last update: 30.07.2023 17:13

erschienen im Senftenberger Anzeiger vom 24. August 1935
I.

Nun haben wir von Europa Abschied genommen und fahren auf der guten alten „Wien“ (Vienna) des Triester Lloyds durch die kobaltblauen Wogen des Mittelmeeres Afrika entgegen. Ja, es ist die alte „Wien“. Aus den Bildern im Speisesaal grüßt uns noch die alte Kaiserstadt, grüßt uns die Mode der Vorkriegszeit. Die Bilder des alten „Franzl“ und des Thronfolgers nur sind ersetzt durch Bilder des Königs von Italien und des Duce. Unverändert ist die peinliche Sauberkeit, unverändert die hervorragende Verpflegung. Also das „Afrikafahren“ – in diesem Teile der Fahrt – ist nicht gar so übel. Ich will nun weder von den schönen Gegenden Deutschlands und Italiens berichten, durch die unser treuer Ford mit seinen 40 Pferdestärken im Tempo von 80 – 100 Kilometer uns getragen hat, noch heute schon „Erlebnisse“ schildern, über die die Auguren – und dies mit Recht! – zu lächeln pflegen. Und dennoch gibt es so allerlei Interessantes auch schon auf solcher Fahrt. Mit dem Grenzübergang fängt es an. Da dürfen auf Grund einer Dringlichkeitsbescheinigung an barem Gelde 50 Reichsmark je Person über die Grenze mitgenommen werden. Ich weise die 50 Reichsmark vor. O wehe, erstes Vergehen! Es darf nur Hartgeld sein. Noch ist es Zeit, und bald sind die Beträge in Hartgeld gewechselt. Und das Ergebnis „drüben“? Hartgeld will jenseits der Grenze keiner abnehmen. Und wenn es jemand tut, so zahlt er für eine Reichsmark ganze 3 Lire. Ja, und dann: Wir müssen unseren Wagen an der deutsch-österreichischen Grenze – für uns Mittenwald – einem besonders befugten Vertrauensmanne zur Durchführung durch Oesterreich übergeben, sofern wir ihn nicht mit erheblichen Unkosten und obendrein möglicher Zeitversäumnis mit dem Zuge transportieren lassen wollen. Natürlich geht es auch anders, jedoch nur dann, wenn man je Person 1000 Reichsmark zahlt – und wer kann und will das? Also wir fuhren mit dem Zuge, mit uns die Sorge um unsern Wagen. Den Aufenthalt in Innsbruck benutzen wir zu einem Bummel durch die Stadt. Ja, ja, es ist schon so – die deutschen Besucher fehlen, fehlen bitter, bitter, und das prachtvolle Tiroler Brudervolk weiß seiner Regierung wenig dank für seine Not und bringt durchaus kein Verständnis dafür auf, wenn es, wie kürzlich geschehen, erleben muß, daß auf höheren Befehl 80 englische Tirolbesucher der Stadt Innsbruck mit 40 Mann Musik eingeholt werden! Also wir trafen auf dem Brenner mit dem Zuge ein und fanden zu unserer Erleichterung dort unseren Wagen in bester Ordnung vor. Die Pässe…, ja, das ist freilich eine eigenartige Sache, wenn zur Zeit darin die Einreiserlaubnis nach Abessinien vermerkt ist und der Inhaber – obendrein ehemaliger Offizier – ausgerechnet durch Italien fahren will. Ist das nun Frechheit oder wirklich gutes Gewissen? Lächelnd bemerkte ich, wie die hohe Paßkontrolle die Köpfe zusammensteckte, uns verstohlene Blicke zuwarf, miteinander tuschelte; und ungewöhnlich lange dauerte die ganze Prozedur. In der Zwischenzeit – nun, da hatte man unseren Wagen und in und an diesem unser gesamtes Gepäck (Schlüssel mußten dem Transporteur mitgegeben werden) einer gründlichen „Durchforstung“ unterzogen. Ich nehme es unter den besonderen Umständen einerseits nicht übel und erkenne andererseits gern auch die „Sorgfalt“ an, mit der die Prüfung geschehen war, d.h. insofern, als alles wirklich wieder tadellos eingepackt worden war. Die immer wiederholten Fragen nach Waffen konnte ich mit gutem Gewissen verneinen und habe nicht einmal Bedenken getragen, frei zu bekunden, daß ich selbstverständlich nicht ohne Waffen nach Afrika ginge, diese ebenso selbstverständlich aber nicht durch Italien führte. Ja, da war wohl nichts zu machen. Und tatsächlich habe ich während der gesamten Fahrt durch Italien bis zur Einschiffung in Neapel in keiner Form irgendeine Behelligung erfahren.

