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erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 7. September 1935
V.

Addis Abeba, 4. August 1935.

Mein erster Empfang beim Kaiser von Ethiopien.

An einem der ersten Tage unseres Aufenthaltes in Addis Abeba war der mit Sorge um die Journalisten betraute Beamte des Kultusministeriums erschienen und hatte meiner Frau und mir den Willkommengruß seines Kaiserlichen Herrn überbracht. Am 1. August erschien er erneut und sprach uns die Einladung des Kaisers zu einer ersten Vorstellung am 3. August 5 Uhr nachmittags aus. Am Tage zuvor fragte bei einem der mit uns gemeinsam im „Deutschen Haus“ wohnenden Herren ein anderer Beamter des Ministeriums ganz leise und zart an, ob ich auch wohl einen – Frack hätte. War ich zunächst höchstlich erstaunt und belustigt, ganz innerlich vielleicht sogar ein wenig „indigniert“ ob solcher Frage, wo ich mit meinem Erscheinen vor dem Herrscher des Landes, dem mein Besuch galt, ja ganz natürlich zu rechnen hatte, so habe ich die Frage verstanden und – verziehen, als ich am nächsten Tage unter den Geladenen tatsächlich den Vertreter einer bedeutenden Presse in hellgrauem Straßenanzug , den einer anderen Zeitung im Gehrock mit … blauem Hemd, nochmals andersfarbigem Schlips und grauem Filzhut erschienen sah. Die Kraftwagen mit den Geladenen versammelten sich zu geschlossener Anfahrt. Der Herrscher Ethiopiens erwartete seine Gäste im Neuen Palais. Ja, über dies „Neue Palais“ ist viel gesprochen und geschrieben worden. Man macht dem Kaiser zum Vorwurf, bei der Not seines Volkes sich einen „üppigen Prunkbau“ geleistet zu haben. Als wir nun durch das Parktor um einen weiten Rasenplatz herum dem Schloß zubogen, waren wir auf das angenehmste enttäuscht. Da lag vor uns statt des erwarteten „Prunkschlosses“ ein in schlichten, edlen Linien ausgeführter einstöckiger Bau. Der Kaiser selbst hat dessen Form aus zahlreichen Entwürfen erwählt. Die „Schlichtheit“ also ist sein ureigenster Geschmack. In einem an die große Eingangshalle angeschlossenen Vorraum warteten wir, Engländer, Holländer, Amerikaner, ein Brasilianer, als Deutsche meine Frau und ich. Es währte nicht lange, da kam an uns die Reihe. Die Tür eines saalartigen Raumes öffnete sich. Der Blick fiel, zunächst beinahe geblendet, auf die gegenüberliegende Seite – Fenster, ganz Fenster, dahinter in üppigem Grün ein tiefer Park. Und dann – ja, hinter dunklem Schreibtisch, allmählich erst dem Auge in dunklen Konturen sichtbar werdend, da sitzt „jemand“ in tiefschwarzer Kleidung, eine kleine, in der Hülle der weiten Gewandung offenbar schmächtige Figur. Das Auge sucht das Dunkel dieser Figur zu durchdringen, in bestimmte Formen aufzulösen. Eine geraume Weile – inzwischen ist die Verbeugung geschehen – will es nicht gelingen, obwohl wir doch nächst dem großen Tische stehen. Ganz, ganz allmählich erst enträtselt sich aus dem Dunkel der aus Bildern uns schon bekannte Charakterkopf des Kaisers – dunkel die Hautfarbe, umrahmt von tiefschwarzem Kopf- und Barthaar. Und jetzt – da leuchtet es im Dunkel der Gesichtsform auf, rechts und links neben dem schmalen Grat der feingeschwungenen Nase. Es ist der Schimmer der Augen des Herrschers, den z.Z. mehr denn jeden anderen das große Weltgeschehen umwebt. Eine liebenswürdige Neigung antwortet unserem Gruß. Dann streckt eine Hand sich uns entgegen. Wir sehen sie zum ersten Male, jene schlanke, aristokratische Hand, von der soviel gesprochen wird, die Hand, die bisher das ethiopische Volk fest zu umschließen wußte, die Hand, in der heute mehr denn je das Geschick des Landes liegt. Mit freundlicher Geste deutet sie uns an, Platz zu nehmen. Inzwischen begann der Kaiser mit leiser, wohltönender Stimme zu sprechen. Frage um Frage stellt er, beginnend naturgemäß mit der, wie wir in seinem Lande uns fühlen. Die Konversation geht in Französisch, das der Kaiser ausgezeichnet spricht. Jeder Antwort folgt eine Pause. Man gewinnt den Eindruck, als denke er über jede Antwort seines Gastes nach. Wärmer, freier wird allgemach das Spiel von Frage und Antwort.

