des drohenden Krieges sollte gerade hier uns vor Augen geführt werden. Reden wurden gehalten, die Menge zur Einigkeit, zur Hingabe an Volk und Vaterland gemahnt. Da standen und sprachen nach einander die offiziellen Mitglieder der Vereinigung, angetan mit militärisch anmutenden Khakiuniformen, aus deren üblicherweise die Beine ganz eng umschließenden und bis auf die Knöchel reichenden Hosen unten die nackten Füße hervorlugen, auf dem schwarzen Haar die Schirmmütze, um deren Rand ein grünes Band mit goldgestickter Inschrift. Einer von ihnen, ein junger, intelligent und lebhaft dreinblickender Amhare, sprach feuersprühend, ohne Konzept, seine Worte mit scharfen Gesten begleitend. Taktmäßiges Händeklatschen der Menge – man könnte sagen „in 3 Salven“ – spendete ihm Beifall. Da unterbricht ihn von links her ein Ruf aus der Masse. Es ist ein Galla, der seinen Ausführungen zustimmt und gleich ihm zu geschlossener Verteidigung des gemeinsamen Vaterlandes aufruft. Und nach einer Weile – gute Regie! – stimmt von rechts her aus der Menge ein Mohamedaner unserem Redner in gleichem Sinne zu. Dann singt ein Kinderchor ein ethiopisches Freiheitslied mit dem Inhalt: „Seien wir einig; so sind wir auch stark. Lieben wir unser Vaterland, so kann uns nichts geschehen!“ Kurze Ansprachen der Geistlichkeit beider Religionen folgen. Da kommt in die Menge auf dem Platz Bewegung. Eine freie Bahn entsteht dicht um das umfriedete Denkmal Meneliks. Rasch ordnet sich ein Zug. Und nun beginnt dieser sich in Marsch, in Trab, in Galopp zu setzen. Flinten, Gewehre, Karabiner aller möglichen Typen und Jahrgänge und krumme Säbel werden geschwungen.

Eine Art „Fantasia“, in der spontane Kriegsbegeisterung der Menge aus allen Schichten und Stämmen sich dokumentieren soll. Zwei Grauköpfe, geschwungene Säbel darüber, fallen in der laufenden und schreienden Menge auf. Es sind Teilnehmer der Adua-Schlacht, deren Erfolg noch heute in den Abessiniern das Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit über den jetzt drohenden Gegner wachhält, den gleichen, der damals blutig geschlagen wurde. Zettel mit dem Text des von dem Kinderchor gesungenen Liedes wurden verteilt. Und dann – gewohnheitsmäßig – laufen die Reden weiter. Das Volk verkrümelt sich nach und nach; und das gewohnte Leben und Treiben greift wieder Platz. Es war am 6. August 1935, als wir wieder zur Teilnahme an einer Versammlung gerufen wurden. Diesmal galt sie der feierlichen Proklamierung der nunmehr offiziell erfolgten Gründung des Roten Kreuzes, dessen Präsidium der ethiopische Außenminister Platen Ghueta Herouy Wolde Selassie übernehmen sollte. Wieder führte der Kraftwagen uns mit viel Schlangenlinien-Marsch, Tier und Gefährt, alle gleich schwerfällig, – ausweichend – über das entsetzliche Pflaster der Stadt. Hier hat ein Straßenbaumeister anscheinend sich in besonders genialer Kunst „ausgetobt“. Er hat kristallartig spitze und scharfkantige Steine so eingebettet, daß gerade eben die Spitzen und Kanten das Erdreich überragen und eine Liliputnachbildung der Dolomiten als Pflasterung ergeben haben – besonders zuträglich für die Bereifungen, für Fußgänger vorzügliche Vorbereitung auf wagehalsige Bergsteigungen. – Und nun halten wir vor dem Hause mit dem Roten Kreuz über dem Eingang. Daneben ein Zelt, in diesem die Versammlung. Das Auge muß sich an das Dämmerlicht unter der rötlichen Zeltdecke gewöhnen. Dann sieht es am Schmalende auf flacher Bühne, die mit Teppichen bedeckt ist, einen thronartigen Stuhl. Auf diesem sitzt die bekannte Gestalt des „Neguse Negest“ (Königs der Könige), als des Herrschers von Ethiopien. Um ihn herum die Großen seiner Umgebung, unter ihnen einerseits der Charakterkopf des Dedjasmatsch (d. i. General der Mitte) Baltscha, eines früheren Widersachers des Kaisers, heute einer seiner nächsten Berater, neben diesem der Minister des Aeußeren; auf der anderen Seite ganz in der Ecke, eine weiß umhüllte Gestalt, deren „Détails“ nur schwer zu erkennen sind. Es ist der „Etschegué“, eine der mächtigsten und einflußreichsten Persönlichkeiten aus der Umgebung des Kaisers. Der Etchegué ist – nächste dem „Abuna“ (d. i. „Unser Vater“) – der höchste koptische Geistliche des Landes. De facto ist er das Haupt der Kirche Ethiopiens. Und das liegt so: Die koptische Kirche in ihrer religiösen Gesamtheit hat ihr Oberhaupt in Aegypten. Es ist der Patriarch, zu vergleichen etwa mit dem Papst der römisch-katholischen Kirche. Dieser schlägt als seine Stellvertreter für Abessinien dem Kaiser den „Abuna“ vor. Nach erteilter Einverständniserklärung reist der Abuna nach Ethiopien ab. Ursprünglich durfte er nach Antritt seiner Stellung in Ethiopien das Land nicht mehr verlassen. Diese scharfe Bestimmung hat der jetzige Kaiser gelockert; und zweimal schon hat der jetzige Abuna, Kyrillos mit Namen, seine ägyptische Heimat besucht. Das Nationalgefühl der Ethiopier aber verlangte außerdem ein national-ethiopisches kirchliches Oberhaupt. So schuf man – offiziell dem Abuna unterstellt – die Position des „Etschegué“. Es hat nicht lange gedauert, so hat dieser ethiopisch-nationale Kirchenfürst sich eine Geltung errungen, die ich faktisch und vor allem politisch bedeutsamer macht als den kirchlich ihm vorgesetzten „Abuna“. – Eine ganze Weile dauerte es, bis die Versammlung offiziell eröffnet wurde. Bis dahin arbeiteten die photographischen Apparate der Journalisten mit und ohne Blitzlicht, ging leises Geplauder hin und her, bellten dann und wann eines der beiden Hündchen (Lulu und Rosa), die – wie offenbar immer – die Füße ihres Kaiserlichen Herrn umspielten. Kaum sich bewegend, die eine Hand auf dem Stock, der Kaiser. Dann wurde Ruhe und Schluß der photographischen Arbeiten geboten. Der Kaiser – mit ihm die Versammlung –erhob sich und verlas mit seiner wohltönenden, ein wenig leisen Stimme das Dekret über die Begründung und Organisation des Roten Kreuzes. Nach Schluß seiner Rede, die anschließend in Französisch verlesen wurde, antwortete, ihm gegenüber Stellung nehmend, dem Kaiser der Minister des Aeußeren als nunmehriger Präsident des Roten Kreuzes von Ethiopien mit Worten des Dankes und einer Darlegung der jahrelang zurückliegenden Arbeit um dieser Organisation, die dank Kaiserlicher Gnade und Tatkraft nunmehr zu erfolgreichem Abschluß gekommen sei. Damit wurde die Versammlung geschlossen. Ein weißes Tuch, hinter dem gedeckt der Kaiser sich zum Aufbruch fertig machte, wurde vor die Bühne gehängt. Wieder dauerte es eine Weile; dann verließ der Negus den Versammlungsort und bestieg, gefolgt von seinen hohen Beamten, seinen Wagen. Wieder arbeiteten die photographischen Apparate. Der Wagen fuhr an. Polizisten jagten, um Ordnung und freie Bahn zu schaffen in dem Tohuwabohu von Menschen, Tieren und Wagen. Mit einiger Mühe fanden in dem Gewirr auch wir unseren Wagen und fuhren davon, unserem deutschen Heim zu.

VIII.

Addis Abeba, 9. Aug.

Der „Schwarze Adler“

Wer auf dieser Erde wüßte nicht von ihm? „Black Eagle“ schrieb ihn die Presse der englisch sprechenden Welt, „Aigle noir“ die in französischer Sprache erscheinende, „Tekur Nissr“ schließlich hieß er in der ethiopischen Zeitung. Spaltenreiche Artikel in den Zeitungen aller Länder waren ihm gewidmet, ihm, dem kühnen Negerpiloten, der mit Kampfflugzeugen aus den Mitteln der Negerbevölkerung Amerikas und von ihm selbst geschulten Piloten unterwegs sein sollte nach Ethiopien, um im künftigen Kriege der Schrecken des Feindes in der Luft zu werden. Eine fabelhafte Reklame! Wer hat sie gemanaget? Er selbst, der „Schwarze Adler“, der König der Lüfte, der Kaiserlich Ethiopische Oberst und Chef des Flugwesens. Seine Visitenkarte lautet: Colonel Hubert Julian „Black Eagle“ New York City. Und nun habe ich ihn gesehen, die Fabelgestalt der schwarzen Welt, habe ihn gesehen in dandyhaftem Zivilanzug von „Wedding“-Eleganz, das große Monokel an breitem, schwarzen Bande im Auge, stolz zu Roß, habe ihn gesehen auch in todchiker Khakiuniform, einen Streifen mehr am Aermel als ihm zusteht. Er ist „Kapitän“, also „Hauptmann“ der Kaiserlichen Armee. Doch gehen wir der Reihe nach: Vor etwa drei Jahren tauchte Hubert Julian zum ersten Male hier auf, und zwar mit der Behauptung, ein vollendeter Flugpilot zu sein. Sein Debut war ein Fallschirmabsprung. Damit hatte er imponiert. Er verstand es, sich das Vertrauen des Negus zu gewinnen, so daß dieser ihm ein Flugzeug anvertraute. Großer Tag in Addis Abeba. Der „Adler“ startet, d.h. er reißt die Maschine bis etwa 2 Meter hoch und bringt sie im nächsten Augenblick als Trümmerhaufen wieder zur Mutter Erde. Nur der „Adler“ selbst entwindet sich unverletzt dem Gewirr. Verständlich, daß der Kaiser ob des Verlustes der neuen, schönen Maschine erzürnt war. Verständlich andererseits, daß unser „Adler“ in Furcht vor dem Kaiserlichen Zorn – davonflog. Eine Zeit lang blieb es still um ihn. Dann plötzlich meldet die Presse aus Amerika, der „Black Eagle“ stehe vor einem Transozeanfluge. Eine Riesenreklame war in Szene gesetzt – von wem? Reporter jagten der Abflugstelle zu.

