last update: 07.10.2023 15:59

erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 25.Januar 1936
56.

Addis Abeba, 2. Dez. 1935.

Ethiopische Anekdoten.

Nr. 1: Die drei Tauben.

Jätet da eine Bäuerin, stocktaub, ihr Feld. Nach ethiopischer Gepflogenheit trägt sie dabei ihr Kind in einem Ledersack auf dem Rücken. Unweit ihrer Arbeitsstätte hütet ein – ebenfalls stocktauber – Schäfer seine Herde. Das Unglück will’s daß ein Trupp wildernder Hunde in diese einbricht, so daß die Schafe in wilder Flucht davonstürmen. Der Schäfer sucht. Auf seiner Suche stößt er auf die taube Bäuerin: „Hast du nicht meine Schafe gesehen?“ Die Bäuerin meint, er erkundigt sich nach ethiopischer Höflichkeitssitte, wie es ihr gehe und was sie da treibe. So antwortet sie: „Ja, mein lieber, ich war schon sehr fleißig. Sieh mal“ – und dabei deutet sie in der Richtung ihrer rückliegenden Arbeit –, „das alles habe ich heute schon von Unkraut gesäubert.“ Der taube Schäfer versteht ihre Geste falsch und glaubt, die Frau zeige ihm die Richtung, in der seine Schafe davongelaufen seien. Dem vermeintlichen Wink folgend, stößt er nach einigem Suchen tatsächlich auf seine Herde. Er will sich nun der armen Bäuerin dankbar zeigen. Da er aber selbst ein armer Teufel ist, greift er aus seiner Herde einen Hammel heraus, dem die Hunde das Bein zerbissen haben, und bietet diesen der Bäuerin dar mit den Worten: „Ich danke dir, daß du mir zu meinen Schafen verholfen hast; nimm als Zeichen meines Dankes diesen Hammel!“ Die taube Bäuerin sieht das gebrochene Bein des Hammels und meint, der Schäfer beschuldige sie, seinen Hammel beschädigt zu haben. Sie fängt darob zu zetern an: „Du Lügner, ich habe deinem Hammel das Bein nicht zerschlagen“.

Darauf der Schäfer: „Liebe Frau, ich bin ein armer Teufel. Mehr kann ich dir wirklich nicht bieten. Und ich glaube auch, daß du für deine Müheleistung genügend entlohnt bist.“ So geht das hin und her, bis um Haaresbreite der Streit in eine Prügelei ausartet.
Kurze Zeit darauf beschäftigt die Angelegenheit den Richter. Das Unglück will’s, daß dieser aber schwerhörig ist. Die Frau beginnt ihre Anklagerede mit den vorgeschriebenen Worten: „Der liebe Gott offenbare es Ihnen und Jesus Christus möge Sie erleuchten! Dieser Halunke behauptet, ich hätte seinem Hammel ein Bein zerschlagen“. Nach Beendigung der Klagerede küßt sie der Gepflogenheit gemäß die Erde. Dabei fällt ihr aber das Kind aus dem Ledersack und rollt über die Erde hin. Solche Behandlung nimmt es verständlicherweise sehr übel und beginnt fürchterlich zu schreien. Klägerin und der gutmütige Beklagte bemühen sich, das Kind zu beruhigen. Der gestrenge Richter aber sieht der Reihe nach die Bäuerin, den Schäfer und das Kind an. Dann fällt er folgendes salomonische Urteil: „Die Aehnlichkeit des Kindes mit dem Vater ist zweifellos. Da das Kind überdies ein Knabe ist, muß es dem Gesetze nach dem Vater zugesprochen werden. Ich fälle das Urteil wie folgt: Das Kind ist von der Mutter sofort dem Vater zu übergeben und wird in Zukunft von diesem erzogen werden.“
Klägerin und Beklagter, die ihrerseits von diesem Urteil ja kein Wort verstanden haben, machen dem hohen Herrn Richter die gewohnte ehrerbietige Verbeugung, zahlen ihre Prozeßkosten und ziehen befriedigt davon, jeder in der unerschütterlichen Ueberzeugung, den Prozeß gewonnen zu haben.

