last update: 09.05.2023 16:43

Senftenberg, wendisch Komorow, liegt in der Provinz Brandenburg, Regierungsbezirk Frankfurt/O., Kreis Calau und wird von der Schwarzen Elster berührt, welche unweit der Stadt die Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen bildet. Sie liegt unterm 38sten Grad östlicher Länge und 51sten Grad nördlicher Breite.



Senftenberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
... ein bis vor kurzem noch verschlafenes Ackerbauernstädtchen, welches Fremde spöttisch-verächtlich als in der Hundetürkei gelegen bezeichneten, hatte gerade erst Anschluß an die große weite Welt erlangt. In der Umgebung hatte man große Vorkommen an leicht zugänglicher Braunkohle entdeckt, die in zunehmenden Maße abgebaut und zu Briketts verarbeitet wurde, welche man danach vornehmlich nach Cottbus und Berlin transportierte. Der Bau der Eisenbahnstrecke Cottbus - Großenhain und der Anschluß Senftenbergs an diese Trasse beflügelte die wirtschaftliche Entwicklung der Region ungemein.

Eine 1885 durchgeführte Volkszählung ergab für Senftenberg folgendes Ergebnis: Nach den jetzt veröffentlichten endgiltigen Ergebnissen vom 1. Dezember v. J. zählt unsere Stadt in 316 Häusern, 2 Wohnplätzen, 4 Anstalten für gemeinsamen Aufenthalt und 697 Haushalte 1659 männliche und 1539 weibliche, zusammen 3198 Einwohner. Aus einer Chronik der Senftenberger Postgeschichte stammen die nachfolgenden Angaben, die das stetige Bevölkerungswachstum bis zur Jahrhundertwende dokumentieren: 1840: 1225, 1855: 1449, 1861: 1503, 1871: 1861, 1875: 2078, 1880: 2848, 1890: 4503, 1895: 4973, 1900: 6157.
Über die Sprach- und Religionsverhältnisse berichtet die selbe Chronik: Die Verkehrssprache ist die deutsche. In den umliegenden Ortschaften wird wendisch gesprochen. Die Religion ist ausschließlich evangelisch. Zum Katholizismus bekennen sich nur wenige, zur jüdischen Religion nur eine Familie. In den letzten Jahren ist die Zahl der katholischen Einwohner durch den starken Zuzug polnischer und schlesischer Arbeiter soweit gestiegen, daß für dieselben eine eigene Schule und ein eigenes Bethaus hat errichtet werden müssen.

Für den geistlichen Beistand der vornehmlich protestantisch geprägten Senftenberger Bevölkerung trug ab 1883 unter anderem Wilhelm Hintersatz Senior die Verantwortung.

Geboren wurde dieser als Friedrich Wilhelm Hintersatz am 19.01.1855 in Ruhland, nur wenige Kilometer von Senftenberg entfernt.

Auszug aus dem Taufregister der Kirche zu Ruhland

Wilhelm war das erste von 6 Kindern, die dem ortsansässigen Tischlermeister Friedrich Wilhelm Hintersatz (* 26.08.1823 - † 16.07.1909) und dessen Frau Marie Ernestine (geb. Richter * 1834 - † 22.01.1905) geboren wurden.
Reinhard Otto (* 24.09.1857 - † 03.12.1864),
Anna Maria Leontine (* 28.10.1858 - † 04.02.1938),
Gotthelf Reinhold (* 21.01.1863 - † 15.04.1901),
Richard Georg (* 03.06.1866 - † 12.01.1939) und
Anna Maria Helene (* 23.05.1869 - † ? )

Alle erblickten ebenfalls in Ruhland das Licht der Welt und vergrößerten sukzessive die Geschwisterschar.