Da stand unser Held an seine Maschine „Abessinia“, gestiftet von den schwarzen Brüdern da drüben, die an sein Heldentum glaubten. Er stand in malerischer Pose und ließ sich photographieren. Der erste Akt der Komödie! Und dann geht’s los. Er schwingt sich in die Luft, huldvoll den Abschiedsgrüßen seiner Bewunderer dankend. Doch – was ist das? – einige Hundert Meter weiter und der stolze Vogel nimmt statt der Richtung auf und über den Ozean die ein wenig minder gefährliche Richtung auf die – Erde. Und damit war Schluß auch dieser Phase eines Heldenlebens. Dezember 1934 aber beginnt ein neuer Akt der „Adler-Komödie“. Ein Telegramm aus New York verkündet der aufhorchenden Welt: „Black Eagle“ eilt mit einer Staffel Jagdflugzeuge und geschulten Piloten dem Kaiser von Abessinien zu Hilfe, nachdem der Kaiser sein hochherziges Angebot telegraphisch angenommen und ihn zum Oberst und Chef des abessinischen Flugwesens ernannt habe. Das Letztere – d.h. sowohl die telegraphische Annahme wie auch besagte Ernennung – war ein kleiner Zusatz unseres Helden. Im Februar 1935 aber war der Adler wirklich da, d.h. in Addis Abeba. Er war allerdings nur ganz allein da, immerhin auch so gewiß ein Schreckmoment für den Gegner. Man denke: Der „Schwarze Adler!“. Fragte man ihn, wo denn die Flugzeuge und Piloten seien, hüllte er sich in geheimnisvolles Schweigen unter Berufung auf ein Kaiserliches Schweigegebot, das er allerdings nie erhalten hat. Monate gingen so dahin. Der König der Lüfte galoppierte inzwischen durch Addis Abebas Straßen. Sein Monokel blitzte, das schwarze Band wehte, seine gelben Reitstiefel leuchteten. Die Welt staunte.

Auf wiederholtes Drängen um eine Verwendung – der kühne Reitersmann, um so „kühner“, als seine „Reiterei“ eine höchst problematische Angelegenheit war und ist – wurde Herr Julian ethiopischer Staatsbürger und erhielt, obwohl er vom Soldatsein nicht mehr wußte als von Adlerflugstücken, endlich sogar 250 Mann zu militärischer Ausbildung. Doch diese Kaiserliche Gnade war mit einiger „Vorsicht“ verbunden. Black Eagle übernahm die Schulung der Angestellten der Staatsdruckerei, der Staatsteppichweberei, der Staatsmanufakturen und der technischen Werkstätten des Palastes. Täglich von 7 – 9 Uhr früh leitet unser Held den Drill dieser Schar in den – Straßen von Addis Abeba; d.h. einige Unteroffiziere der Kaiserlichen Garde tun den Dienst „Black Eagle“ umkreist hoch zu Roß, monokelblitzend, seine „Truppe“, dies aber in blendender Uniform als „Hauptmann“ der Kaiserlich Ethiopischen Armee.


IX.

Addis Abeba, 3. August 1935.

Ein Geburtstagsgeschenk in Addis Abeba.

Frau P., eine Dame der deutschen Kolonie, hat heute Geburtstag. „Was schenken wir ihr?“ fragten einander zwei ebenfalls deutsche Freunde des Hauses. Hm, in unserem lieben Deutschland schenkt man einer Dame, in deren Hause man Gastrecht genießt, vielleicht schöne Blumen, – nichts für Abessinien, wo herrlichste Blumen, umgaukelt von bunten Schmetterlingen, surrenden Käfern in metallischem Glanz und schillernden Kolibris, wie Unkraut wuchern – oder vielleicht auch Konfekt; auch nichts, da natürlich nicht nur im Preise bedenklich „hoch“, sondern mehr noch im „Lageralter“. Also was? Schließlich findet das gequälte Hirn den erlösenden Gedanken. Und es wurde ein „Hammel“, ja ein richtig gehendes abessinisches Hammelchen mit seinen rundgeschraubten Hörnern und langzottigem Fell. Gesagt, getan. Solch Hammelchen, was mag es in Deutschland kosten? Es wäre dort jedenfalls ganz gewiß ein nicht nur recht eigenartiges, sondern ebenso teures Geburtstagsgeschenk. Anders hier. Das Geburtstagshammelchen kostete – ein Boy, der ganz gewiß auch noch daran verdient hat, brachte es im Zeitraum von einer Viertelstunde wie eine Boa um den Hals gelegt herbei – in deutscher Währung (in Abessinien haben wir bekanntlich den alten Maria-Theresia-Thaler) 1,60 RM.; und es war ein durchaus ausgewachsenes Hammelchen. Ja, da gibt es hier überhaupt so allerlei preisliche Kuriositäten: Ein Paar Stiefel braucht man ganz gewiß zum Reiten, d.h. wenn man nicht Abessinier ist, der mit nackten Füßen nicht nur über spitzes Gestein, sondern notfalls unbeschadet über Glas geht und ebenso reitet, den Steigbügel zwischen dem großen und zweiten Zeh haltend. Solch ein Paar Stiefel kostet hier ca. 60 RM. Und das ist vom ganzen Reitsport das – Teuerste; denn das Pferd – immerhin auch nicht entbehrlich für die Reiteri – kann man zu den teuren Stiefeln, wenn man ein klein wenig Glück entfaltet oder ein nur leidlicher Kaufmann ist, für 40 – 50 RM. Erstehen, und zwar ein durchaus brauchbares, reitfertiges Tier. Na, und die Pferdehaltung? Das allerbilligste an der Geschichte, Futter und Pferdepflegerkosten pro Monat ca. 10 – 15 RM. Insgesamt.

Und noch ein Vergleich mit unserem Hammelchen, zu dem wir allmählich zurückkehren wollen: Ein ganz einfacher Rasierapparat (bei uns in Deutschland für etwa 75 Pf. Erhältlich) kostet hier 3,50 RM., unser Hammelchen bekanntlich 1,60 RM. (inkl. Boy-Verdienst). Halt! Nein, das darf nicht vergessen werden. Der Abessinier kauft in hiesigem französischen Geschäft eine durchaus nicht allzugroße Flasche guten Parfüms für 50 RM. Sein feinster Straßenanzug abessinischer Tracht kostet ihn 3 – 5 RM.

Ja, und eine Kuh – wir nähern uns wieder unserem Hammelchen – kostet ca. 20 RM., ein „Mast“-Ochse 25 – 30 RM. Da läuft soeben ein gackerndes Hühnlein an meinem Fenster vorbei. Die Pfoten zusammengebunden, die Köpfe nach unten hängend, brachte ein Boy heute ein „Bündel“ von 5 Stück davon ins Haus, und zwar vom Markt. Preis für alle nur 1 RM. Und gar Perlhühner – die gibt es in Abessinien in ungeheuren Mengen wild – kosten noch weniger. Man erhält für 1 RM nämlich ihrer 8 – 10. Ist vom Huhn die Rede, liegt die Frage nahe nach dem „hühnlichen“ Produkt, dem Ei. 1 Ei? – Nein, hier spricht man nur von 90 – 100 Eiern; und die kosten … 1 RM. Doch im Interesse der armen deutschen Hausfrau will ich jetzt schweigen. Sie sei übrigens trotzdem nicht allzu neidisch; denn es gibt hier – darüber später einmal! – Dinge, die gerade das hausfrauliche Herz erheblich bedrücken können. Jetzt aber endgültig zurück zum heutigen Geburtstagsgeschenk, dem Hammelchen: Also es wurde schön gewaschen. Es hätte eigentlich stolz sein müssen ob des wirklich nicht vorauszuahnen gewesenen „Hells“ seines natürlichen Kleides, das unter einer Kruste von – nein, ich sags nicht – hervorkam. Aber es stand ob des ungekannten Bades ängstlich und zitternd da. Und dann bekam es gar noch einen großen Kranz herrlich leuchtender roter Blumen um den Hals. – Dann gings los. Voran 2 Herren im Tropenhelm. Hinter ihnen der schwarze Boy mit dem – Geburtstagsgeschenk am Seil. Na, und die Freude des also beglückten Geburtstagskindes! Das Hammelchen freilich wird kaum lange noch an der allgemeinen Freud eteilnehmen können. Sein Schicksal bestimmt es nun mal so, daß das zarte Fleisch im Kochtopf landet, sein Fellchen aber mit einigen anderen zusammen eine prachtvolle wärmende Wolldecke – gut zu gebrauchen hier, auch eine „Kuriosität“ für Inner-Afrika, ca. 9 Grad nördlich des Aequators! – bietet. Und eine solche Decke in reiner Schafwolle von „Uebergröße“ kostet, lieber Europäer, hier … 6 – 8 RM.

Herr Roth + Herr Krampholz gehen zu einem Geburtstag.
Als Geschenk - ein Schaf.


X.

Addis Abeba, 13. August 1935.

Am 12. August 1935 fand im Thronsaal des „Alten Palais“ eine feierliche Proklamation des Kaisers von Ethiopien statt.

XI.

Addis Abeba, 14. August 1935.

Schutz der „Fremden“ in Abessinien.

Durch die Presse aller Länder gehen Tatarennachrichten über Gefährdung der Fremden in Abessinien. Richtig ist, daß dann und wann der Fremde, besonders aber eine allein gehende Dame, von Eingeborenen einmal „angepöbelt“ wurde, d.h. in Addis Abeba, der Hauptstadt des Landes von immerhin 60 – 80000 Einwohnern, (man ist mit Zahlen ein wenig großzügig hier), wo es natürlich an „Großstadt“-Pöbel auch nicht fehlt. Darüber hinaus aber – das sei den möglicherweise besorgten Angehörigen unserer Fremdenkolonien hier gesagt! – gibt es bisher zu Besorgnis keinen Anlaß. Die Presse-„Enten“ haben die Regierung, d. i. den Kaiser, bestimmt, sehr scharfe Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um jeder Möglichkeit solcher Beschuldigungen vorzubeugen. Ich fahre da vorgestern hinaus zum Palais, um der feierlichen Proklamation beizuwohnen. Sehr erstaunt gewahre ich, daß auf beiden Seiten die Straßen der Hauptstadt „eingefaßt“ sind von khakiuniformierten schwarzen Männern mit Gewehr, etwa alle zwanzig Meter einer. Und jetzt weiß ich, was das bedeutet: Es sind „Sabanjas“, d.h. Mannschaften der Schutzpolizei der Hauptstadt, die unter ihrem intelligenten und tüchtigen Chef, dem Gouverneur der Stadt, 6000 Mann zählt.
Jeder Eingeborene – ab 8 Uhr abends darf übrigens kein Eingeborener ohne besonderen Ausweis sich auf der Straße aufhalten – , der jetzt einen Fremden auch nur irgendwie, z.B. schon durch Betteln, belästigt, wird sofort ergriffen und dem Gefängnis zugeführt, um durch rasches Gerichtsurteil zu angmessener bzw. sogar recht harter Strafe verurteilt zu werden. Bei ernster Ausschreitung droht gegebenenfalls der Tod.
Jeder Fremde hat das Recht, von solchem Sabanja Geleit durch minder gesicherte Nebenstraßen zu verlangen.

Ein Kaiserliches Dekret wird in allernächsten Tagen alle einschlägigen Maßnahmen – weitvorausschauend – zusammenfassen und veröffentlichen.
Zu diesen Sondermaßnahmen gehört für den Fall des Ausbruches kriegerischer Verwicklungen u.a. die Ausstattung der gewehrbewaffneten Sabanjas mit scharfer Munition und die Einrichtung eines starken Ueberfallkommandos, dem auch Kraftwagen und Maschinengewehre zur Verfügung stehen sollen; also eine ganz gewiß praktisch wie energisch vorsorgende Schutzmaßnahme der Kaiserlichen Regierung.

d. Polizeichef v. Adis-Abeba mit seiner Mannschaft
Zu hoffen ist nur, daß die Schutzleute selbst gerade jetzt, wo politische bzw. kriegerische Verwicklungen die unerfreulichen Instinkte der Massen hervorrufen können, nicht in ihrer nicht ganz unverständlichen Angst um die eigene Stellung durch unberechtigte Härten gerade einen gefährlichen Haß gegen die Fremden erzeugen, um dessentwillen z.B. etwa auch ein harmlos und vielleicht schwer beladen seines Weges schreitender Eingeborener womöglich beiseitegestoßen wird oder gar mit Knüttel oder Peitsche schmerzhafte Bekanntschaft macht.