57.

Nr. 2: Der Gabre Gundan.

Ein ethiopischer Kaiser langweilte sich unsagbar. Die Kunst seiner Hofsänger und Tänzer versagte. So ließ er durch das Land bekanntmachen, daß er demjenigen, der ihm eine Geschichte erzählen werde, die ihn „bis zum Halse“ befriedigen und damit von seiner Langeweile heilen würde, die Hälfte seines Reiches als Gouverneurs-Lehen geben werde. Zahlreiche Erzähler meldeten sich und versuchten ihre Kunst – vergebens! Der Negus geriet nahezu in Verzweiflung. Schließlich aber meldete sich ein einfacher Mann. Der versprach, dem Negus eine Geschichte zu erzählen, die genügen werde, um ihn endgültig von seinem Übel zu befreien. Der Kaiser berief ihn zu sich; und unser Erzähler begann, nachdem er zuvor sich die Zusicherung hatte geben lassen, daß er das Recht habe, seine Geschichte bis zu ihrem Ende zu berichtet:
„Es gab einst ein Haus mit einem einzigen Zimmer. Und dies war 20 Meter lang, 10 Meter breit und 5 Meter hoch.“ Zunächst mußte nun der arme Negus errechnen, wieviel Kubikmeter Inhalt also dies Zimmer hatte. Er rechnete richtig: 1000 Kubikmeter… Und der Erzähler fuhr fort: „Bis obenhinauf war das Zimmer angefüllt mit Weizen.

Und da kam durch ein kleines Loch in der Mauer der „Gabre Gundan“ (wörtlich: „Der Sklave der Ameise“, das ethiopische Heinzelmännchen), nahm ein Weizenkorn und trug es in seinen Bau.“ So berichtete langsam und bedächtig unser Erzähler weiter und weiter. Schließlich – es mag bei dreißigsten Weizenkorn gewesen sein! – wurde der Negus ungeduldig: „Mach ein Ende mit Deinen Weizenkörnern!“ „Oh“, sagte demütig der Erzähler. Eure Majestät vergessen, daß das Zimmer ja 1000 Kubikmeter Inhalt hat und voll ist mit Weizenkörnern; und wir sind jetzt doch erst bei dem dreißigsten Weizenkorn. Eure Majestät müssen schon unsere Vereinbarung gemäß mich weiter anhören – – Also: Gabre Gundan kam zum einunddreißigsten Male, holte sich sein Weizenkorn und trug es in seinen Bau. Dann kehrte er zurück, um das zweiunddreißigste Weizenkorn zu holen und in seinen Bau zu tragen.“ … „Halt!“ – rief da der Negus. „Der Ligaba (Oberhofmarschall) erscheine!“ Der trat eilends ein. Drauf der Negus: „Befreie mich von diesem Manne. Seine Geschichte – – steht mir bis zum Halse. Man belohne ihn mit der Hälfte meines Reiches!“ …
Ja, und der nüchterne Europäer sagt dazu kopfschüttelnd: „Welche Uebereilung! – – Hereingefallen ist der Negus. Denn der Bau des Gabre Gundan (der Ameise!) faßt schließlich doch nicht mehr als vielleicht hundert Weizenkörner. Der Negus hätte also bis dahin warten sollen und wäre damit besser gefahren!“

58.

Addis Abeba, 6. Dez. 1935.

Das ethiopische Nachrichtenwesen.