Die Fahrt ist nicht nur landschaftlich ein Genuß gewesen, dem freilich – da sollte sich jeder Deutsche merken! – die frische Würze der deutschen Wälder fehlt, sondern auch dem „Autler“ eine Freude dank der prachtvollen Straßen. Rom! 1 200 000 Einwohner. Vieles ist geschehen, um die störenden Häßlichkeiten von einst zu beseitigen. Winkel und Ecken haben Anlagen und Blumen erhalten. Aber es bleibt nun mal doch das „alte Rom“ mit größtenteils schmalen Straßen, das Rom, das sich ja auch wirklich nur außerordentlich schwer den Anforderungen an eine moderne Großstadt anpassen läßt. Und es bleiben ja auch die „Italiener“, die eben anders sind als wir. Da komme ich auf einen interessanten Versuch: In Rom und Mailand (ich weiß nicht, ob außerdem noch) hat man von bestimmter Stunde eines bestimmten Tages an ganz einfach jedwedes Hupen der Kraftwagen verboten und unter peinliche Strafe gestellt. Bin gespannt, zu welchem Endergebnis der Versuch führen wird. War es früher bei Tag und Nacht geradezu ein Teufelskonzert in den Straßen Roms, so mutet das schweigsame Gleiten der Kraftwagen jetzt uns beinahe geisterhaft an. Aber die Sache hat bedenkliche Seiten. Was bei dem Ordnungssinn und der Disziplin der Deutschen, vor allem bei der vorzüglichen Straßendisziplin in Deutschland wohl kaum große Schwierigkeiten bieten würde, in Italien ist’s nun mal anders. Da läuft und fährt man eben kunterbunt durcheinander, der eine links, der andere rechts. Der eine Polizist greift ein, der andere übersieht’s. Da stehen ganze Gruppen beim Schwätzchen auf dem Bürgersteig verkehrsreichster Straße. Da laufen sie auf der verkehrten Seite zu Vieren und mehr nebeneinander. Da laufen sie genau so mitten auf der Fahrstraße wie auf dem Bürgersteig. Da zieht irgendein Träumer im Zickzackkurs inmitten der Straße seinen Weg. Wie ich auch vorbeizukommen suche, ich habe ihn vor mir. Ja, und hupen darf ich doch nicht. Was bleibt übrig? Ich ersetze die Hupe durch den – hm, großen? – Mund. Das hilft. Der Herr Träumer schaut sich um und entdeckt voll Entsetzen unmittelbar hinter sich meinen blinkenden Kühler. Ja, und die Herren Autler selbst? – Reden wir nicht darüber! Kurven werden genommen wie es paßt, und überholt und ausgewichen wird nach Geschmack und Raumfreiheit, wobei letztere nicht selten ein wenig verschätzt wird. Geht alles eben ein bißchen weniger gründlich, ein bißchen weniger ordentlich, ein bißchen weniger – sauber zu. Und das gilt in jeder Hinsicht. Es gilt – sehr zum Leidwesen! – auch für die Gaststätten- und Hotelbetriebe (Ausnahmen bestätigen die Regel, und wo man sie findet, stößt man meist auf eine deutsche Kraft). Und es gilt besonders auch in bezug auf technische Dinge. Es ist ganz fraglos, daß auf dem Gebiete der Technik Italien einen ganz erheblichen Aufschwung zu verzeichnen hat. Aber, wie auch sonst, die Glanzleistungen sind Spitzenleistungen, denen die Allgemeinheit sich noch nicht angepaßt hat. Durchweg fehlt es daher an richtiger Pflege und sorgsamer Behandlung der technischen Erzeugnisse, so daß sehr bald deren Zustand zu wünschen übrig läßt. Aber sonst – nun, es ist Italien mit seiner „segnenden“ Sonne, die in diesem Jahre – alles ist ja überall „verkehrt“ – besser „sengend“ genannt wird. Ja, und der drohende Kolonialkrieg? Kaum etwas zu merken, weder von ihm, noch von sonderlicher Begeisterung für ihn, wenigstens nicht im Kreise der unabhängigen Intellektuellen, noch in der Masse des Volkes. Italien hat seine Vulkane. Mag sein, daß das Volk sich daran gewöhnt hat, über „Vulkanen“ sorglos zu sein!