XII.

Addis Abeba, 15. August 1935.

Einladung zum Tee bei S.M. dem „Neguse Negest“.

Für den 15. August 1935 16 Uhr hatte der Kaiser in das Neue Palais alle hier weilenden Journalisten, einige 40 an der Zahl, zum Tee eingeladen. Der kluge und fein gebildete Chef des Pressebüros, Herr Dr. Lorenzo Taesas, unterstützt von dem unmittelbaren Betreuer der Journalisten, Herrn Blatta Kidane Mariam Aberra, der es wahrlich nicht leicht hat in seinem vielseitigen Amt, geleitete die versammelten Gäste in den Empfangsraum. Hier stand der Kaiser, wie immer in seinem dunklen Umhang, aus dem die engen, weißen Beinkleider hervorsehen. Hohe Schnürschuhe bilden nach unten den dunklen Abschluß. Aus des Kaisers Umgebung waren anwesend nur der mächtige Kriegsminister Ras Mullu Gheta, der Chef des „Schreibministeriums“ (nach unseren Begriffen etwa der Chef des Geheimen Zivilkabinetts, nebenher so etwa auch der Ministerpräsident) Zafi Taesas Haile Wolde Rufe, der Kommandeur des Palastes Dedjasmatsch Adrefris. – Wieder fiel mir der schwermütige Blick des Kaisers auf, bis ein erstes gütiges Lächeln ihn erhellte. Klugheit, tiefgehende Bildung und Herzensgüte, das sind nach übereinstimmendem Urteil aller, die den Kaiser persönlich kennen, seine charakteristischen Eigenarten. Unbedingt hat sein Lächeln etwas in sich Warmes und nach außen Wärme Spendendes. In keinem Augenblick aber trat das so hervor wie dann, wenn sein Auge hinüberglitt zu seinem kleinen Liebling, seinem Sohne, dem Prinzen Makonnen, einem kindlich lieb und natürlich dreinschauenden Jungen, der still und artig neben seinem Vater stand und später saß. Einer nach dem anderen – zuerst die fünf Damen der Gesellschaft – traten die Gäste heran, verbeugten sich und empfingen den zarten Händedruck des Kaisers.

Kaiser und Prinz Makonnen
Während der Begrüßung arbeiteten bereits zahlreiche Photoapparate wie mit Maschinengewehrfeuer. Dann wurde die Tür zum anschließenden großen Speiseraum geöffnet. Nach links fiel der Blick auf eine weiß gedeckte Tafel, besetzt mit goldenem Geschirr und Gerät, mit ganzen Batterien von Sekt, Whisky- und Sodaflaschen, Krügen voll Orangeade usw. Hinter der Tafel stand, zum Teil medaillongeschmückt, die Dienerschaft in ihren grünen Röcken mit goldenen Fangschnüren, roten Westen, roten Hosen, die Beine vom Knie abwärts in weißen Strümpfen und schwarzen Halbschuhen.
An der gegenüberliegenden Schmalseite des Raumes nahm hinter kleinem Tisch auf dem mit rotem Leder gezogenem Stuhl, dessen Lehen die Kaiserliche Krone schmückt, der Negus allein Platz, bedient von seinem Leibdiener, an noch niedrigerem Tischchen zu seiner Seite der kleine Prinz. Wie immer und überall, so umspielten auch hier die beiden Lieblingshündchen die Füße ihres Kaiserlichen Herrn. Die Gäste nahmen an den Längsseiten des saalartigen Raumes Platz.

Auch vor ihre Stühle wurden kleine runde Tischchen geschoben, darauf geschmackvolles Porzellan mit dem Löwen Ethiopiens und der Inschrift „Ras Tafari, Thronfolger“, also noch aus der Zeit der Regentschaft des heutigen Herrschers stammend. Bestecke aus Gold. Von Tisch zu Tisch eilten die Diener und reichten zum Tee Sandwichs – zum Teil mit Kaviar – , Torten und Kuchen, Datteln, kandierte Früchte und Konfekt. Als der Tee genommen war, ließ der Kaiser alle die zu sich rufen, mit denen er sich zu unterhalten wünschte. Es waren die fünf Damen und die kürzlich eingetroffenen Journalisten, deren erste Audienz also mit dieser Gelegenheit verbunden wurde. Wieder knipsten und knatterten die Photoapparate. Gütig lächelnd, ließ der Kaiser sie gewähren. Ein Wink – das Teegeschirr verschwand. Sektschalen aus feinem Kristall wurden gebracht und von den gut geschulten Dienern geschickt gefüllt. Nochmals wurden dazu Sandwichs und leichtes Salzgebäck gereicht. Eine kleine Pause – , dann nahm der Kaiser sein Glas, hieß seine Gäste mit herzlichen Worten willkommen und trank ihnen zu.

Im Namen der geladenen Journalisten sprach kurze Zeit später der stellvertretende Vorsitzende der kürzlich hier gegründeten Journalistenvereinigung, der junge sympathische Vertreter der Agence Havas, dem Herrscher den Dank der Geladenen aus. Mit huldvollem Nicken dankte der Kaiser. Wieder mundete der gut gekühlte Schaumwein, mundeten die Sandwichs und sonstigen Zugaben. Dann wurde Schluß der Gastlichkeit verkündet. Alle traten an den Kaiser heran. Wieder legte er seine feine, schlanke Hand in die seiner Gäste. In der Halle des Schlosses ein gegenseitiges Abschiednehmen. Draußen fuhr Auto um Auto vor. Eine lange Wagenreihe schlängelte sich unter wildem Gehupe durch Menschen, Tiere und Gefährte der Stadt zu. Meine Gedanken bleiben zurück bei dem, der da draußen ins einem schlichten Schlosse wieder allein war, allein mit seinen Sorgen, ganz allein. Was mochte zur Zeit in seinem Hirn, in seinem Herzen spielen?


XIII.

Addis Abeba, 18. August 1935.

Zwei „Streiflichter“ auf den Charakter des Kaisers von Ethiopien.

Es war an einem Abend. Ein intimer Kreis erwartete im Palais den Kaiser zum Abendessen. Er erschien verspätet und sah vergrämt aus. Man setzte sich zu Tisch. Der Kaiser blieb schweigsam. Den ersten Gang des Essens ließ er unberührt. Vergebens versuchte die kleine Runde ihn zum Sprechen zu bewegen. Nervös spielte seine feien Hand mit dem goldenen Besteck und müde wehrte er alle Versuche, ihn zu erheitern, ab. Als er aber auch weiterhin die Speisen unberührt ließ, setzte man ihm zu, doch zu sagen, was ihm fehle oder ihn bedrücke. Es ist nicht leicht, den schweigsamen Mann zum Sprechen zu bewegen. Nach langer Zeit erst brach es gequält aus ihm heraus: „Gott hat mir ein allzuschweres Amt aufgebürdet. Ich habe heute ein Todesurteil unterzeichnen müssen“.

Ein Todesurteil – warum? „Ja, es ist ein Mörder, dem es gilt, und er hat es ganz gewiß verdient, zumal er aus reiner Habsucht gemordet hat. Es ist klar, daß solch ein Schädling aus dem Kreis seiner Mitmenschen ausgemerzt werden muß. Und doch – mich trifft es bitter, eben Gottes Richtschwert führen zu müssen.“ Der Kaiser hatte es gesagt und war wiederum in Schweigen verfallen. Keinen Bissen hat er an jenem Abend angerührt. Bald auch hat er sich entschuldigt – Höflichkeit ist auch eine seiner Eigenschaften – und den kleinen Kreis seiner intimen Gäste sich selbst überlassen. Und es war um die Weihnachtszeit. Da war alles vorbereitet zur festlichen Bescherung, die den Kindern aller Fremden eine kleine Spende zu bringen pflegt. Und anschließend ein fröhlicher Hofball. In letzter Minute und trotz dringlicher Bitten seiner Umgebung ließ der Kaiser die Festlichkeit absagen. Warum??? – Am Weihnachtsabend war in ihrer milden Gefangenschaft eine bekannte politische Intrigantin gestorben, die einen großen Teil ihres abenteuerlichen Lebens bittersten und zum Teil gefährlichsten Machenschaften gewidmet hatte gegen den Mann, dem heute des Todes ernster Wink um ihretwillen die Absage des Hoffestes gebot.

XIV.

Addis Abeba, 20. August 1935.

Das feierliche Friedensgebet in der St. Georgskathedrale in Addis Abeba.

Glockenklänge drüben – ganz fern – in Amerika. Es war am 18. August 1935, als man dort in die Kirchen strömte, um für die Erhaltung des Friedens fromme Gebete zu tun. Wie es in hiesiger Proklamation heißt, galten die Gebete drüben zugleich der Erhaltung der Unabhängigkeit Ethiopiens. Ob es drüben die schwarzen Brüder der bedrohten Ethiopier sind oder ob über diesen Rahmen hinaus das Volk der USA. An geweihter Stätte seinem Friedenswillen Ausdruck gab, von hier aus läßt sich das natürlich nicht sagen. So oder so, hier fand in Uebereinstimmung mit den Friedensgebeten in der Ferne in der St. Georgskathedrale ein feierlicher Bittgottesdienst statt. Ihm wohnten bei der Kaiser, die Kaiserin, weitere Mitglieder der Kaiserlichen Familie, der gesamte Hof, die Minister und zahlreiche andere Würdenträger. Zunächst wurde die Messe zelebriert. Während dieser blieb das Kaiserpaar auch den geladenen Gästen unsichtbar. Anschließend aber nahm der Kaiser im Rundgang der Kathedrale Platz, d.h. er stand vor seinem Thronstuhl, neben ihm der kleine Prinz Makonnen.
Vor ihm hielt der höchste Vertreter der koptischen Kirche für Ethiopien, der „Abuna“ Kyrillos, das feierliche Hochamt ab. Während der Kaiser dem Hochamt auf der Westseite der Kathedrale beiwohnte, nahm die Kaiserin an der gleichen religiösen Handlung auf der Gegenseite teil, wo absolviert wurde. Wie den Kaiser die höchsten Würdenträger des Landes umgaben, so saß die Kaiserin inmitten zahlreicher Prinzessinnen und ihres Hofstaates.

Einer Predigt der beiden höchsten Geistlichen, die ihrerseits von dem hohen Klerus – darunter in tiefem Schwarz die eigenartige Gestalt des geistlichen Hüters des Grabes Meneliks – umgeben waren, folgte der Segen.
Dann trat der Abuna an den Kaiser heran und reichte ihm das silberne Kreuz zum Kuß, während rasch vorgehaltene Tücher diesen letzten Akt der Feier den Augen der Anwesenden entzogen. Auf einem Außenweg um einen Teil der Kathedrale herum zeigte der Herrscher sich der zahlreich versammelten Menge, die ihm frenetisch zujubelte. Außerhalb des Tores zum Kirchplatz harrten die Wagen. Kaiser und Kaiserin fuhren – sie dürfen während der zur Zeit bestehenden Fastenwochen einander nicht einmal sehen – getrennt davon. Wie eine Fata morgana entschwand das bunte Bild. Die Frage „Krieg oder Friede?“ blieb als Nachklang der religiösen Bittgesänge in uns haften.