Der Name Hintersatz ist für die Niederlausitz relativ untypisch. Später einmal wird die Bemerkung "alttiroler Name" fallen. Ob die Ursprünge der Familie tatsächlich so weit im Süden lagen ist unklar.
Der Stammbaum der Familie lässt sich derzeit bis auf Christian Samuel Hintersatz, einen Schneidermeister, der 1757 in Drebkau, ebenfalls unweit Senftenberg, geboren wurde, zurückverfolgen. Die nächste Generation, die den ersten Friedrich Wilhelm Hintersatz (* 10.08.1791 - † 16.03.1851) hervorbrachte, kam noch in Drebkau zur Welt, wandte sich jedoch bald Ruhland und dem Tischlerhandwerk zu. Dieser Beruf wurde auch an den nächsten Friedrich Wilhelm (* 26.08.1823 - † 16.07.1909), den Vater unseres zukünftigen Theologen, weitergegeben.

Wilhelm Hintersatz ca. 1870
während der Zeit in Hirschberg
Der angehende Geistliche wurde zunächst auf dem Königlichen Gymnasium zu Hirschberg in Schlesien (heute Jelenia Góra, Polen) ausgebildet. Die letzten anderthalb Jahre seiner Schulzeit absolvierte er auf dem Gymnasium in Guben. Übrigens gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Gotthelf, der vier Klassen unter ihm war. Anfang 1876 legte Wilhem in Guben das Abitur ab. Warum dies erst in seinem 21. Lebensjahr geschah, hatte offenbar mit zwei oder drei "Ehrenrunden" zu tun. Nach Erhalt des Reifezeugnisses am 1. März 1876, welches alles in allem nur "befriedigend" ausfiel, schrieb er sich an der Universität Leipzig ein. Zwischen April 1876 und März 1878 studierte er dort Theologie und Philologie.

Ausschnitt aus dem Abgangszeugnis (Leipzig, den 23. März 1878)

... Was dessen sittliches Betragen betrifft, so ist etwas Widriges gegen ihn allhier nicht vorgekommen. ...
Wilhelm Hintersatz
während seiner Zeit in Berlin
In den beiden folgenden Jahren setzte Wilhelm Hintersatz sein Studium der Theologie an der Königlichen Friedrich Wilhelms Universität zu Berlin fort. Während der Zeit in Berlin arbeitete er zusätzlich als Lehrer an einer höheren Töchterschule sowie als Diakonus und Prädikant beim Professor und Prediger Dr. Paulus Cassel...

Erwähnung in Kirchlichen Nachrichten (1879/80)
Ich bezeuge hiermit gern, daß der stud. Theol. Wilhelm Hintersatz ein regelmäßiger Besucher meiner Kirche gewesen ist, und daß er nicht selten an der Feier des H. Abendmahls sich betheiligt hat. Er ist Lehrer an meiner Sonntagsschule und hat sich dabei treu, gütig und liebevoll gezeigt. Ich glaube es aussprechen zu dürfen, daß er ein treuer Diener Jesu Christi sein wird, wenn er durch Gnade zu dem Amte berufen ist.
Berlin 1. Mai 1880
Professor Paulus Cassel
Dr. der Theologie
Prediger an der Christuskirche
Ausschnitt aus dem Abgangszeugnis (Berlin 1880)
...um schließlich Ostern 1881 gemeinsam mit 7 Kommilitonen Predigtamts-Candidat im Königlichen Prediger-Seminar Wittenberg zu werden. Hier absolvierte Wilhelm die letzten 2 Jahre seiner theologischen Ausbildung.