Hat unser Auge sich an den dunklen Rahmen der großen dunklen Augen da hinter dem großen Schreibtisch gewöhnt oder ists die leise Stimme – man sieht Tragik liegen über der zarten kleinen Figur da gegenüber, die Tragik eines großen Geistes, der für sein Volk und Land Bestes gewollt, die Tragik des machtvollen Mannes, der doch – selbst von den Nächsten – so wenig verstanden wird, der inmitten glänzenden Gefolges einsam, ganz einsam dasteht mit dem Schwung seines elastischen Denkens alle weit, weit voraus. Schaut das schwermütige Auge hinein in die dunkle Wolke tragischen Geschehens, dem auszuweichen des Kaisers bebendes Ringen ist? Wie er hier sitzt, einsam und sorgengequält, da ist es nicht der Herrscher, sondern der Mensch, dem unser Herz mit warmem Mitgefühl entgegenschlägt. Wer den Herrscher kennt, der spricht begeistert von seiner feingeistigen Bildung, von seinem Verständnis für alle Vorgänge, die in den Kreis seines vielseitigen Interesses traten, selbst für technische Dinge. Wer mit ihm zu tun hat, der erkennt sein rastloses Arbeiten und Schaffen vom frühen Morgen bis zum späten Abend an, sein Ringen um den Aufstieg seines Volkes, dessen Schwächen und Wundpunkte kaum einem so klar und vertraut sind wie gerade ihm. Mögen wenige heute die Größe dieses einsamen Mannes auf wild umbrandetem Thron erkennen, die Weltgeschichte wird dereinst Aufstieg, Glanz und Tragik seines Lebens schreiben. – Meine Gedanken schweifen einen Augenblick ab zu der immer wieder auftauchenden Behauptung, dieser Mann da vor uns habe den Weg zu seinem Throne sich frei gemacht durch Giftmord an der Kaiserin Saouditou. Einem glücklichen Zufall danke ich die Gelegenheit, den damaligen Geschehnissen tatsächlich bis auf die Wurzel nachzugehen. Die historischen Tatsachen widerlegen eindeutig und objektiv jede derartige Behauptung. Die Kaiserin war seit langem eine schwerkranke Frau, deren Tod man lange bereits und immer wieder erwartet hatte. Mir ist die Analyse ihres Urins bekannt geworden, die die Diagnose ihrer Aerzte deckt, wonach die Kaiserin in schwerstem Grade Diabetikerin war. Im letzten Stadium ihrer Krankheit litt sie zugleich schwer unter einer bösen Malaria. Das Bemühend er Aerzte, sie zu Diät wie zur Befolgung ihrer Verordnungen zu bewegen war vergebens. Die bigotte Einstellung ließ die Kaiserin meinen, auch das körperliche Heil in Beten und Fasten zu finden, dem sie sich ohne Rücksicht auf das geschwächte Herz in dem verfetteten Körper hingab. Immer wieder hat der jetzige Kaiser die behandelnden Aerzte – den Schweizer Arzt Dr. Meyenberger, der jetzt in Zürich lebt, den heute noch hier weilenden schwedischen Arzt Dr. Hanner und den inzwischen verstorbenen französischen Arzt Dr. Germain – gebeten, ja nichts unversucht zu lassen, um der Kranken zu helfen. Da, eines Tages, wieder den Einflüsterungen ihrer abergläubischen Umgebung folgende, ließ die Kaiserin, vielleicht auch vom Wahn hohen Fiebers gepackt, sich geweihtes Wasser auf das Haupt gießen. Die Schockwirkung der kalten Dusche hat das geschwächte Herz nicht mehr ertragen. Es begann auszusetzen. Die eiligst herbeigerufenen Aerzte fanden in diesem Zustande die Kranke vor. Stunden noch hat sie gelebt und vor den Augen ihrer Aerzte gerungen, bis das Herz endgültig zu schlagen aufhörte. Eindeutig und ganz gewiß einwandfrei haben die Aerzte und hat insbesondere der Arzt für innere Erkrankungen, Dr. Meyerberger, die Todesursache festgestellt. Und was dem entgegen gesagt und geschrieben worden ist, ist und bleibt eben nichts anderes als … Verleumdung. Leiser und leiser schwingt die zarte Stimme durch den großen Raum. Wieder streckt sich jetzt aus dem weiten dunklen Gewande die dunkle Hand sich uns entgegen. Schlank, zart und feinnervig liegt sie in meiner harten Hand. Unwillkürlich bemühe ich mich, den eigenen Druck zarter zu gestalten. Ein neigen des Hauptes, ein kaum angedeutetes Lächeln – oder wars eine Täuschung? -- ; und wir sind entlassen, um dem nächsten Geladenen den Raum freizugeben. Wie wir der Tür zuschreiten, umspielen und umbellen uns die beiden Hündchen des Kaisers. Klein, langhaarig, weißgelb, sind sie, anspruchslos in ihrer Rasselosigkeit, auch ein gewisses Zeichen der Schlichtheit des Mannes, den wir soeben verlassen. Noch eine Verbeugung an der Tür. Wir stehen draußen, um uns das Gewirr der anderen, in uns der Eindruck, den unauslöschbar der zarte, rassige Mann da drinnen, der tragikumwobene Herrscher Ethiopiens, hinterlassen hat.