Negus Haile Selassi verläßt mit dem Prinzen Makonnen nach d. feierl. Friedensgebet am 18.VIII.35 die St.Georgs-Kathedrale

XV.

Addis Abeba, 21. Aug. 1935.

Ethiopisch – behördliche Höflichkeit.

Erscheinen da heute bei mir zwei Polizeibeamte der Verkehrspolizei Addis Abeba. Sie bringen mir die Antwort auf meinen kürzlichen Antrag um Befreiung von der Jahressteuer für meinen Kraftwagen, die übrigens an sich hier auch nur – 12 Thaler beträgt. Ich hatte sie zunächst zahlen müssen, da die Entscheidung nicht sofort herbeizuführen war. Lange hat sie nicht auf sich warten lassen. Ja, und die beiden Beamten bringen mir zugleich – man denke! – meine 12 Thaler zurück. Ich lasse mir das Schreiben übersetzen. Es ist von einer so ausnehmenden Höflichkeit, daß mir seien Wiedergabe interessant genug erscheint. Es lautet in wortgetreuer Uebersetzung wie folgt:

(Vordruck): Regierung des Königs der Könige von
   Ethiopien.
   Rathaus der Stadt Addis Abeba.

(Text): Es möge gelangen an den hochwohlgeborenen Colonel Harun-el-Raschid! Da Sie Erlaubnis bekommen haben, für Ihr Automobil Nr. 720 ein Jahr lang keine Abgaben und taxen zu bezahlen, senden wir Ihnen ergebenst von den bezahlten 15 Thalern 12 Thaler zurück, nachdem wir für das Ihnen erteilte Nummernschild 3 Thaler abgezogen haben. Die Quittung für die Anfertigung des Nummernschildes fügen wir bei.
   Hochwohlgeborener, wir gestatten uns, Ihnen
   unsere tiefste Ergebenheit darzubieten.

(Stempel): Rathaus Addis Abeba
   Büro des Kraftverkehrswesens.
(Unterschrift): (gez.) A b e b e.
   (Uebersetzung des Namens: „Er hat geblüht“).


XVI.

Addis Abeba, 23. Aug. 1935.

Dem vor kurzem hier eingetroffenen Türkischen Chargé d‘ Affaires, Herrn Nizamettin Avachli, ist es gelungen, den geplanten Freundschaftsvertrag zwischen der Türkei und Abessinien soweit vorwärtszubringen, daß damit zu rechnen ist, daß dieser Vertrag in Kürze Gültigkeit erhalten wird.

XVII.

Addis Abeba, 13. Sept. 1935.

Das große Rätsel von Ethiopien.

Sie schlug ein wie eine Bombe, die Nachricht von der Erteilung der Erdöl- und Mineral-Konzession an die African Exploitation and development corporation, eine Dependance der großen „Standard Oil“. Ein raten, ein Spinnen, ein Debattieren Berufener wie Unberufener und – am schlimmsten – derer, die sich berufen fühlen, ist seitdem in herrlichster Blüte. Alle die Strahlen der lichten Geister treffen sich nicht am Firmament, und treffen sie sich, kreuzen sie sich irgendwo, so ist da oben nichts zu finden außer unsichtigem Nachthimmel. Sehen wir uns einmal die Vorgänge an wie sie liegen: Erschien da eines Tages in der Deutschen Pension in Addis-Abeba ein Herr Rickett. Für jeden, der neu ankommt, interessiert man sich ein wenig. Jener Herr Rickett nun sollte ein Delegierter des Roten Kreuzes sein und Platz und Arbeitsgelegenheit diskutieren wollen für … 300 Aerzte, die später eintreffen würden. 3 0 0 ? Hm, ein bißchen hoch gegriffen; also ein bißchen unwahrscheinlich und damit ein bißchen „verdächtig“. Doch Herr Rickett war so, wie man den Durchschnittsengländer hier zunächst sieht: Er kam mit dem Hut auf seinem leicht gewellten angegrauten Haupthaar ins Zimmer, pflegte nicht zu grüßen und machte trotzdem ein durchaus liebenswürdiges Gesicht. Und dann – na ja, immerhin ein hoher Herr vom Roten Kreuz! Also dieser Herr Rickett nahm seinen ersten Weg zum „Abuna“, dem höchsten geistlichen Würdenträger, und dann gleich zum Negus. Und das ging so weiter, etwa 10 Tage hindurch. Dann plötzlich – nach einer Früh-Audienz (etwa 6 Uhr) beim Kaiser, ganz gewiß auch nicht alltäglich! – hallo! – ein „Flugzeug“ ihn aufnehmen sollte. Ja, und dann der große Krach der Bombenexplosion – die Konzession!

Sehen wir uns zunächst mal Herrn Rickett an, so ist festzustellen, daß er es war, der seiner Zeit die Oelfelder in Mesopotamien und Irak sicherstellte für – England. Festzustellen ist weiter, daß Herr Rickett von hier in eiligster Fahrt sich begab nach – London, also England. Fest steht, daß seine Gesellschaft wesentlich englisches Unternehmen und Herr Rickett selbst, wie gesagt, Engländer ist. Nun wäre das alles immerhin noch kein eindeutiges Zeichen dafür, daß England – offiziell oder inoffiziell – der also „Konzessionierte“ ist. Fragen wir uns, ob nicht doch die USA. ihre Finger im Spiele haben, so müssen wir dem sofort entgegenhalten, daß einmal bisher ein Interesse der USA. an den Vorgängen im östlichen Afrika aber auch nicht im Geringsten erschienen ist, weder rein politisch noch auch wirtschaftlich. Hätte Amerika ein ernstes Interesse – und nur ein solches wäre hier doch vorauszusetzen! – etwa an Ethiopien, es hätte dies ganz gewiß nicht erst in dieser letzten Stunde und damit zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, wo ein anderer Staat seine Hand auf jenes Land legen will oder vielmehr schon so darauf gelegt hat, daß er ganz einfach nicht mehr zurück kann und also selbst vor blutigen Konsequenzen einer Einmischung eines Dritten nicht mehr scheuen darf. Ist danach Amerika als „Staat“ auszuschließen, bliebe an sich noch die Möglichkeit, daß der amerikanische Trust der Standard Oil sich entschlossen hat, das „Geschäft“ eben zu – wagen. Dazu ist zu sagen: So „spleenig“ ist kein amerikanischer Geschäftsmann, daß er ohne Gewißheit, den Schutz seiner Regierung hinter sich zu haben, eine Konzession kaufen würde in einem Gebiet, das von starker Macht dem strittig gemacht wird, der jene Konzession vergeben will. Ist aber zu schließen, daß eben die Regierung der USA. hinter dem Konzessionsakt nicht steht, nun, so geht die Folgerung doch wieder zurück auf England, wenn zunächst eben vielleicht auch nur auf den englischen Teil der besagten gesellschaft. „Gut“, – so sagen die Unentwegten –, „kann dann aber doch ein englisches „Privat“-Geschäft sein.“ Einmal hieße das, dem englischen Geschäftsmann den „Spleen“ zutrauen, den wir dem Amerikaner bereits absprachen. Dazu kommen einige weitere Momente, die wir jetzt betrachten wollen: Pflegt jemand sich – zudem unter den genugsam beleuchteten augenblicklichen höchstkritischen Umständen! –mit einer doch recht beträchtlichen Summe festzulegen auf ein „Unternehmen“, dessen Rentabilitätsquote, nüchtern betrachtet, noch gar nicht feststeht? So aber liegen die Dinge hier. Es steht fest, daß in dem Konzessionsgebiet Oelvorkommen sind, auch, daß es sich um qualitativ gute Vorkommen handelt.

Es steht fest, daß das Gebiet auch wertvolle Mineralien enthält. Weder hinsichtlich der Oelvorkommen noch hinsichtlich der Mineralien steht aber bisher einwandfrei fest, welche Ausbeute effektiv zu erwarten ist. Also: Auch ein englisches Unternehmen kann ganz einfach nicht ein derartiges Doppel-Risiko eingehen, solange es eben als ein „kaufmännisches“ Unternehmen zu werten ist. Da bleibt bei nüchterner Betrachtung wahrlich nichts übrig als der kühle Schluß: Wie der ganze Akt auf Seiten Ethiopiens nichts ist – Ethiopien bestreitet das ja auch gar nicht! – als ein verzweifelter Schritt, um in furchtbarster Not in letzter Stunde eine Hilfe an den Haaren herbeizuziehen, so ist der gleiche Akt auf der anderen Seite eben die Gewährung jener Hilfe, also eine (natürlich dabei von wirtschaftlichen Gesichtspunkten mitbestimmte) durchaus politische Handlung. Lassen schon alle oben gesagten äußeren Momente darauf schließen, daß der „Acteur“ dieser Aktion kein anderer ist als England, so dürfte der gleiche Schluß auch aus der politischen Konstellation zu folgern sein: Der Suez-Kanal, im Verfolg auch das Rote Meer, stellt einen Lebensnerv des englischen Imperiums dar. Gewinnt Italien das ethiopische Hinterland, so bleibt Erithrea – mindestens für den vorausschauenden Politiker – nicht mehr der harmlose kleine Schönheitsfleck an diesem englischen Nerv. Es ist da eine Gefahr von ernster Bedeutung im – Entstehen.

in „italienisches“ Ethiopien mit seiner natürlichen Expansion auch weiter nach dem Westen hin, würde aber – und das gleichzeitig und in gleichem Maße! – eine ständige Bedrohung der gesamten englischen Aegypten-Politik durch Gefährdung der Nil-Quellen sein. Ist’s nicht also ein geradezu logischer Schluß, daran zu glauben, daß England mit allen Mitteln Italien den Eintritt in Ethiopien zu sperren sucht – und erwächst im Verfolg dessen und in Verbindung mit den zuvor beleuchteten Momenten nicht nahezu zwangsläufig der Schluß, daß auch bzw. gerade auch die Konzessions-Angelegenheit eines der Mittel oder Waffen darstellt, mit denen England in seiner begreiflichen Sorge Italien den Eintritt in Ethiopien „vergraulen“ will? Und wenn es da in sein Spiel ein ganz klein wenig „Amerikakombination“ hineinmischt, nun, so dürfte dies ein recht geschickter Versuch sein, auch den Kellog-Pakt ganz im Hintergrunde – mindestens moralisch – sich nutzbar zu machen.

Eine zweite Frage ist es, ob England im innersten Inneren heute noch mit dem erfolge rechnet, Italien in letzter Minute von seinem gewagten Schritt in das ethiopische Land hinein zurückzuschrecken. Englands Politiker sind kluge und – kalt wägende Männer. Es „könnte“ sehr wohl sein, daß sie in der selbstverständlichen Erkenntnis, daß heute Italien gar nicht mehr rückwärts kann, die Krise beschleunigen, damit wesentliche italienische Kräfte im ethiopischen Abenteuer „festlegen“ und … dann !!! … das entscheidende Machtwort, gegebenenfalls dann auch mit dem Druck der Tat, sprechen wollen. Daß heute alles geschehen wird, um die ganze Konzessionsfrage zu „vernebeln“, ist gewiß.

„Allzu“ rätselhaft aber will das große Rätsel mir nicht scheinen!