Das Prediger-Seminar zu Wittenberg um 1881
Auszug aus einem Gedicht von Emil Quandt,
Direktor des Seminars von 1888-1907
Die Zeit in Wittenberg war für den angehenden Prediger kein Zuckerlecken. Verpatzte und aus gesundheitlichen Gründen auch verpasste Prüfungen schlugen zu Buche. Die Kandidatenprüfung "licentia concionandi", die sich über 3 Tage vom 24. bis 26. Januar 1881 hinzog, bestand Hintersatz im ersten Anlauf nicht. Ungenügende Ergebnisse in Kirchen- und Dogmengeschichte machten eine Nachprüfung (10. Januar 1882) notwendig. Zur Kandidatenprüfung "pro ministerio", die am 6. Februar 1883 stattfinden sollte, erschien der Prüfling nicht. Hintersatz hatte im August/September des vorangegangenen Jahres eine Typhuserkrankung durchgemacht und war für längere Zeit zurück im Ruhländer Elternhaus. Ein Arzt bescheinigte... Der Candidat Hintersatz ist in Folge des im Frühherbst überstandenen Unterleibstyphus noch immer nervös, so daß er vorläufig noch außerstande ist, sich anhaltend größeren Anstrengungen zu unterziehen. Schlussendlich wurde das zweite und finale Examen "pro ministerio" am 27. Juli 1883 bestanden. Damit war der Weg für die berufliche Zukunft geebnet.
Wir beabsichtigen, Sie zum Hülfsprediger im Dienste der evangelischen Landeskirche zu bestellen... so beginnt die Einladung zu der für den 5. August 1883 in Berlin anberaumten Ordination, der feierlichen Einführung in das Priesteramt.
Im selben Schreiben wies man den angehenden Priester sicherheitshalber schon einmal darauf hin daß die Ihnen zugedachte Stellung als Hülfsprediger und das Ihnen ausgesetzte Einkommen nicht darauf angedacht ist, eine Familie zu erhalten, Sie deshalb zu Ihrer etwaigen Verheirathung vor Ihrer festen Anstellung im Pfarramte einer besonderen Erlaubniß des Consistoriums bedürfen, und wir uns die Befugniß vorbehalten, im Fall daß Sie ohne diese Genehmigung zu einer Verheirathung schreiten, ihr amtliches Verhältniß ohne Weiteres aufzulösen.

Nach besagter Ordination predigte Hintersatz zunächst einige Male in seinem Heimatstädtchen Ruhland und dessen Filialen bevor es ihn nach Senftenberg verschlug. Offiziell wurde er mit dem 1. September 1883 in Senftenberg, Kr. Calau als Hilfsprediger angestellt.
Wilhelm Hintersatz.

Das Foto wurde mit 1886 datiert. Ich halte dies für zu spät.
Normalerweise wäre für einen Senftenberger das Photoatelier von Hermann Meyer die erste Adresse für derartige Aufnahmen gewesen. Meyer eröffnete seine Senftenberger Dependance aber erst im April 1886. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in Senftenberg keinen stationären Fotografen der solche Produktionen herstellte, weshalb man gezwungen war auf die Umgebung, in diesem Fall: Cottbus, auszuweichen.
Die Anstellung als Archidiakonus von Senftenberg und Pfarrer von Sedlitz unter dem amtierenden Oberpfarrer Rudolf wurde am 8. August 1883 durch das königliche Consistorium bestätigt. Die Aufnahme der Tätigkeit erfolgte scheinbar aber tatsächlich erst mit dem 1. September.

Senftenberger Anzeiger (22.08.1883)

5 Monate später, am 20. Januar 1884, wurde die feierliche Amtseinführung in der Deutschen Kirche zu Senftenberg zelebriert. Mit diesem Tag begann auch erst offiziell das Arbeitsverhältnis des Geistlichen.

Senftenberger Anzeiger (30.01.1884)
Am 5. Mai 1885, die übergeordnete Stelle hatte offensichtlich die weiter oben angemahnte Erlaubnis erteilt, heiratete Wilhelm Hintersatz die zwei Jahre jüngere Johanna Louise Oertel. Die Tochter von Robert Oertel und dessen Frau Caroline wurde am 5. September 1857 in Treuenbrietzen geboren und wird 52 Jahre lang ihrem Mann eine treue Gefährtin sein.
Zum Zeitpunkt der Hochzeit kann Louise seit höchstens acht Jahren in Senftenberg wohnhaft gewesen sein. Ihr Vater Robert wurde 1877 aus Hersfeld (Hessen-Nassau) nach Senftenberg versetzt, was zwangsläufig mit dem Umzug der gesamte Familie einherging. Zwischen 1877 und seiner Pensionierung 1895 bekleidete Robert Oertel in Senftenberg das Amt des Kgl. Steuereinnehmers 1. Klasse.

Auszug aus dem Kirchenbuch der Deutschen Kirche zu Senftenberg (Trauungen 1868 - 1897)
Wilhelm Hintersatz (um 1886)
Louise Hintersatz (um 1890)