Die Bedeutung des Begriffes „Nachrichtenwesen“ für jede Armee darf ich als bekannt voraussetzen. Auch der ethiopischen Regierung ist natürlich diese Bedeutung nicht unbekannt geblieben. Wenn es trotzdem nicht möglich war, hier ein Nachrichtenwesen zu organisieren, wie es den für eine moderne Armee einfachsten Grundbedingungen entsprechen würde, so liegt das in erster Linie an dem bösen Mangel an geldlichen Mitteln, da eben zunächst einmal den allerersten Anforderungen im Sinne der Kampfkraft der Truppen entsprochen werden mußte. Der ganze Aufzug der militärischen Organisation hat in erster Linie zu berücksichtigen, daß eine ständige Verbindung gewährleistet bleibe zwischen dem militärischen Exponenten des Landes –und das ist der Kaiser! – und seinen Heerführern. Normalerweise ist der Sitz des Kaisers die Landeshauptstadt Addis Abeba. Es war also Vorsorge zu treffen dafür, daß von Addis Abeba aus die verschiedenen Fronten in Form ihrer Hauptquartiere zu erreichen seien. Naturgemäß müssen in Anbetracht der primitiven Umstände die Fronten Rücksichten nehmen dergestalt, daß sie ihre Hauptquartiere möglichst dahin legen, wo ständige Verbindungen an sich vorhanden sind oder aber doch in nächster Nähe auslaufen. Die Hauptverbindung von Addis Abeba nach den Fronten hin ist nach wie vor der postliche Draht.
Die postlichen Drahtverbindungen aber sind folgende:
I. Von Addis Abeba in Richtung Nord-Front:
   1) Addis Abeba – Ankober – Warra Hailu – Deßje – Makalle ( – Adua – Asmara);
   2) Addis Abeba – Fitsche – Warra Hailu – Debre Tabor – Dabbat und darüber hinaus bis etwa zum Takkaze;
   3) Addis Abeba – Adis Alem – Debre Markos und darüber hinaus bis etwa zum Tsana-See;

II. Von Addis Abeba in Richtung Süd-Front:
   1) Addis Abeba – Ginir – Provinz Bali;
   2) Addis Abeba – Asbe Tafari – Harrar – Djigdjigga.

Von den Endstationen dieser Drahtverbindungen, die im übrigen nicht für den Telegramm-, sondern für den Telefon-Verkehr eingerichtet sind, laufen heute Feldtelefon-Leitungen zu den Unterkunftsorten der Stäbe, die man füglich mit Armee- und Korps-Stäben in Parallele stellen kann, und diese Stäbe sind – wenigstens größtenteils – in gleicher Form untereinander verbunden.
Auch das modernste Mittel der Nachrichtenübermittlung, der drahtlose Verkehr, hat in die ethiopische Armee Eingang gefunden, wenn zunächst auch nur in verständlicherweise bescheidenem Umfange. Es sind 6 fahrbare Sende- und Empfangsstationen auf Kraftwagen vorhanden, alle erst nach Ausbruch des Ualual-Zwischenfalles beschafft und im Oktober auf die Front verteilt. Dienbar dem Heeresinteresse sind natürlich auch die 3 festen Stationen, davon 2 in Addis Abeba und 1 in Harrar.
Da, wo die Mittel der modernen Nachrichten-Uebermittlung fehlen, benutzt man noch wie vor das altbewährte Mittel der Läufer- und Reiterverbindung. In früherem Bericht habe ich ausgeführt, welche erstaunlichen Marschleistungen Ethiopier auszuführen vermögen. Ich will hier daher nur kurz sagen, daß mittels einer solchen Läuferverbindung eine Nachricht innerhalb vierundzwanzig Stunden 120 Kilometer weit befördert werden kann. Naturgemäß legen in geeignetem Gelände Reiter-Staffetten noch größere Strecken zurück.
Erwähnt sei zum Schluß, daß die in Europa verbreitete Ansicht gleich den Negern eines großen Teiles von Afrika pflegten auch die Ethiopier die Nachrichtenübermittlung durch Trommelsignale, irrig ist. Lediglich der Ausbruch des Kriegszustandes wird durch den dumpfen Ton der „Negarits“ („Kriegstrommeln“) verkündet. Sie zu führen und schlagen zu lassen haben außer dem Negus nur die Provinz-Gouverneure das Recht.