Will man aber weitergehen und aus dem Reiz eben des „Rätselhaften“ heraus durchaus etwas Rätselhaftes feststellen, so hat man im ganzen Spiel wirklich ohnehin auch das. Rätselhaft nämlich bleibt das Geschrei und Getobe jener Mächte – voran Frankreich – , die mit dem Brustton der Ueberzeugung ihre Stimme voll Empörung auch gegen Ethiopien erheben, weil dies ja gar gewagt habe, nicht hundertprozentig den Sicherheitsversprechungen der lieben Völkerbundsmächte zu vertrauen. Wieso nun, höchst einfach: Ethiopien hat es doch gewagt, einen wirtschaftspolitischen – nur das, beileibe nicht etwa einen aggressiven Schritt! – Schachzug in das Spiel in dem Augenblick einzuschieben, wo sein Gegner, nachdem er vor den Augen der gleichen Friedens- und Schutzengel aus der Völkerbundscorona in aller Ruhe seine Kampfkräfte an den Toren (zum Teil schon innerhalb!) Ethiopiens aufgebaut hat, unmittelbar vor dem Fehlgriff steht! Ja, das hat Ethiopien getan und hat es damit etwa nicht eine moralisch gar nicht genug zu verwerfende „Schandtat“ begangen, die ihm nahzu das ebenso unerhörte wie selbstverständlich „selbstlose“ (selbstlos daher auch die jetzige Empörung!) Wohlwollen seiner „Schutzengel“ entziehen müßte??? …


23.

Addis Abeba, 13. Sept. 1935.

Ethiopische Eheschließungen.

Will man über den Begriff „ethiopische Ehe“ überhaupt sprechen, so ist scharf zu unterscheiden zwischen den Ehen der christlichen Amhara, den Ehen der heidnischen Galla und den Ehen der mohamedanischen Somali. Die kleineren Stämme sind je nach ihrer Religion in diese 3 Kategorien einzugliedern. Es existiert zwar – praktisch jedoch nur in Addis Abeba – die zivile Ehe, die vor einem Standesbeamten nach Abschluß des Ehekontraktes durch Eintragung in ein Ehestandsregister vollzogen wird. Von dieser Einrichtung wird in den seltensten Fällen Gebrauch gemacht. Im allgemeinen bleibt es bei den Formen, die seit Hunderten von Jahren üblich sind. Beginnen wir mit den Eheschließungen der Amhara und christlichen Galla: Da gibt es 3 Formen der Eheschließung. Die eine dieser 3 Formen heißt „Be–kurban“, d.i. die in der Kirche nach Einnahme des Abendmahls vom Priester gesegnete Ehe. Eheleute, die „Be–kurban“ verheiratet sind, gibt es ganz wenige. Denn diese Form der Ehe kann nur vom „Abuna“, dem höchsten koptischen Geistlichen Ethiopiens, geschieden werden. Der Abuna spricht die Scheidung aber nur aus bei einem einwandfreien Nachweis der Untreue eines der beiden Ehegatten. In diesem Falle spricht außerdem der Abuna unumstößliches Recht über die Teilung der vorhandenen Vermögenswerte.
Die zweite Form der Ehe ist die „Semanja“-Ehe (d.h. wörtlich: „80-Ehe“, und dies, weil ursprünglich bei der Scheidung dieser Ehe 80 Salzstangen – Salz ist noch heute in dem salzarmen Ethiopien ein wertvoller Artikel – zu zahlen waren). Diese Form der Ehe wird vor dem „Danja“ – d.i. „Zivilrichter“ – vollzogen. Die Ehelustigen müssen zur Erledigung der Formalität 3, 5, 7 oder 9 Zeugen, jedenfalls eine ungerade Zahl von zeugen, mitbringen. Vor dem Danja wird dann ein mündlicher oder schriftlicher Ehevertrag abgeschlossen, der in der Regel vorsieht, daß bei einer etwaigen Scheidung die Ehefrau wieder uneingeschränkt in Besitz des von ihr in die Ehe eingebrachten Gutes gelangt, während der Ehemann die Hälfte seines beweglichen wie unbeweglichen Vermögens oder aber die Hälfte des während der Ehedauer erworbenen Vermögens der Frau zu überlassen hat. Infolge dieser für die Ehefrau außerordentlich günstigen Vertragsbedingungen erstrebt die Ethiopierin verständlicherweise diese Form der Eheschließung mit besonderer Energie. Die Folge dessen ist, daß es in Ethiopien häufig Frauen gibt, die es in Hinsicht Scheidungstaktik zu einer ausgesprochenen „Routine“ bringen und – selbst zum Teil aus ärmlichen Verhältnissen hervorgegangen – auf diese Weise sich ein ansehnliches Vermögen erwerben. Die Scheidung dieser „Semanja“-Ehe ist leicht. Sie erfolgt praktisch meist dadurch, daß der Ehemann seine Frau zunächst einfach vor die Tür setzt. Das „dicke Ende“ folgt dann allerdings unabweislich und zieht für den Ehemann den bittersten Katzenjammer nach sich.

Und die dritte Form der Eheschließung: Es ist die sogenannte „Gered“-Ehe, die man bezeichnen könnte auch als Ehe auf „Tage, Stunden oder Minuten“. In diesem Falle „engagiert“ der Ehemann seine Frau auf Gehalt. Meist beträgt dies 3 Thaler (etwa 2,70 RM.) pro anno, wozu lediglich Verpflegung und Kleidung tritt. Die Ethiopierin heiratet gewöhnlich mit 11 – 12 Jahren zum ersten, nicht gar selten mit 60 Jahren zum – 20. Male.
Es ist üblich, daß die Gäste dem jungen Paare Geschenke machen, je nach ihrer Vermögenslage in Form von Goldringen, Ochsen, Schafen, Lebensmitteln usw.; bevorzugt als Geschenke sind übrigens alkoholische Getränke. Die Hochzeitsfeier pflegt in einem großen Zelt stattzufinden, in dem Frauen und Männer, meist aber durch einen Vorhang getrennt, sich bei Musik und Tanz engagierter Sänger, Musikanten, Tänzer und Tänzerinnen vergnügen. Sehr beliebt sind auch gemeinschaftliche Gesänge der männlichen und weiblichen Gäste mit Trommelbegleitung und Händeklatschen zur Durchführung des Taktes. Diese Feiern dauern Tage und Nächte im Wechsel von Essen, Trinken und Vergnügen.
Wir kommen nun zur Galla-Ehe, d.h. der Eheschließung der heidnischen Galla, und schildern aus den verschiedenen Formen eine Art der Eheschließung, die bei den Olje-Galla in Arussi Brauch ist. Dort herrscht noch die Sitte des Brautkaufes. Ein Freund des heiratslustigen Galla übernimmt die Rolle des Unterhändlers bei dem zukünftigen Schwiegervater. Ist man über den Kaufpreis, der aus Ochsen, Kühen, Pferden, Schafen und Ziegen besteht, einig geworden, so wird die Hochzeit festgesetzt. Im Verlauf dieser Feierlichkeiten wird die Braut durch den Brautführer zu Pferde in die Hütte des künftigen Ehemannes übergeführt.
Die Somali-Ehe (die Somalis sind durchweg Mohamedaner) wird nach den Vorschriften des Koran geschlossen. Der Somali darf demnach bis zu 4 Frauen gleichzeitig besitzen. In diese Zahl sind aber nicht eingeschlossen die „Tschin-gered“, etwa den alttestamentarischen Kebsweibern entsprechend. Die Somali-Schönen geben nach alter Sitte solchen Männern den Vorzug, die bereits mindestens einen, möglichst aber mehrere Feinde getötet und so ihre Tapferkeit erwiesen haben. Er trägt zudem je nach Brauch seines Stammes als Zeichen dafür, daß er einen Feind erlegt hat, eine bestimmte Feder, einen Messingring oder ein anderes Abzeichen. Aus solcher Auffassung ergibt sich natürlich, daß im Somali-Lande kaum einmal Ruhe herrscht, daß vielmehr fortgesetzt die Stämme mit ihren Nachbarn in blutiger Fehde liegen.
Zum Schluß sei erwähnt, daß trotz der für unsere Begriffe außerordentlich lockeren Auffassungen des Ethiopiers inbezug auf den Begriff „Ehe“ das Eheleben selbst – d.h. solange es eben dauert – harmonisch verläuft und daß beide Ehegatten außerordentlich kinderlieb sind und alles Erdenkliche tun, um ihren Kindern eine gute Erziehung angedeihen zu lassen.

28.

Addis Abeba, 21. Sept. 1935.

Des „Schwarzen Adlers“ jüngster … Gaunerstreich.

Aus Bericht Nr. 8 vom 9.8.35 wissen unsere Leser, welche welterschütternde Bedeutung dem „Schwarzen Adler“ beizumessen ist, dem „Black Eagle“, de facto dem „Nicht“-Colonel Hubert Julian. Jüngst wurde es plötzlich wieder lebendig um Julians dunkle Heldengestalt: Ganz geheimnisvoll – für den „Fachmann“ aber doch ein wenig nach „Nichtgeheimbleibensollen“ riechend – durchlief Addis Abeba die schmerzliche Kunde, der geliebte Schwarze Adler werde, ein wenig prosaischer Weise allerdings zu Pferde, einen „kühnen Flug“ feindwärts antreten, um seine schwarze Heldenbrust dem Gegner darzubieten. Ja, ja; und nun begann ein neckisches Spiel, bei dem zunächst nicht ganz klar schien, ob unser stolzer Adler auf einen Köder der Film-Leute gebissen, oder ob die Film-Leute – umgekehrt – auf des Großen Adlers Köder geschnappt hatten. Kurzum: „Man“ wurde einig. 100 Thaler – was ist das schon für einen Sensationsakt in Verbindung mit dieser weltbekannten Heldenfigur? Also der Exkönig der Lüfte, der künftige Schrecken aller Gegner Ethiopiens, angetan mit glanzvoller Uniform und soviel Gold auf dieser, daß der Feind schon zufolge „Blendung“ von vornherein unterlegen sein wird, in malerischer Pose (seine Hauptkunst) wird nunmehr – „getonfilmt“. Und mit dem unvergleichlichen Pathos hat er von dem Vertrauen seines Kaiserlichen Herrn gesprochen, der ihm zehntausend Mann (er hat seine 250 Männekens der überzeugenden Wucht des Augenblicks gemäß mit 40 multipliziert) anvertraut habe. Er hat weiter davon gesprochen, wie er nunmehr mit seinem Blute und notfalls seinem Leben seine Treue zu seinem Kaiser und zu seinem Vaterlande Ethiopien besiegeln werde. Ohne Frage eine „fabelhafte Sache“!

Und dann – mit einer kleinen Karawane, nur das Nötigste mit sich führend – zog er dahin, Er, der Held, seinem weiteren Heldenschicksal entgegen.
Tief gerührt – ein ganz klein wenig vielleicht auch schon in Voraussicht der epochemachenden Sensation – blieben die Leute vom Kurbelkasten zurück. Und die Moral von der Geschicht? – Man traue selbst dem „Schwarzen Adler“ nicht!

Unser Adler fliegt voran.
Im Hintergrund rechts weint der Filmreporter eine Träne der Rührung nach.
Am nächsten Tage nämlich fand genau die gleiche entzückende kleine Komödie noch einmal statt: Heldendarsteller derselbe, also unser unvergleichlicher „Black Eagles“. Nur die aufnehmende Film-Firma dieses Tages war eine andere, nämlich die Konkurrenz des Unternehmens vom Tage zuvor. Nachdem auf solche Weise der „edle Adler“ sein „Heldentum“ zweimal (und ganz leidlich im Preise!) verkauft hatte, ist er – bis heute wenigstens – tatsächlich aus Addis Abeba verschwunden. Immerhin sei zur Beruhigung um ihn etwa doch noch besorgter Gemüter gesagt: „Black Eagles“ Heldenrolle bleibt einstweilen noch ein gutes Stück Weg vom Feinde fern.

29.

Addis Abeba, 24. Sept. 1935.

Addis Abeba hat ein modernes Gefängnis.

Am 24.9.35 ist es durch den Kaiser eingeweiht worden. Bemerkenswert an diesem Akt war nebenher die Anwesenheit des Italienischen Gesandten sowie des Italienischen Militärattachés und freundlichstes Verhalten insbesondere des ersteren im Umgang mit den ethiopischen Würdenträgern. Also da steht er, der sechszehneckige Eisenbetonbau, in zwei Stockwerken ausgeführt, nach außen hin – abgesehen natürlich vom Toreingang – ohne Türen und Fenster. Was es demnach an diesem Bauwerk zu sehen gibt, das muß von dem betonierten Innenhof aus betrachtet werden. Und da sehen wir denn, daß in Höhe jedes Stockwerkes eine Galerie das Gebäude umläuft. Da sehen wir auch Türen und Fenster, deren Fehlen wir an der Außenfront des Bauwerkes bemerkt hatten. Der weitere Gang durch den Gebäudekomplex zeigt uns, daß wir es hier wirklich mit einer modernen Einrichtung ihrer Art zu tun haben. Bemessen auf etwa 600 männliche und 50 weibliche Gefangene, gedacht übrigens nur für schwerste Verbrecher, meist Todeskandidaten, weist das Gefängnis sowohl Wasserleitung, Aborte mit Wasserspülung, Badeanstalt und eine ganz moderne Entlausungsanstalt (bezogen von der deutschen Firma Leitz) wie andrerseits ein eigenes kleines Lazarett und eigene Apotheke auf. Die Zellen, luftig und trocken, mit hölzernen Pritschen versehen, sind eingerichtet für 4–12 Personen. Der Gefangene erhält zu seiner nummerierten Gefangenenkleidung nach europäischem Muster eine Decke und ein Kopfkissen. Lediglich Todeskandidaten werden mit eiserner Kette an den Füßen kurz gefesselt.
Auch Arbeitsräume für freiwillige Arbeit fehlen nicht. Der Gefangene erhält ein Drittel des Ertrages seiner Arbeit. Ein Leseraum mit kleiner Bibliothek sorgt für geistige Zerstreuungsmöglichkeit. Auf Wunsch erhält der Gefangene auch Unterricht in Lesen und Schreiben. Das Essen wird in eigener Gefängnisküche bereitet.

d. Negus besichtigt d. Gefängnis
Der Gefangene erhält durchschnittlich: früh ½ „Indjera“, d.i. das ethiopische Sauerbrot aus „Teff“ (Poa abessinica), einer Eragrostis-Art; mittag 1 „Indjera“ mit Sauce, diese verdickt durch Erbsen, Linsen, Bohnen, Kohl oder dergl.; abend wieder ½ „Indjera“. Einmal wöchentlich gibt es Fleisch, und zwar etwa 200 Gramm pro Kopf. Zu trinken gibt es in unbeschränkter Menge Wasser.
Der ethiopische Gefangene ist in diesem Gefängnis im Vergleich zu seiner üblichen Lebensweise so ungewohnt gut aufgehoben, daß es zu fürchten steht, daß die Auswirkung dieser Humanität in Hinsicht auf die Hebung der Moral mit einiger Vorsicht abzuwarten sein wird. Die Entwicklung des Baues und nunmehr die Verwaltung untersteht letzten Endes dem Innen-Minister, Dedjasmatsch (d.i. General der Mitte) Gabre Mariam, einem der alten Menelik-Leute. Unermüdlich hat dieser außerordentlich liebenswürdige und fleißige alte Herr an diesem Werk geschafft, ihm zur Seite der allbewanderte deutsche Chemiker Dr. Ewert, bis nunmehr die feierliche Einweihung durch den Kaiser das Werk seiner Bestimmung übergeben hat.

30.

Addis Abeba, 25. Sept. 1935.

„Le petit caporal“.

Da steht er vor uns, der „kleine Corporal“. Heute noch nicht zwei Jahre alt und verständlicherweise noch nicht ganz mächtig seiner Muttersprache, beherrscht er jedwedes der französischen Kommandos der ethiopischen Armee. Kabede Tessama ist sein Name. Sein Vater ist ein kleiner Angestellter des Handels-Ministeriums. Das Ausbilden der Angestellten des Handelsministeriums, in dessen Hofgebäuden seine elterliche Wohnung liegt, durch Korporäle der Kaiserlichen Garde, hatte es dem Kleinen angetan. Gar nicht so lange hatte es gedauert, so hatte der „Knirps“ alle Kommandos weg. Soweit war das ja nun ganz gut. Unserem kleinen Corporal aber genügte das nicht. Also verlieh er sich selbst in Form einer an langer Glasperlenkette über die Schulter gehängten Glocke das Abzeichen gehobener Stellung, nahm einen kleinen Knüppel, versammelte um sich seine um mindestens 10 Jahre älteren Spielkameraden und fing an zu kommandieren. Es dauerte einige Tage, da hatte „le petit carporal“ eine regelrechte „kleine“ Soldateska um bzw. vielmehr „unter“ sich, die er sehr bald Tag um Tag stundenlang drillte und notfalls auch über den rückwärtigen Hof des Handelsministeriums jagte, daß es nur … „so rauchte“!
So haben wir ihn gesehen. Und so haben wir den kleinen Mann im Lichtbild sogar – Tonfilm (Paramount) festgehalten.

Le petit caporal, der noch nicht 2 jährige kleine Kabede Tessana

31.

Addis Abeba, 30. Sept. 1935.

Wie ist die Landeshauptstadt Ethiopiens verwaltet?

Da – im Bürogebäude der Municipalität – sitzt er mir gegenüber, der Gebieter über den erheblichen Verwaltungsapparat der Landeshauptstadt, der höchste Chef ihrer ca. 6000 Mann starken Polizei (der gegebenenfalls auch der Schutz der Fremden hier obliegt!), darüber hinaus einer der angesehensten vertrauten Berater seines Kaiserlichen Herrn. Aus seinem dunklen Gesicht von reinstem Amharentyp blicken kluge, ernste und doch freundliche Augen mir erwartungsvoll entgegen. Sein Gruß war von natürlicher Höflichkeit. Sein gesamtes Auftreten ist von der bestimmten und gerade dadurch so vertrauenerweckenden Art, die der „Soldat“ am besten einzuschätzen weiß. Blata Takele Wolde Hawariat ist sein den Besuchern Addis Abebas wohlbekannter Name. Blata Takele – vor Antritt seines hochverantwortlichen jetzigen Dienstes Generaldirektor des Landwirtschaftsministeriums, davor des Arbeits- und davor des Innen-Ministeriums – gilt als einer der intelligentesten Beamten Ethiopiens. Vorbildlich ist nebst seinem allgemein bekannten und seinen Untergebenen nicht immer gerade bequemen Fleiß seine moralische Reinheit nach jeder Richtung. Ein bißchen viel, was ich nun von dem Herrn von Addis Abeba wollte; und fast ein wenig verlegen brachte ich hervor, daß ich so ungefähr alles sehen, wissen und möglichst sogar fotografieren wollte, was im Bereich seiner Machtbefugnisse liege. Zu meinem Erstaunen folgte nicht die eigentlich erwartete mehr oder minder höfliche Absage oder doch erhebliche Beschränkung meiner Wünsche. „Ich stehe Ihnen in jeder Richtung vollständig zur Verfügung. Gehen Sie ungestört durch meinen Amtsbereich. Sehen Sie sich an, was auch immer Sie interessiert, und photographieren Sie, was Sie wollen. Ich werde dafür sorgen, daß kein Mensch Sie zu stören wagt“.

Der Polizei-Präsident von Addis Abeba, der Balambaras Abele, hält dem Gouverneur Vortrag
In diesem Augenblick trat der Polizeipräsident der Hauptstadt, der Balambaras Abele, zum Vortrag einer eiligen Angelegenheit ein.
Nach rascher Erledigung dessen fragte der Gouverneur mich, ob mich z.B. das Gebiet des Polizeiwesens interessiere. Wenn ja, so wolle er mir ein ganzes Regiment seiner Schutzpolizei am nächstens Tage schon in seiner Ausbildung vorführen. Natürlich sagte ich mit Freuden zu. Und tatsächlich durfte ich einem großen Exerzieren der Schutzpolizei mit anschließender Parade unter dem Polizeipräsidenten selbst beiwohnen. Und ich muß sagen, daß die gesamte Vorführung in jeder Richtung einen ganz außerordentlichen Eindruck auf mich gemacht hat, in erster Linie aber den, daß ich es da mit einer ohne Frage erstklassig disziplinierten Truppe zu tun hatte, auf die auch im kritischsten Falle unbedingt Verlaß sein würde.
Die Organisation der Stadtverwaltung ist durchaus europäischen Stiles. In vielen Abteilungen stehen den ethiopischen Beamten europäische Berater zur Seite. Die Stadtverwaltung umfaßt folgende Abteilungen, die von dem ihnen übergeordneten Zentarl-Departement (diesem angeschlossen eine juristische Abteilung) kontrolliert werden:

1. Schutz-Polizei, Verkehrs-Polizei und Geheim-Polizei; dazu neuerdings die Abteilung für Tierschutz;
2. Baupolizei und Straßenbauamt;
3. Katasteramt;
4. Stadtgericht, das alle Grundstücksstreitigkeiten regelt. Unterstellt ist dieser Abteilung gleichzeitig die Marktpolizei;
5. Steuer-Abteilung;
6. Eine Spezialabteilung, die alle Verträge – sowohl solche zwischen Ethiopiern wie solche zwischen Ethiopiern und Europäern – registriert, die im Bereich der Hauptstadt geschlossen werden, wie Mietverträge, Eheverträge usw.
7. Straßenreinigung und Feuerlöschwesen. Dieser Organisation stehen neben einer Fiat-Motorspritze zahlreiche Lastkraftwagen zur Verfügung;
8. Das Stadt-Hospital zur Behandlung der Angestellten der Municipalität;
9. Die Stadt-Kasse;

Alle diese Abteilungen durfte ich nicht nur durchwandern, sondern regelrecht und unbeschränkt „durchforsten“. Ich habe mir das nicht entgehen lassen und so tatsächlich Einsicht gewonnen in das gesamte Verwaltungsgefüge von Addis Abeba. Ich bin nicht Verwaltungsfachmann. Ob aber in einer Organisation Ordnung, System und Zweckmäßigkeit herrscht, das zu beurteilen darf ich mir erlauben. Und das Urteil, das ich hier gewonnen habe, geht kurz gefaßt, dahin: Aus Primitivstem heraus hat hier eine energische Hand, hat ein intelligenter Kopf eine Organisation geschaffen, die einen Vergleich mit europäischen Stadtverwaltungen keinesfalls zu scheuen hat.


32.

Addis Abeba, 29. Sept. 1935.

„Maskal“.

„Maskal“ heißt „Kreuz“. Das Maskalfest gilt der religiösen Würdigung des Begriffes vom Kreuz. Es ist einer der höchsten ethiopischen Feiertage. Seine Entstehung geht zurück auf die Zeit des ethiopischen Königs David, der von 1380 – 1409 regierte. König David hatte dem Patriarchen von Jerusalem Hilfe geleistet gegen den Ansturm der Mohammedaner. Als Dank erbat er sich ein Stück vom Kreuz Christi. Das sandte ihm der Patriarch durch eine Sondergesandtschaft. König David holte die Reliquie mit großen Feierlichkeiten ein. Der Tag ihrer Ankunft wurde von der koptischen Kirche Ethiopiens zum Feiertage erhoben. Es ist das heutige Maskal-Fest, das am 28. September feierlichst begangen wurde. Am Tage vor dem eigentlichen Fest pflegt der Kaiser eine Parade seiner regulären wie irregulären Krieger abzunehmen. In friedlichen Zeiten entsandte dazu fast jeder Provinz-Gouverneur eine Kriegerschar von 500 bis 1000 Mann, teils zu Pferde, teils zu Fuß. Diesmal veranlaßte die gespannte Lage den Kaiser , die Teilnahme auswärtiger Heerbanne abzusagen. Es nahmen diesmal nur die in Addis Abeba stationierten Regulären, vor allem die Kaiserliche Garde, die Miliz-Soldaten der Ministerien und die „Wor-terenjotsch“ (d.s. die in Addis Abeba ihre monatliche Dienstzeit als Wächter des Kaiserl. Palais, des Kriegsministeriums und der verschiedenen in Addis Abeba anwesenden hohen „Chefs“ ableistenden Bauern aus dem Landes-Inneren). Teilnehmer waren ferner die Schüler der Sklavenschule und einiger anderer Staatsschulen, schließlich die erste ethiopische „Rote-Kreuz-Kolonne“, deren – wie immer und überall bescheiden im Hintergrunde bleibender! – Organisator der deutsche Chemiker Dr. Ewert ist, die rechte Hand des Handelsministers, der Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheitspflege im Innenministerium, Inhaber außerdem einer ganzen Reihe weiterer Ehrenämter und Vertrauensaufgaben, der Mann schließlich, den kein Deutscher vergebens appelliert, wenn er Rat und Hilfe braucht!
Das Wetter war trostlos. Es goß vom Himmel herab wie aus Eimern. Dazwischen Blitz und Donmner. Nach altem Glauben freilich bedeutet es Glück, wenn zum Maskaltage der Himmel noch einmal seine Schleusen öffnet. Als schließlich eine Pause eintrat im Toben der Elemente, begann die Festlichkeit. Unter Führung des „Abuna“ umschritt in ihren prunkhaften Gewändern die Geistlichkeit dreimal den Maskal-Baum. Es ist nicht eigentlich ein „Baum“, ist vielmehr ein Bündel hochragender Stangen, die oben mit den goldgelben Sternen der Maskalblumen geziert sind. Eine kurze religiöse Würdigung der Bedeutung des Maskal-Festes vor dem Kaiser folgte. Dann reichte der Abuna dem Kaiser das Kreuz zum Kuß.
Und nun verließ, begleitet von dem kleinen Prinzen Makonnen und einigen hohen Hofchargen, in seiner Marschallsuniform, auch der Kaiser seine Zeltloge und umschritt der Sitte gemäß ebenfalls dreimal den Maskalbaum. Dann begann mit dem Vorbeizug zunächst der Irregulären die Parade.
Wilde Reiter sprengten vorbei, meist in den Trachten der ethiopischen Krieger, auf dem Haupte den Kriegerschmuck mit Löwenhaar, buntgestickte Wamse auf dem Körper, über diesen Umhänge aus Löwenfell; am linken Arm den Rundschild aus Büffel- oder Nilpferdhaut, vielfach wundervoll geziert durch Silber- oder Goldbeschlag unter diesem, teilweise mit blauem, rotem oder grünem Sammet überzogen; in der rechten Hand, wild geschwungen, das alte ethiopische Krummschwert oder den Speer. Auch die Großen des Landes lieben es, zu solchen Gelegenheiten sich noch in der alten Tracht zu zeigen, deren Teile oft noch Geschenke und Verleihungen des großen Kaisers Menelik bedeuten. So erschien der Kriegsminister in der schmuckhaften Kriegertracht, auf dem Haupte die schwere goldene „Ras“- (d.i. Fürst!)-Krone, ebenfalls den kostbar in Gold gezierten Schild am linken Arm. Ob zu Fuß, ob beritten, wild schreiend ziehen die Irregulären vorüber.
Aus ihren Scharen brechen die sogenannten „Fokary“ heraus, galoppieren oder springen vor die Loge des Kaisers, der eisern vor sich hinblickt, schwingen wild ihre Speere, Schwerter oder Flinten und rufen mit hoch gellender Stimme ihm zu, daß sie Krieg wollen, daß er sie zu Sieg und Tod führen möge.

Einer der "Fokary" in der altethiop. Krieger-Tracht:
Kopfschmuck m. Löwenhaar, goldgestciktes Wams mit Löwenfell, am linken Arm d. Schild, in rechter Hand d. Schwert

Oft steigert ihre Begeisterung sich soweit, daß die Beamten des Hofes sie mit milder Gewalt zurückdrängen müssen. Doch das genügt auch sofort. Sie „fokern“ ja nur. Sie wollen eben ihren Kaiser sagen, wie treu ergeben sie ihm seien; und das ist ihr Recht! Oft sind es Krieger noch von Adua her, Grau- und Weißköpfe, aber trotz ihres Alters nicht minder entflammt wie die jüngere Generation. Sie sind vorüber wie phantastische Gebilde. Und dann folgt die neue Zeit, der Ernst, die militärische Parade. Unwillkürlich gehen die Gedanken an die Grenzen des Landes im Norden, Osten und Süden. Dort drohen schwerere Wolkenmassen als wir sie hier über unserem Haupte haben. Dort wetterleuchtet es – unheilkündend – aus dem Gewölk. Maskal und Parade heute. Und was wird das „Morgen“ bringen? In der Diplomatenloge sitzt auch der italienische Gesandte, Minister Graf Vinci Cigliucci, sitzt auch der italienische Militärattaché, Oberst Calderini. Was mag hinter ihren Stirnen vorgehen? Die Parade ist vorüber. Eben ziehen die Krankenwagen der Sanitätsformationen vorbei. Ja, ja, den Abschluß bilden immer sie, die Formationen, die dem Dienst an den armen Opfern des Krieges zugewiesen sind.
Und am 28. September das eigentliche Maskalfest, wo nach religiöser Feier die große Gratulationstour beim Kaiser folgt, wo die umfangreichen Speisungen der Garde und der in Addis Abeba anwesenden Irregulären stattfinden, Speisungen, bei denen Tausende ungeheuerliche Mengen rohen Fleisches mit scharfer Würze verzehren, ihren Talla (eine Art bitteren Bieres) dazu trinken, alle Gäste des Kaisers, der diesem Geschmause seiner Getreuen belustigt zuzuschauen pflegt. Angst und bange kann dem Zuschauer werden, wenn er sieht, wie das scharfe Messer von großem Stück Fleisches unmittelbar am Munde einen „mundgerechten“ Streifen von unten nach oben abschneidet. Doch die Besorgnis ist überflüssig. Es geht fabelhaft. Ja, und König dieses Festschmauses ist der, der in einundeinhalb Stunden einen fetten strammen Hammel allein bewältigt. Und das ist keine Fabel; es ist ebenso Tatsache wie, daß es nach jedem Maskalfest in großer Menge schwere Magenverstimmungen – nicht selten mit tödlichem Ausgang – gibt. Ist eben „Maskal“.


50.

Die ethiopischen „Generale“.

I. An der Spitze des ethiopischen „Heerwesens“ steht der Kriegsminister, z. Z. der „Ras“ (d.i. Fürst) Mulu Gheta, der übrigens diesen Posten – er war zwischendurch Gouverneur der Provinz Wollega – zum zweiten Male bekleidet. Mulu Gheta, heute ungefähr (genau weiß man hier das Alter selten oder wohl gar nicht) 65 Jahre alt, ist eine große, kräftige Kriegererscheinung, das letztere besonders dann, wenn er – und er tut es gern – noch die alte Kriegstracht aus der Zeit des Kaisers Menelik trägt, die schwere, goldene Ras-Krone auf dem Haupt, das Löwenfell über der Schulter, das lange Krummschwert umgegürtet, am linken Arm den goldbeschlagenen Büffelschild, in der Rechten den Speer. Natürlich ging Mulu Gheta jetzt nicht in dieser Hof- und Paradeuniform in den Krieg, sondern in einfacher Khakiuniform. Mulu Gheta ist „Ras“ nicht von Geblüt, sondern wurde „gefürstet“ vom jetzigen Negus infolge seiner Verdienste um den Staat. Er ist einer der alten „Menelik-Leute“. Man nennt einen bestimmten Kreis so und drückt damit aus, daß jemand, der dazu gehört, vorliegend also Mulu Gheta, einer von denen ist, die die Menelik-Tradition wahren und das konservative – tatsächlich das beste! – Element Ethiopiens darstellen. Es sind fast durchweg gerade, aufrechte, untadelige Männer, wie man sie in der späteren Generation sehr, sehr selten leider nur noch findet. Mulu Gheta zeichnete sich erstmalig in der Schlacht bei Adua (1896) aus. Kaiser Menelik schätzte ihn ungemein. Er ernannte ihn zum Finanzminister und ehrte ihn nach Bewährung in diesem Amte durch den Titel „Bedjerond“, der im Verfolg ganz besonderer Bewährung hohen Verwaltungsbeamten zuteil wird. Als 1917 die Tochter Meneliks, Sauditu, zur Kaiserin gekrönt und der damalige Ras Tafari von ihr zum Regenten ernannt wurde, stellte Mulu Gheta sich vorbehaltlos auf die Seite des Regenten und damit gegen den zuvor bereits gestürzten Lidj Yassou, den Menelik zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Als 1928 der Fitorari Habte Gergis starb, wurde Mulu Gheta sein Nachfolger. Er bewährte sich als Höchstkommandierender der Kaiserlichen Truppen im Kampfe gegen den aufständischen Ras Gugsa, den er in der Schlacht bei Kuana-Antschim (in der Provinz Begemeder) vernichtend schlug. In dankbarer Anerkennung dessen ernannte ihn der Kaiser – inzwischen war aus dem Ras Tafari der „Neguse Negest“ (König der Könige) Haile Selassie I. geworden – zum Ras und Gouverneur der reichen Provinz Wollega. Bei Beginn der italienischen Krise holte der Kaiser ihn jedoch zurück auf den Posten des Kriegsminsters. Mulu Gheta ist bei den ethiopischen Soldaten sehr beliebt, da er sich bemüht, den ihm unterstellten Truppen nicht nur der Führer, sondern auch ein fürsorgender Vater zu sein. Freilich, mit diesem seinem Bestreben hat er es unter den hier obwaltenden Umständen wahrlich nicht leicht, zumal deshalb nicht, weil die unteren Führer selbst in diesen Zeiten der brennendsten Gefahr im Gegensatz zu ihm in die eigenen Taschen stecken, was sie nur „ergattern“ können. Es ist eine nicht aus der Welt zu leugnende Tatsache, daß die Haupteinkünfte des Landes bei den Provinz-Gouverneuren hängen bleiben. Und wenn der Kaiser einem seiner Großen besonders wohl will, so gibt er diesem eben eine große und vor allem reiche Provinz. Im allgemeinen saugt dann der Herr Gouverneur aus seinen Bauern und Grundbesitzern überhaupt heraus, was eben zu holen ist. Dem Kriegsminister als solchen unterstehen sogar mehrere Provinzen. Mulu Gheta aber ist – und das spricht für ihn Bände! – kein reicher Mann. Natürlich ist das im Volke bekannt und bringt ihm des Volkes und damit der Soldaten Verehrung ein. Daß er ein tapferer Kämpfer ist, hat er bewiesen. In seinem Kampfe gegen den Ras Gugsa hat er fraglos auch strategisches Geschick gezeigt. Seine Spezialität ist das Umfassungsmanöver. Gerade deshalb hat der Kaiser ihn jetzt an die Nordfront geschickt, an der man mit dieser Strategie – notfalls unter rücksichtslosem Masseneinsatz – die entscheidende Wendung herbeiführen will. Mit seinem Eintreffen dort sit die Uebernahme des Oberbefehls durch ihn automatisch verbunden. Und nun gilt es, abzuwarten, wieweit Mulu Ghetas Bewährung als „Stratege“ in den Kämpfen um die Gestaltung des Landes und gegen aufrührerische Fürsten überhaupt in Bezug zu bringen ist zu den Anforderungen moderner Strategie.

II. Bis zum Eintreffen des Kriegsministers und seit Beginn der Feindseligkeiten führt den Oberbefehl an der Nordfront der etwa 55jährige Ras Kassa, Gouverneur der Provinzen Salale und Godjam. Kassa ist ein Sohn des Ras Darge, eines Enkels des Kaisers Sahle Seassie. Ras Kassa ist nicht „Soldat“ und hat in der Tat auch keinerlei soldatische Qualitäten. Im Grunde „führt“ an seiner Stelle sein Sohn Dedjasmatsch (erst mit dem Tode seines Vaters wird er Ras) Aberra, ganz entschieden einer der „fähigen“ ethiopischen Generale. Auch hat er sich seinerzeit, und zwar an der Spitze einer Heerschar von etwa Regimentsstärke, in der oben besagten Schlacht von Kuana-Antschim ausgezeichnet. Später hat er in dauerndem Kampf gegen das Räuberunwesen speziell Erfahrungen für den „Guerilla“, also den Kleinkrieg von Fels zu Fels, Busch zu Busch, gesammelt. Seine kameradschaftliche, schlichte Art im Umgang, im Verein mit seinem persönlichen Mut hat ihm die Liebe seiner Soldaten gewonnen.

III. Den rechten Flügel der Nord-Front befehligt Ras Zium, ein Sohn des Ras Managascha und Enkel des Kaisers Johannes. Ras Zium, im Anfang der fünfziger Jahre, lebte längere Zeit in Addis Abeba, nachdem er bei der Kaiserin Sauditu in Ungnade gefallen und seines Postens als Gouverneur der Provinz Tigre enthoben war, weil er dem gestürzten Lidj Yassou Gastfreundschaft gewährt und sich geweigert hatte, ihn auszuliefern. Ras Zium ist „populär“ durch einen seltsamen Sprachfehler. Er kann, wie die Chinesen, den Buchstaben „R“ nicht aussprechen und sagt dafür „L“. Ras Zium, ein persönlich tapferer Mann, ist kein Soldat. Wenn er trotzdem Führer einer maßgeblichen Heeresmacht ist, so ergibt sich das nach dem hier herrschenden Feudalsystem automatisch aus seiner Stellung als Gouverneur der Grenzprovinz Tigre, um die ja da, wo er führt, der Kampf geht. Als technischer Berater hat er zu seiner Seite den ehemaligen Kaiserlichen russischen Oberst Kornowaloff, im Weltkriege zunächst Adjutant des Großfürsten Alexander Michailowitsch gewesen, dann – seit 1917 – Kommandeur der russischen Fliegertruppen. An sich ein fähiger Kopf, ist Kornaowaloff andererseits dem Grundübel seiner Landsleute, dem Trunk, verfallen.

IV. Befehlshaber des linken Flügels der Nord-Front ist der etwa 48jährige Dedjasmatsch Ayellou Birrou, Sohn einer Schwester der Kaiserin Taitou, der Gattin Meneliks. Ayellou ist ein verschlagener Charakter, wenig beliebt. Seine Verschlagenheit ist sein Familienerbteil. Die Kaiserin Taitou war wohl die ränkesüchtigtse Intrigantin, die je Ethiopien auf seinem Thron gesehen hat. Für seine Aufgabe der Durchführung eines Gebirgskrieges im großen wie im kleinen Maßstabe ist Ayellou entschieden der geeignete Mann. Er ist es, von dem die ethiopische Regierung örtlich die Ausführung des entscheidenden Schlages gegen die Italiener an der Nord-Front erwartet.

V. Der Führer der hinter dem linken Flügel der Ayellou-Kräfte zurückgehaltenen Armee-Reserve ist der Gouverneur der Provinz Gonder, Ras Imrou, der etwa 50jährige Vetter des Kaisers Haile Selassie. Sein Vater war ein Bruder des Ras Makonnen, des Vaters des jetzigen Kaisers. Ras Imrou war früher Gouverneur der Provinz Harrar. Sein Ruf ist der des fähigsten und tatkräftigsten Provinzgouverneurs. Fraglos ist er einer der intelligentesten Ethiopier. Bewiesen hat er sein Können bisher allerdings nur auf verwaltungstechnischem Gebiete, so daß über seine militärische Eignung ein Urtail zur Zeit sich noch nicht geben läßt. Die Ethiopier selbst stehen ihm in dieser Hinsicht skeptisch gegenüber; und daraus vor allem folgert, daß er, obwohl ein bzw. „der“ direkte Vetter des Kaisers, eine führende Stellung an der Front selbst bisher nicht erhalten hat.

VI. Wenden wir uns jetzt zur Süd-(Somali-)Front, so finden wir dort zwei Heeresgruppen, und zwar die Gruppe Harrar-Ogaden (versammelt hauptsächlich um Djigdjigga) unter ihrem Oberbefehlshaber Dedjasmatsch Nassibo Samanuel, dessen Vater der Oberhofmarschall der Kaiserin Taitou war, und die Gruppe Arussi-Sidamo-Bali-Borana unter den Ras Desta Demto, einem Neffen des vor wenigen Jahren verstorbenen Ras Nado, Gouverneurs der Provinz Wollega. Ras Desta hat die älteste Tochter des Kaisers zur Frau. 1) Der Führer der Gruppe Harrar-Ogaden, Dedjasmatsch Nassibo Samanuel, war früher Gouverneur der Stadt Addis Abeba, dann Generaldirektor des Kriegsministeriums und damit so etwa „Generalstabschef“ der ethiopischen Armee. Anschließend wurde er zum Gouverneur der Provinz Harrar. Seine Bewährung in der Organisation der Polizei in Addis Abeba hat ihm den Ruf eines tüchtigen Organisators eingetragen. Sein Verdienst ist der Aufzug eines „sozusagen“ modernen Regimentes in Goba, einer Stadt der Provinz Bali. Nassibo war im Auftrage der ethiopischen Regierung wiederholt und auch längere Zeit in Europa und hat dort aus persönlichem Interesse sich auch mit Fragen der modernen Bewaffnung beschäftigt. Er ist ein gebildeter, modern denkender Mann von europäischen Umgangs- und Lebensformen. Er ist energisch, aktiv und militärisch über das normale Maß vorgebildet, wenn er diese seine Vorbildung sich wesentlich auch nur als Autodidakt erworben hat. 2) Ihm zur Seite steht der ehemalige Kaiserlich-Osmanische General und Armeeführer aus Weltkriegszeit, Wehib Pascha Janina. Zwischen beiden besteht ein ausgezeichnetes Verhältnis, so daß an dieser Stelle eine einheitliche und militärisch gute Leistung gewährleistet scheint. 3) Ras Desta Demto hat militärisch bisher noch nichts geleistet. Zu seiner jetzigen Höhe hat ihn sein Verdienst um den Kaiser geführt; und dies besteht darin, daß es ihm seinerzeit gelang, Lidj Yassou gefangen zu nehmen (und dem Kaiser auszuliefern!), der sich jahrelang jedem Zugriff zu entziehen verstanden hatte. Ras Desta Demto, heute kaum 40 Jahre alt, gilt als klug und energisch, auch als organisatorisch befähigt. Zu seiner militärischen Unterstützung hat er in seinem Stabe einige ethiopische Offiziere, die in St. Cyr die französische Militärschule absolviert haben.

VII. Die Ungewißheit über den voraussichtlichen strategischen Einsatz der bei Assab versammelten italienischen Kräfte hat vor kurzem zu raschestem Zusammenziehen starker ethiopischer Kräfte (bisher etwa 100 000 Mann) in der Provinz Tschertscher geführt, die ihre Spitze zunächst gegen die Provinz Aussa richten sollen. Den Oberbefehl über diese neue Armee – bzw. zunächst die Organisation derselben – hat der Kaiser dem Ras Getadjo übertragen. Ras Getadjo, ein Sohn des Ras Abate, eines der führenden Männer aus der seinerzeitigen Adua-Schlacht, ist etwa 48 Jahre alt. Er war lange Zeit Ethiopiens Geschäftsträger in Paris und Vertreter beim Völkerbund, dann Innenminister und Provinz-Gouverneur. Getadjo liebt europäische Zerstreuungen, ist – übrigens ein guter Tänzer – ein Freund schöner Weiblichkeit und auch einem guten Tropfen nicht abhold, also gewissermaßen der „Lebemann en miniature“ unter den ethiopischen Heerführern. Die Momente, die dazu geführt haben, ihn mit so verantwortungsvoller Aufgabe zu betrauen, sind die Achtung vor seinen europäischen Erfahrungen, seine unleugbare Klugheit und das persönliche Vertrauen des Kaisers zu ihm. Ob damit aber für seine jetzige Aufgabe de facto die erforderlichen Qualitäten – und vor allem die in militärischer Hinsicht! – verbunden sind, steht zunächst dahin.

VIII. Und zum Schluß der einstweilen noch „große Unbekannte“ auf dem Spielbrett der ethiopischen Kriegführung: Es ist Bedjerond Takle Hawariat, der bisherige ethiopische Geschäftsträger in Paris und Vertreter vor dem Völkerbund, den der Kaiser auf Drängen seiner Ratgeber aus seiner Stellung abberufen und zu sich herangeholt hat. Allem Anschein nach ist diesem Manne die Stellung eines Chefs des – einstweilen freilich erst mal „gedachten!“ – „Generalstabes der Armee“ vorbehalten. Vor Antritt seines Pariser Amtes war Takle Hawariat Finanzminister. Sowohl damals wie in seiner Tätigkeit in Paris und besonders als Vertreter Ethiopiens vor dem Völkerbund hat er sich ganz zweifellos ausgezeichnet bewährt. Jedoch nicht nur diese Bewährung hat seine Berufung für gedachte militärische Aufgaben veranlaßt, sondern vielmehr seine frühere aktive militärische Schule. Die religiöse Gemeinschaft mit dem Kaiserlichen Rußland hatte in den Zeiten vor dem Weltkriege zur Entsendung junger Ethiopier nach Rußland geführt. Einer von diesen war auch Takle Hawariat. Er trat in die russische Armee ein, wurde Offizier und erlangte das Diplom seiner Befähigung zum Generalstab. Takle Hawariat ist fraglos ein ebenso hochintelligenter wie vielseitig gebildeter Mann und tatsächlich wohl der einzige Ethiopier, der nach Vorbildung als modern geschulter Soldat und als geeignet für die Stellung eines Generalstabschefs zu bezeichnen ist.